Nachlese: Nathalie de Vries

Nachlese
Nathalie de Vries
»Hybrid Experiments«

Nachlese
Mehr Experiment wagen
KAP Forum: Reihe Vordenker
Nathalie de Vries begeistert im Kölner MAKK mit hybridem Denken.

Der frisch renovierte Vortragssaal des Kölner MAKK platzte aus allen Nähten. Rund 250 Gäste verfolgten den Vortrag von Nathalie de Vries im Rahmen der Reihe VORDENKER des KAP Forums. Unter dem Titel „Hybrid/Experiments“ zeigte die Mitgründerin von MVRDV, welches Potential in multifunktionellen Häusern und Planungen steckt.

„Ist die Stadt ein Labor?“, fragte die Architektin rhetorisch – und gab gleich die Antwort: „Stadträume müssen sich verdichten, optimieren, vermischen. Wir wollen eine bessere, lebenswertere Stadt.“ Das war zugleich eine Absage an Adenauers Wahlkampfslogan der Fünfziger Jahre – keine Experimente. Denn es ist schon erstaunlich, dass die scheidende Professorin an der Kunsthochschule Düsseldorf (sie wechselt nach Delft) hierzulande keine Beispiele für hybride und multifunktionelle Gebäude finden konnte – auch nicht ihre Studierenden.

Dafür legte Nathalie de Vries lieber selbst los und gab einen einstündigen Themenvortrag zur Bedeutung von Hybriden in ihrem eigenen Werk. Doch was ist das überhaupt – ein Hybrid? Es geht um ein neues, vernetztes Denken, konzeptionell und frei von Barrieren. Da könne ein dritter Raum entstehen, privat gebaut und doch ganz öffentlich, ein Haus, so offen angelegt für verschiedenste Nutzer mit ganz unterschiedlichen Wünschen. Das klang ein wenig nach postmoderner Theorie, wie sie etwa auch Wolfgang Welsch vertreten hat in seinen „Perspektiven für das Design der Zukunft“ von 1990: „Die klassisch-modernen Maximen des Ausdrucks oder der Transparenz verlieren an Bedeutung, an ihre Stelle treten Strategien des Kontrasts, der Erfindung und der Paradoxie. Nur sie tragen unserer >chaotischen< Welt voller Überschneidungen und Instabilitäten Rechnung. Störungen und Hybridbildungen entsprechen der postmodernen Lebenserfahrung.“ Nathalie de Vries gab dem

Strahlendes Zeichen der Veränderung ist die Markthal in Rotterdam (https://www.mvrdv.nl/projects/markethall/). Ein Mischwesen aus Öffentlichkeit und intimem Rückzug, großer Geste, großer Tiefgarage und großem Denken. Die auf beiden Seiten aufgetürmten Wohnungen neigen sich zueinander und bilden eine Tonne, unter deren Gewölbe öffentliches Leben und Miteinander stattfindet: wettergeschützt und perfekt erschlossen.

Mit jedem weiteren Projekt verdichtete sich das befreiende Moment hybriden Denkens – vom Ku.Be House of Culture and Movement in Kopenhagen (https://www.mvrdv.nl/projects/KUBEhouseofmovement/), ein Treffpunkt für Menschen von 1-101 Jahren, über den Vorschlag eines begrünten und entschleunigten Flughafens Schiphol (2. Preis, https://www.mvrdv.nl/projects/schiphol-airport-terminal-a), Stadtplanung in Seoul (https://www.mvrdv.nl/projects/seoul-skygarden) und Wohnbauten wie The Valley (https://www.mvrdv.nl/projects/valley) – vertikale Wohnlandschaften in Amsterdam, die aussehen, als hätten die Architekten Säure auf einen Styroporblock gegossen, tatsächlich aber mit Hilfe des Computers optimale Winkel für Balkone und Wohnungen berechnet. „Leben im Hochhaus – das müssen wir noch lernen, als Flachländer“, sagte die Architektin und hatte das Publikum einmal mehr auf Ihrer Seite.

Warum also bauen wir nicht gleich Häuser, die alles in sich tragen, fragte die Architektin zurecht – und es klang wie eine Aufforderung, einige Leitzordner mit Bauvorschriften zu entsorgen. Schließlich gab sie doch einige Hinweise auf das, was sie so schön mit „Untiefe“ bezeichnete: Die Fähigkeit, Mischformen von Anfang an zuzulassen, etwa an der Schwelle von Büroflächen und Mietwohnungen, deren Umwidmung vielleicht doch nicht so schwer sein muss, wie oft erlebt: größere Deckenhöhen als üblich, ein aktives, offenes Erdgeschoss mit Läden und öffentlichen Einrichtungen und ein Schuss undefinierter Flächen.

Hybridität bedeute nämlich „von allem noch etwas mehr machen“ und nach „außen zu gehen.“ Also auf vom Schreibtisch und vom bequemen Sofa und raus ins Leben, unter die Leute, bereit, sich auszutauschen.

Sind wir nicht selbst Hybride, fragte die Architektin zum Schluss – und zahlreiche Gäste stimmten zu.

Text: Dr. Oliver Herwig & Andreas Groß
Fotos: Studio für Gestaltung

Nachlese: Betongold

Nachlese
Betongold – München

Nachlese
Betongold

Betongold! Betongold! Betongold!
Verspekulieren wir unsere Städte? Facettenreiche Diskussion mit prägnanten Statements im Vorhoelzer-Forum der TU München.

Als die Veranstalter vor einem Jahr damit begannen, ihr erstes „Gastspiel“ in München zu planen, konnten sie nicht voraussehen, welche Brisanz das Thema entwickeln würde – bis hin zur größten Mieterdemonstration in der Geschichte der Stadt. Klar war aber, dass München für die Entwicklung der Immobilienpreise so etwas wie das „Brennglas der Republik“ ist: Nirgendwo verlief die Entwicklung in den letzten Jahren annähernd so dynamisch wie in der „Weltstadt mit Herz“.

Darüber, wie sich verhindern ließe, unsere Städte weiter zu verspekulieren, diskutierten imüberbuchten VorhoelzerForum der TU München Berliner Stadtplanerin Theresa Keilhacker, die Stadtbaurätin der Landeshauptstadt München, Elisabeth Merk, der Vorstandsvorsitzende der Bundesstiftung Baukultur, Reiner Nagel, Ferdinand Spies, der Geschäftsführer von Art-InvestReal Estate und der Münchner Architekt Dominikus Stark mit den Gastgebern Andreas Grosz und Oliver Herwig vom KAP Forum für Architektur & Stadtentwicklung.

Wer angesichts des breiten Spektrums, welches das Podium abdeckte, eine kontroverse Diskussion erwartet hatte, mag enttäuscht gewesen sein. Interessant und spannendwar der Abend allemal, weil er das Thema in zahlreichen Facetten und mit zum Teil erfrischend prägnanten Statements beleuchtete.

Den Auftakt machte Elisabeth Merk, die die Mieterdemonstrationen als „Lobbyismus, der uns bisher gefehlt hat“, begrüßte: „Politik und Gesellschaft funktionieren auf Druck“. Und die freimütig einräumte, dass man die Themen Erbbaurecht, Konzept- statt Bestbieterverfahren und Berücksichtigung von Genossenschaften bei der Grundstücksvergabe auch schon 20 Jahre früher hätte angehen können.

Ferdinand Spies sah die Mietpreisentwicklung kurz- bis mittelfristig als Standortnachteil für München – darauf, wie weit die Mieten noch steigen können, wollte er sich allerdings nicht festlegen lassen.

Dass die hohen Grundstückspreise den Löwenanteil der Kosten ausmachen, ist bekannt. Wenn dann noch, so Dominikus Stark, die Ausbaukosten – also die Kosten mit der geringsten Lebensdauer – überproportional steigen, verschärfe sich die Misere zusätzlich: Am Ende droht die Qualität dessen, was gebaut wird, auf der Strecke zu bleiben, wenn Stadtentwicklung einseitig aus der Sicht von Finanzinvestoren betrieben wird.

Reiner Nagel wies darauf hin, dass die boomenden Metropolregionen und die schrumpfenden Landstriche vor allem im Osten des Landes zwei Seiten ein und derselben Medaille sind, man die gegenläufigen Entwicklungen also zusammen denken muss: Während München bis 2035 mit zusätzlichen 300.000 Einwohnern rechnet, geht die Bevölkerung der Bundesrepublik bis 2060 auf 70 Millionen Einwohner zurück. Und er wies auf einen weiteren Aspekt hin: Zunehmend mehr Wohnungen kommen aktuell gar nicht auf den Markt, weil Vermieten nicht zum Geschäftsmodell von Investoren gehört, die auf weiter steigende Bodenwerte und Wiederverkauf setzen – dabei sind vermietete Wohnungen eher hinderlich.

Daran knüpfte Theresa Keilhacker an, die das Thema „Betongold“ vor allem mit renditeorientierten internationalen Investoren verband. Deshalb sah sie in erster Linie die Bundesregierung in der Pflicht, Steuerschlupflöcher wie den Share-Deal – er ermöglicht Unternehmen den Kauf von Immobilien, ohne dass dafür Grunderwerbssteuer fällig wird – zu schließen. Außerdem, so Keilhacker, werde das Instrument auch gerne dafür genutzt, die Eigentumsverhältnisse einer Immobilie zu verschleiern. Womit sie zum Thema Geldwäsche kam: „Wer nichts verdienen muss, sondern Geld nur waschen will, kann auch 25 Prozent mehr bezahlen“.

Weil Grund und Boden nicht vermehrbar sind, macht der Neubau  auch in München nur ca. ein Prozent des Gesamtvolumens aus, der Rest findet im Bestand statt. Dort aber, so Elisabeth Merk, „ist Nachverdichtung kaum noch möglich, wenn ein Grundstück – statt wie früher einem – 25 Eigentümern gehört.“

Was tun also? Einig war sich das Podium darin, die Genossenschaften als die einzig nachhaltige Struktur im Immobiliensektor zu stärken, antizyklisch zu denken und zu handeln, und Bauvorhaben kleinteilig zu entwickeln – und in hoher Qualität. Dafür aber brauchen Städte Ansprechpartner, mit denen sie überhaupt über das Thema sprechen können: „Ein Bestandshalter versteht unter Qualität etwas anderes als ein Projektentwickler, der auf den schnellen Verkauf aus ist“, so Elisabeth Merk. Auch Reiner Nagel war der Meinung, man müsse „dem Geld eine verantwortliche Rolle zuweisen“. Wie das gehen soll, wenn es andererseits „kaum noch verantwortungsvolle Bauherrn“ gebe, blieb am Ende aber ebenso offen wie die Frage, wie sich Bodenpolitik als Instrument nutzen lässt. Stoff genug also für eine Folgeveranstaltung.

Einigkeit bestand darin, dass man bei diesem Thema „dran bleiben muss“. Für die Veranstalter vom KAP Forum steht ohnehin fest, dass die Diskussion weiter geht.

Text und Bild: Jochen Paul

Nachlese: Christoph Ingenhoven – Supergrün

Nachlese
Reihe Vordenker. Christoph Ingenhoven
Supergrün. Positionen zur Zukunft des Bauens.

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Reihe Vordenker. Christoph Ingenhoven
Supergrün. Positionen zur Zukunft des Bauens.

Supergrün. Ist das wieder einer dieser überoptimalen Wortneuschöpfungen, die mehr über ihre Schöpfer sagen als über die Zustände, die sie beschreiben wollen? Ja und nein. Christoph Ingenhoven greift zum Mikro und entführt die Zuhörer erst mal auf eine Reise um die Welt. Aus der Perspektive der ISS geht es über das nachtleuchtende Italien und das dunkle Mittelmeer. Eine Infografik blitzt auf: Handelsströme werden sichtbar. Der Suezkanal, das Rote Meer, die Arabische Halbinsel. Das Bild des Raumschiffs Erde ist eines, das der Düsseldorfer Architekt benutzt, um eine Vorstellung zu geben von dem, was vor uns liegt: ein Bewusstseinswandel nämlich. Da passt „Supergrün“ als Anspruch, den „footprint“ von Gebäuden zu minimieren, ziemlich gut zu Vordenkern wie Buckminster Fuller oder Adlai Stevenson sowie zu Pionieren, die über den Tellerrand ihres Fachgebiets blickten, um das große Ganze in den Blick zu nehmen. Ingenhoven zählt Frei Otto zu seinen Lehrmeistern, ohne dass er je bei ihm studiert hätte. Ingenhoven lernte bei Hollein. Und schlug ganz andere Wege ein.

„Die ersten 20 Jahre hat uns niemand nach einem grünen Gebäude gefragt“, sagt Christoph Ingenhoven. Inzwischen sei das Thema bei den „Endverbrauchern“ angekommen. Diese entschieden über die Zukunft des Diesels ebenso wie über die Zukunft der Erde, die wir gerade überstrapazierten wie noch nie in der Geschichte des Planeten: Flächenfraß, Energieverschwendung, Nahrungsmittelknappheit – zu all diesen Themen hat Ingenhoven eine Statistik, eine Zahl, einen klugen Vergleich. Rund 18 Prozent der Weltbevölkerung lebten in Großstädten, doch diese stünden für 66 Prozent der Weltwirtschaftsleistung. Das ist so eine Zahl, die etwas klarmacht. Schon nach kurzer Zeit hat man den Eindruck: Dieser Mann hat eine Mission, ohne diese dogmatisch oder ideologisch zu verfolgen. Immer wieder fallen augenzwinkernd Sätze wie „die Leute wollen gar nicht böse sein“ oder: „Wenn man schon so viel Geld ausgibt, sollte es auch Spaß machen.“

Ingenhoven, der begnadete Kommunikator, weiß, wie er sein Publikum gewinnt. Unerwartet schießt er wieder einen Begriff in die Menge wie „Extracurriculär“. Was wie ein Wahlpflichtfach klingt nach Schulschluss, ist tatsächlich eine Grundüberzeugung des Büros. Warum nicht Mehrwert durch das Bauen schaffen, durch eine Passage etwa, ein ungeplantes Atrium für alle, eine großzügige Treppe? Etwas, was ursprünglich gar nicht im Briefing der Auftraggeber stand, eine überraschende Wendung, ein „kostenloses“ Add-On, das nur möglich wird, weil die Architekten an anderer Stelle einsparten.

Architektur hat bei Ingenhoven stets einen Auftrag, der über das Private hinausgeht. Sie ist öffentlich. Sie übernimmt Verantwortung. Und sie steht jenseits der formalen Vorlieben ihrer Baumeister. „Leistungsform“ nennt das Ingenhoven. Schönheit entstehe durch das Notwendige (Das Bild dazu: eine Segeljacht bei einer Regatta, der Satz dazu: „Das Richtige schafft das Schöne“). Auf diese Weise werden schon mal gängige Regeln außer Kraft gesetzt und durch die Form der Fassade thermische Aufwände befördert, um einen Gebäudekomplex natürlich zu belüften – oder gängige Architekturmanierismen kritisch hinterfragt. Warum sollte ein Hochhaus im tropischen Singapur Spiegelglas einsetzen oder blendenweiße Fassaden, wenn diese mit Kolonialismus verbunden sind oder dazu führen, dass Passanten Sonnenbrillen tragen müssen? Ingenhovens Marina One, ein Geviert aus Wohn- und Bürotürmen für über 20.000 Menschen, ist deshalb dunkel und bereits bei der Eröffnung teilweise überwuchert. Der Hochhauskomplex mit seinem grünen Herz gibt der Stadt ein Vielfaches des gesetzlich geforderten Minimums zurück: Atmosphäre, Aufenthaltsqualitäten, angenehme Wege, kurz: ein Stück Öffentlichkeit, ein Stück Natur, ein Stück Gemeinschaft. Energieeffizienz wird mit einem Mal greifbar, sinnlich. Ingenhoven ist überzeugt: „Häuser können immer einen Beitrag leisten.“ Das ginge aber nicht allein. Das bedürfe immer auch der „Liebe des Bauherren, der dazu bereit ist – und dann belohnt wird.“ Das funktioniert nicht nur in Übersee. Demnächst wird in Düsseldorf ein solch begrüntes Gebäude entstehen mit Schrägen wie Weinhänge mitten in der Stadt. Und irgendwann dürfte auch Stuttgart21 fertig werden und der Stadt einen großzügigen Park zurückgeben, durchzogen von Lichtaugen, die Frei Otto entwerfen half.

Dann kommt eine Überraschung: Ein Gebäude essen? So richtig? Und nicht etwa mit der Abrissbirne und dem Presslufthammer in der Hand? Das meint Christoph Ingenhoven auch nicht wörtlich. Und doch gibt er Architekt etwas auf dieses Sprachbild. Letztlich sei die Vorstellung, etwas „cradle to cradle“ zu bauen, also so zu errichten, dass seine Teile auch wieder Teile der Nahrungskette werden könnten, eine „Methode zu lernen.“ Eine ganz besondere Methode, müsste man hinzufügen, denn wenige Architekten haben sich so auf energieeffizientes Bauen eingelassen wie der Düsseldorfer. Seine Gebäude sähen deshalb nach Zukunft aus und nicht nach Hundertwasser, sagte SZ-Journalist Gerhard Matzig über Ingenhoven. Einen Blick auf diese Zukunft konnten rund 230 Gäste im vollbesetzten Kölner MAKK erhaschen.

Nachlese: Made in Germany

Nachlese
Was bedeutet Made in Germany heute?

Nachlese
Unternehmer-Quartett:
Was bedeutet Made in Germany heute?

Wir stehen mit unserem Namen dafür!

Die Köpfe von Carpet Concept, COR und Dornbracht sowie Artemide diskutieren über „Made in Germany“.

»Made in Germany«, das war ursprünglich als Brandzeichen für schlechte Qualität gemeint, dann eine Zwangsbezeichnung für Exporte ins Commonwealth und verwandelte sich, ganz im Gegensatz zur ursprünglichen Absicht, in eine starke Marke mit einem unschätzbaren Wettbewerbsvorteil für Produkte aus Deutschland. Was ist davon geblieben, angesichts von Dieselgate und Skandalen in der Großindustrie? Das diskutierten im KAP Forum vier Geschäftsführer mittelständischer Unternehmen, die für Qualität, Zuverlässigkeit und Design stehen.

Deutschland – Italien 1 : 1

Steffen Salinger, als Deutscher seit 14 Jahren in leitender Funktion beim italienischen Hersteller Artemide tätig, stand für einen doppelten Blick auf „Made in Germany“ – man könnte sagen: einen vertrauten Blick von außen. Aus seiner Perspektive steht „Made in Germany“ für einen klaren Qualitätsbegriff, untermauert durch die Trias „Innovation, Entwicklungs- und Produktqualität.“ Letztlich aber gehe es vor allem um „Werte“ – und diese hätten mit den Werten von Artemide „eine hohe Kongruenz.“ Was sich Deutschland gerne auf die Fahnen schreibt, gilt nach auch für Italien: „Die Netzwerke arbeiten international“, die erfolgreichen Marken seien alle „global aufgestellt und damit sehr erfolgreich.“ Der Exporterfolg nutzt freilich einen Dreh: Italiens stark beworbener Slogan heißt „Design made in Italy“ – damit assoziert man eine Qualitätsbezeichnung, die bewusst nicht in den Wettbewerb mit „Made in Germany“ begibt, sondern sich über Designkompetenz definiert, wo „man sich durchaus gegenüber Deutschland kulturell überlegen fühle“.

Fabrik in China? Bloß nicht!

Ist Deutschland als Produktionsstandort nicht zu teuer? Andreas Dornbracht, Geschäftsführender Gesellschafter von Dornbracht, antwortete mit einem flammenden Plädoyer für einheimische Fabriken. Das Label »Made in Germany« spiele vor allem in Asien und Übersee eine große Rolle. Der Verbraucher dort sehe die Marke und assoziiere die Herstellung in Deutschland, „auch wenn deutsche Unternehmen gegebenenfalls gar nicht mehr in Deutschland herstellen“ – ganz im Gegensatz etwa zu Dornbracht selbst, wo 100 Prozent der Wertschöpfung in Deutschland stattfinde. Wann immer Kunden und Distributeure in den USA und China ihn auf hohe Preise ansprächen und vorschlügen, doch gemeinsam eine Fabrik in China zu bauen, antworte Dornbracht: „bloß nicht!“ In Übersee habe „Made in Germany“ viel mit dem Produktionsstandort zu tun, mit dem Gefühl, wenn es aus Deutschland komme, dürfe es auch mehr kosten. Doch auch hier müsse man differenzieren: Bei Unternehmen wie Mercedes Benz etwa sorge allein die Marke dafür, dass auch Geländewagen, die in den USA produziert würden, als „Made in Germany“ wahrgenommen würden. „Es gibt da eine Gemengelage aus Marke und Label.“ Die Konsequenz klingt pragmatisch, ja selbstbewusst: „Es ist nicht so, dass wir Schwarz-Rot-Gold in Prospekten abbilden, das machen unsere Chinesischen Plagiatoren, die einige Funktionsteile in Deutschland zukaufen.“

Ideen und Produktphilosophie

Start-up-Kultur auch nach 25 Jahren verbreitete Thomas Trenkamp, Geschäftsführender Gesellschafter von Carpet Concept. Da er „Teppichboden immer als „textilen Baustoff“ verstanden habe und „Produktentwicklung als kontinuierlichen Prozess“, sei für ihn klar: „Made in Germany hat ganz viel mit einer Produktphilosophie zu tun, und zwar vor allem mit den Faktoren Funktionalität und Gestaltung sowie Nachhaltigkeit.“ Damit konnte sich Leo Lübke, Geschäftsführender Gesellschafter von COR Sitzmöbel, sehr gut identifizieren: „Auch wir Deutschen mögen Produkte aus heimischer Produktion und verbinden damit Qualität, Umweltfreundlichkeit und aufgrund der kurzen Wege von der Produktion zum Kunden einen guten Service.“ Wichtiger als das Siegel „Made in Germany“ seien jedoch die „Inneren Werte“ des Unternehmens, die zwar mit dem Fertigungsstandort zu tun hätten, aber eben nur ein Teil des Gesamtkonzeptes seien. Hier gab Lübke der Diskussion einen neuen Dreh: Eine gesunde Rentabilität sei natürlich die Existenzgrundlage jedes Unternehmens. „Der Antrieb, ein Unternehmen zu leiten, ist aber nicht ausschließlich monetärer Natur. Befriedigender als die Gewinnmaximierung oder Umsatzsteigerung ist die Realisierung von Ideen, die der Gründer voller Leidenschaft verfolgt hat. Für mich persönlich ist es sehr befriedigend, viele unterschiedliche handwerkliche Berufe unter einem Dach zu vereinen und den Mitarbeitern gute Arbeitsplätze anbieten zu können.“

Nachhaltige Unternehmensführung

Der deutsche Mittelstand kann sich nicht auf seinen Traditionen, seiner Qualität und dem Vorsprung intelligenter und flexibler Produktion ausruhen, wenn neue, digitale Geschäfts- und Vertriebsmodelle anstehen, neue Wettbewerber und neue Produktionsverfahren wie etwa der 3-D-Druck. „Wenn andere Länder stärker in die Individualisierung und die Losgröße eins einsteigen“, sagte Andreas Dornbracht, „müssen wir uns sputen, dass wir Industrie 4.0 in den Griff kriegen.“ Und Dieselgate? Hier könnten durchaus langfristige Schäden bei „Made in Germany“ entstehen – ein Problem sei die „Verschleppungs- und Salamitaktik“, sagten Trenkamp und Dornbracht unisono. „Wir als Mittelstand haben eine Riesenchance, dass wir mit unserem Eigentum dafür einstehen, dass wir gewissen moralischen Prinzipien auch folgen.“ Nachhaltigkeit in der Unternehmensführung, nicht nur nachhaltige Produkte, da waren sich alle auf dem Podium einig.

Deutlich wurde in der Diskussion, dass Nachhaltigkeit, Flexibilität und lokale Produktion keine Lippenbekenntnisse des Mittelstands sind, sondern echte Stärken, deutlich in einem Satz des Deutsch-Italieners Salinger: „Wir alle streben nach Werten, die sich um Menschen drehen und um Qualität und Innovation.“ So war dieser Abend tatsächlich einer über Werte für Menschen – und nicht nur einer über Warenwerte.

Text: Oliver Herwig und Andreas Groß
Fotos: Studio für Gestaltung

Nachlese: Corporate Architecture

Nachlese
Corporate Architecture

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Corporate Architecture
Wenn Gebäude Zeichen setzen

Wer Unternehmensarchitektur sagt, denkt womöglich noch an klassische Bauten wie den Münchner BMW-Vierzylinder von 1972 oder, neuerdings, an die angeblich vier Milliarden Dollar teure Apple-Zentrale in Kalifornien. Gerhard Matzig beschrieb sie übrigens unlängst in der Süddeutschen Zeitung  als „Lachnummer.“ Ständig liefen Mitarbeiter und Besucher „gegen die besonders reflexionsarmen und fast unsichtbaren Glaswände – Schnittwunden und Gehirnerschütterungen inklusive. Bunte Haftzettel, mit denen Mitarbeiter vor der Gefahr warnen, werden aus ästhetischen Gründen konsequent wieder entfernt.“

Der Abend in der voll besetzen Aula des MAKK zeigte eine andere, eine zukunftsgerichtete Welt der Corporate Architecture. Zunächst legte Professor Jochen Siegemund vom CIAD Cologne Institute of Architectural Design der TH Köln das argumentative Fundament: Ausgehend von Peter Berends rollte er die Geschichte der Corporate Architecture als Verbindung zur Welt der Marken auf. „Mit dem Erwerb eines Markenartikels kauft der Kunde nicht nur einen Gebrauchs- oder Verbrauchsgegenstand, sondern zusätzlich einen ideellen Gegenstand, nämlich ein Versprechen, das an die Markierung (Marke) der Ware geknüpft ist, ein Versprechen bezüglich der Eigenschaften des Produktes.“ Seine Folgerung für die gebaute Umwelt: „Architektur ist gebaute Identität für die analoge Begegnung mit Unternehmen und Marken, um Unternehmensinhalte zu kommunizieren, um alle Sinne anzusprechen: Sehen, Fühlen, Hören, Riechen und Schmecken.“

Gebaute Identität

Anschließend beleuchten Gerhard Wittfeld, Geschäftsführer kadawittfeldarchitektur, Martin Henn, Managing Director HENN Architekten, und Werner Sübai, Geschäftsführer, HPP Architekten, in drei pointierten Statements die aktuelle Entwicklung. Sie zeigen, dass neue Werte dominieren: Öffnung, Vernetzung und Kommunikation.

Gute Büroräume allein reichen nicht mehr. Denn gearbeitet wird heute überall – und ständig. In der digitalen Ära kommt Architektur daher viel entscheidenere Rolle zu: als einmaliger Ort der Begegnung und zugleich Ausdruck dreidimensionaler Markenkommunikation. Dabei wird Corporate Architecture zum Akquise-Instrument beim weltweiten „war for talents“.

Wie aber funktioniert das? Professor Jochen Siegemund: „Die architektonischen Strukturen werden geöffnet. Der Fokus verschiebt sich auf die Community, also das Sozialleben bei der Arbeit.“ Das heißt konkret für Bauten: „Es wird offener und freier geplant, Grenzen werden aufgehoben. Statt enger Flure entstehen Bereiche mit Aufenthaltsqualität, die als sozialer Treffpunkt dienen.“

Offene Stadt

Wie sich Gebäude zur Stadt und zur Gesellschaft öffnen, führten die drei Architekten Gerhard Wittfeld, Martin Henn und Werner Sübai auf je eigene Art vor, etwa Gerhard Wittfeld mit dem Direktionsgebäude der AachenMünchener, das den in Aachen Bürgern ein Stück Stadtraum zurückgab, mit einer Reihe von Plätzen, einer direkten Fußwegeverbindung zwischen Hauptbahnhof und Innenstadt und diversen „Fremdnutzungen“ der einst abgeschirmten Firmenzentrale. Wittfeld: der „Forderung nach maximaler Öffentlichkeit und Kommunikation folgt auch die interne Organisation der Gebäude“. Plötzlich ist Transparenz kein bloßes Schlagwort mehr, sondern erfahrbarer Teil der Stadtlandschaft.

Der Rücksturz in die Stadt war auch beim Merck Innovation Center in Darmstadt (HENN Architekten) zu erleben: Das Gebäude nimmt sich zurück und öffnet sich zu einem Platz, während im Inneren Rampen einzelne Ebenen verbinden – getreu der Devise „von der Hierarchie zum Netzwerk“.

Mensch im Mittelpunkt

Wenn der Mensch tatsächlich im Mittelpunkt stehen soll, braucht es neue Organisationsformen und neue Leitbilder auch in der Architektur, bewies Werner Sübai (HPP) bei einer Reihe von Projekten, vom neuen L’Oreal Headquater in Düsseldorf, das den Typus Hochhaus bewusst locker und differenziert als Folge transparenter Arbeitswelten weiterentwickelt, bis zum Düsseldorfer „Cradle“, das konsequent auf dem Cradle-to-Cradle-Prinzip fußt. „Mehrwert für Mensch und Quartier“ bedeutet eben auch, „gesamtheitlich identitätsstiftende Räume zu schaffen.“

Deutlich wurde an diesem Abend, wie sehr Corporate Architecture „dazu beitragen kann, zukunftsweisende Werte zu vermitteln“ (Jochen Siegemund). Das tut sie in Berlin, Darmstadt, Aachen und Düsseldorf auf je andere Weise, aber unter gemeinsamen Prämissen. Die neue Corporate Architecture öffnet Möglichkeitsräume für Begegnungen – zwischen Mitarbeitern wie zwischen Unternehmen und Stadtgesellschaft. Dabei kommt es auch darauf an, nicht nur das Büro neu zu denken, sondern vor allem den Weg dahin (Martin Henn). Dass sich (unternehmerische) Macht dabei eben auch geschickter tarnt und sich die agile Firma bereits außen anders darstellen will als das monolithische Konzerne von gestern, versteht sich beinahe von selbst.

Fotos: Studio für Gestaltung
Text: Oliver Herwig

Nachlese: Architektur & Bildung

Nachlese
Architektur & Bildung

Nachlese
Architektur & Bildung

Treibstoff Bildung
Zündende Diskussion für neue (Schul)räume

Sie ist wieder da und notwendiger denn je: die große Bildungsdebatte. In den nächsten Jahren müssen Milliarden in neue Schulbauten gesteckt werden, Experten beklagen einen gigantischen Sanierungsstau. Wie sollen diese Schulen aussehen, wenn Josef Kraus, Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, über die bestehenden sagt: „Die deutschen Schulen sind Ruinen“?

Das KAP Forum lud daher Experten – Pädagogen, Bildungsmanager, Architekten und Städtebau – ein, zukunftsweisende pädagogische und reale Räume vorzustellen. Und den Zusammenhang zwischen dem Ort und den Erfolgen der Lehre aufzuzeigen.

Andreas Niessen, Schulleiter des Geschwister-Scholl-Gymnasiums in Pulheim, setzte mit seinen Thesen den Ton: „Die klassische Flurschule zementiert eine Pädagogik, die nicht mehr zeitgemäß ist“, sagte der designierte Leiter der neuen Grund- und Gesamtschule auf dem Helios-Gelände in Köln Ehrenfeld. Ihm – und allen anwesenden Architekten und Pädagogen – ging es um die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts, um neue und vielfältige Lernformen, Teamarbeit, Inklusion und Teilhabe.

Schnell wurde deutlich, dass der Ort des Lehrens und Lernens viel umfassender und aktiver gedacht werden muss: Aus Klassenzimmer werden Lehr- und Lernräume, ja offene, flexible, transparente Raumgefüge, die inspirieren und fordern. Dazu müssen vielfältige individuelle Zugänge zum Lernen entstehen, während sich die Schule selbst mit Stadt und Gesellschaft verzahnt.

Dass und wie das möglich ist, bewiesen drei Architekten und Stadtplaner, die mit ihren Häusern bereits Standards in Köln und München setzten:

Johannes Talhof, Partner von Hess Talhoff Kusmierz Architekten und Stadtplaner BDA, griff mit der Grundschule am Arnulfpark in München das Konzept der Lernhäuser bereits auf, noch bevor es offiziell propagiert wurde. Talhof: „Schule ist nicht nur ein Ort zum Lernen, sondern auch zum Leben.“

Professor Gernot Schulz, Dekan des Fachbereichs Architektur an der Hochschule Bochum, zeigte, wie die Kölner Bildungslandschaft Altstadt Nord flexible Raumangebote und starke Architektur verbindet. Ein Haus fast ohne Flure. Das war nur möglich, weil etwa Bedenken der Feuerwehr (Fluchtwege und Brandschutz) ernstgenommen und überzeugend aufgelöst wurden: Mitten in Köln entsteht vom Studienhaus mit Bibliothek über die zur von den Schülern künftig selbst betriebene Mensa bis zum angrenzenden Park, der selbstverständlicher Teil einer offenen Schullandschaft wird, ein Lernort mit Zukunft.

Johannes Schilling, Professor für Architektur an der Münster School of Architecture, legte zunächst einen persönlichen Zugang zur Architektur als Schüler der Montessori-Schule, die es verstand, Begeisterung zu wecken und Komplexes anschaulich, ja begreifbar zu machen. Die von seinem Büro entworfene Grund- und Gesamtschule im Helios-Gelände gilt inzwischen als Muster einer neuen Generation von Schulen: offen und bergend zugleich, flexibel und voller Anregungen. Seine Überzeugung: „Die Schule ist ein künstliches Dorf, voller Beziehungen.“

Wenn es Bilder sind, die unser Denken prägen, so gab Dr. Peter Rösner reichlich Grund zum Nachdenken. Der Leiter der Stiftung Louisenlund schoss Sprachbilder durch den Raum wie Feuerwerkskörper. Für den ehemaligen Stiftungsleiter des „Hauses der kleinen Forscher“ muss die Auseinandersetzung mit schwierigen Naturwissenschaften viel früher beginnen als in der Schule, im Idealfall bereits im Kindergarten. Nun ist Rösner selbst Bauherr. Seine künftige Schule sieht er offen wie ein Labor – gedanklich wie räumlich.

So war dieser Abend selbst ein Gedankenlabor, voller Ideen und Gedanken, die auf gesellschaftliche Umsetzung warten. Andreas Niessen: „Der bauliche, funktionale und ästhetische Zustand vieler Schulhäuser drückt eine erschreckend geringe Wertschätzung gegenüber Lernenden und Lehrenden und der Bedeutung von Bildung insgesamt aus.“ Doch offenbar ändert sich etwas, Schließlich ist „Bildung der Rohstoff, aus dem die Kraft, die Ideen und Visionen für unsere Gegenwart und Zukunft stammen“ (Andreas Grosz).

Nachlese: Volkwin Marg!

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23.01.2018

Volkwin Marg!
Ein Abend über Architektur und Leben.

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Volkwin Marg!
Ein Abend über Architektur und Leben.

Das MAKK war bis auf den letzten Platz gefüllt. Direktorin Petra Hesse hatte in Windeseile eine Ausstellung abbauen lassen, damit 350 Gäste Volkwin Marg erleben konnten. Der Gründer und Partner von GMP öffnete sehr persönliche Einblicke in sein Denken und Leben. Im Gespräch mit Oliver Herwig zeigte sich Marg als scharfer Denker, der virtuos Satz- und Hochbau verband, Musik und Grönlandreisen, Ingenieursethik und gesellschaftliche Verantwortung.

Bereits am Anfang stellte der Wahl-Hamburger klar, dass er sich nicht als Stararchitekt verstehe – im Gegenteil. „Mir geht es um gute Architektur, das steht im Mittelpunkt.“ Und setzte nach: „Stars sind etwas fürs Showgeschäft.“ Seine Vorstellung von Architektur vollziehe sich jenseits des Medienrummels. Es gehe nicht immer um das eine Haus, was zähle, sei die Einbettung ins Umfeld, die Stadt, die Umgebung.

Bauen bedeutet für Volkwin Marg Verantwortung übernehmen. Und Haltung zeigen. Marg sieht die Bauwelt der letzten Jahre dramatisch verändert. Das Bauen werde anonymer, Projekte würden vielfach nur aus spekulativem Interesse vorangetrieben, und der echte Bedarf spiele eine immer geringere Rolle. Vom Nutzen ganz zu schweigen. Es gehe oft nur um Anlagemöglichkeiten des um den Globus vandalierenden Geldes. Wer werde dafür einmal Verantwortung übernehmen?

Augenzwinkernd räumte Marg selbst Irrtümer und Fehlgriffe als junger Architekt ein, etwa, als er das vier Meter hohe Bad des Vaters – so etwas das gehe in der von Le Corbusier geprägten Moderne doch nicht mehr– durch einen Bretterverschlag kappte, der prompt bei der ersten Badbenutzung in sich zusammenviel. Das Publikum war begeistert.

Volkwin Marg, der begeisterte Skipper: „Im Schiffsbau dominierte in der Auseinandersetzung zwischen Funktion, Technik und Natur das rein Baumeisterliche. So sollte es auch in der Architektur sein. Es sei denn, die Deutung ist der Sinn.“ Im Laufe des Gesprächs über sein Engagement in China und für große Sportstätten weltweit entwickelte Marg eine kleine Check-Liste für geradlinige Architektur: Funktionalität, Ehrlichkeit, technisch-konstruktive Selbstverständlichkeit – und schließlich auch – Gefallen. „Früher gab es ja den Begriff der Schönheit. Heute im Grunde genommen ein Nicht-mehr-Begriff. Alles hat heute wirtschaftlich zu sein, nicht gut. Gewinn wird nur noch als monetärer Profit begriffen.“ Bauen hat bei Volkwin Marg eben immer auch die Facette: Bauen an der und für die Gesellschaft. Eitelkeiten hätten dabei keine Rolle zu spielen. Seine Rolle sah er als „Baumeister“ im umfassenden Sinn.

Der „Tagesspiegel“ schrieb anlässlich Ihres 80. Geburtstags im Oktober 2016: „Was er baut, funktioniert sofort“. Ein schöneres Kompliment lässt sich kaum denken, besonders, wenn man an den Tegeler Flughafen von 1965 denkt. Mit diesem Wettbewerbserfolg hatte alles angefangen. Er funktioniert bis heute, obwohl er ja längst eingestellt werden sollte – und nicht wenige bedauern dies.

„In 50 Berufsjahren und in einem 80-jährigem Leben habe ich viel erfahren und lernen dürfen, aber weise geworden bin ich nicht“, schreibt Volkwin Marg im Vorwort seines wunderbaren Gesprächsbuches „Der Verstand so schnell, die Seele so langsam“ (Niggli, 2016). In Köln erlebten wir einen vor Ideen und Witz sprühenden Macher. Schnell wurde deutlich, dass seine Haltung in allumfassender Bildung gründet. Der Architekt nannte frühe Wendemarken: Das musisch geprägte Elternhaus (der Vater, Pastor, malte und brachte sich selbst Instrumente bei), die Jugend in der DDR, die Strahlkraft moderner Architektur und der Entschluss in den Westen zu gehen, führten zunächst zum Wunsch, Denkmalpfleger zu werden. Doch in West-Berlin fand sich dafür einfach kein Studienplatz. Zum Glück, müssen wir sagen. Denn so konnte aus einem kleinen Büro ein großer Player der Architekturwelt werden, der nicht nur erhält, sondern vor allem mit den Mitteln unserer Zeit weiterdenkt.

Lesevergnügen:

Volkwin Marg: Der Verstand so schnell, die Seele so langsam – Gespräche wegen Architektur, 368 Seiten; niggli Verlag 2016, – ISBN 978-3721209624, 44 Euro.

http://www.niggli.ch/en/der-verstand-so-schnell-die-seele-so-langsam.html

Begrüßung: Dr. Petra Hesse, Direktorin MAKK
Einführung: Andreas Grosz, KAP Forum
Moderation: Oliver Herwig, KAP Forum
Fotos: Tobias Groß, Studio für Gestaltung

Beitrag: »Vorbilder für das Wohnen der Zukunft«

Nachlese
»Vorbilder für das Wohnen der Zukunft«

»Vorbilder für das
Wohnen der Zukunft«

Von Tim Attenberger / KSTA 22.11.2017

Den Blick in andere europäische zu richten, um sich so Anregungen für die Stadtentwicklung in Köln zu holen, gehört zu den erklärten Zielen der Vortragsreihe „Kölner Perspektiven“. Die Veranstalter Stadt Köln, Industrie- und Handelskammer (IHK) zu Köln, Kölner KAP Forum Architektur, Technologie, Design und „Kölner Stadt-Anzeiger“ haben am Montagabend zum Abschluss des diesjährigen Themas „Wohnen und Arbeiten“ fünf international tätige Architekten eingeladen, ihre Projekte mit Vorbildcharakter zu präsentieren.

Finn Geipel, Lin Architekten Urbanisten, Berlin
Finn Geipel verglich zwei seiner laufenden Projekte in Paris. Für eine der letzten unbebauten Brachflächen am Ufer der Seine hat sein Büro ein Gebäude mit 160 Wohnungen entworfen – die Hälfte davon sind öffentlich gefördert. Eigentum koste dort 30 000 Euro pro Quadratmeter, während eine Sozialwohnung lediglich auf 2500 Euro pro Quadratmeter komme. „Wir haben es trotzdem geschafft, fast allen Wohnungen einen Flussblick zu ermöglichen“, sagte Geipel. Da eine weitere Verdichtung im Zentrum nicht mehr möglich sei, konzentriere man sich zunehmend auf die Banlieu, also die Außenbezirke. Als Beispiel nannte Geipel das vormals industriell geprägte Gebiet von Freinville, das schlecht erschlossen war. Um das Neubaugebiet attraktiver zu gestalten, sei es zuvor mit einer Straßenbahn und der Rundbahn Grand Paris Express angebunden worden.

Anne Kaestle, Duplex Architekten, Zürich
Anne Kaestle stellte das Neubaugebiet Hunziker-Areal in Zürich vor, für das sich 50 Genossenschaften zusammengeschlossen haben. „Wir vertreten die These, dass neuer Stadtraum nur entsteht, wenn der Zwischenraum genauso liebevoll gestaltet wird wie die Architektur“, sagte sie. Deshalb habe das Büro 13 dicht aneinander stehende Gebäude entworfen, um Wohnraum für 1200 Menschen bauen zu können und dabei Freiflächen zu erhalten. „Das Ergebnis ist wie eine Familie – jedes Gebäude ist gestalterisch miteinander verbunden, hat aber trotzdem einen individuellen Charakter.“

Luca Selva, Luca Selva Architekten AG, Basel
Luca Selva beschrieb Basel als eine relativ kleine und deshalb sehr dicht bebaute Stadt. „Die Stadt muss sich mit dem Umland verbinden, um wachsen zu können“, sagte er. Andererseits gehe es auch darum, kleine Nischen in der Stadt zu entwickeln. Selva präsentierte einen Schul-Neubau, der terrassenförmig angelegt wurde, um Platz zu sparen. Die Architekten legten die Turnhalle zudem unterhalb des Pausenhofs.

Julian Weyer, C.F. MøllerArchitects, Aarhus
Julian Weyer unternahm einen Streifzug durch die aktuellen Projekte des dänischen Traditionsbüros C.F. Møller. „Es geht mittlerweile wieder darum, die Natur zurück in die Stadt zu bringen“, sagte er. So habe seine Firma etwa in Stockholm ein 25-geschossiges Holz-Hochhaus bauen lassen. Um ein biomedizinisches Forschungszentrum mit einem großen Park umgeben zu können, habe man sich für eine mittelalterliche Struktur entschieden und die Gebäude extrem dicht aneinander gesetzt.

Mads Birgens Kristensen, Cobe, Kopenhagen
Mads Kristensen, dessen Büro Cobe auch den Deutzer Hafen umwandeln wird, stellte ein ähnliches, aber deutlich größeres Projekt in Kopenhagen vor. Im Nordhafen sollen in den nächsten 50 Jahren 40 000 Arbeitsplätze und Wohnungen für 40 000 Menschen entstehen. Ein Metro-Anschluss wurde bereits vor Baubeginn geschaffen. Um das Viertel rund um die Uhr zu beleben, werden in den Gebäuden Büros und Wohnungen gemischt. „So gibt es auch abends Licht in den Fenstern, was ein Gefühl von Sicherheit vermittelt.“

Tim Attenberger
KSTA vom 22.11.2017

Nachlese: Architektur & Gesellschaft

Nachlese
12.10.2017

ARCHITEKTUR & GESELLSCHAFT
ROUND-TABLE-GESPRÄCH

Nachlese
ARCHITEKTUR & GESELLSCHAFT
ROUND-TABLE-GESPRÄCH

Wo liegt eigentlich Alfter?

Diese Frage, die wahrscheinlich jedem schon einmal in den Sinn gekommen ist, der von der Alanus Hochschule gehört hat, stellte sich auch Andreas Grosz, Leiter des KAP Forums. Nach häufigeren Treffen auf KAP Veranstaltungen oder Architekturvorträgen mit unserem Fachbereichsleiter Benedikt Stahl, faszinierten ihn die Themen und besonders die Umgangsformen der Alanus immer mehr.
So kam es – im Rahmen des KAP on tour – zu einem Besuch, bei welchem Professoren, Mitarbeiter und Studierende in sechs Kurzvorträgen eine Antwort geben durften, warum es sich zu wissen lohnt, wie man nach Alfter kommt.

Dass die Herangehensweise an das Architekturstudium an der Alanus Hochschule als eher unkonventionell eingestuft wird, mag wohl bekannt sein. Statt dem Auswendiglernen von Gesetzestexten und Errechnen von Statikproblemen, beginnt man hier damit, seinen eigenen Körper, dessen Umfang und damit auch die notwendigen Platzansprüche des Menschen darzustellen und zu verstehen.
In den Projekten der ersten, zweiten und dritten Haut fertigt man Zeichnungen seiner selbst in Lebensgröße an, klebt, näht und schweißt sich ein Gewand, das zum Beispiel aus Papier ist oder gegen Kälte schützt und entwirft ein erstes kleines Haus. Dabei begegnet man im eigenen Tun verschiedenen Tätigkeiten und Themen aus der Architektur. Zeichnen natürlich, Materialkenntnis, Baugeschichte, menschliche Bedürfnisse, Entwerfen und Entwurfsmethoden, räumliches Umsetzungsvermögen nicht zuletzt auch die Frage nach der Sinnhaftigkeit der gefundenen Lösungen oder die Berechnung von Kosten für die verwendeten Mittel und vieles mehr. Eine Art Modellstudium für die großen Dinge, die dann kommen.

Experimentelle und interventionäre Projekte setzen sich unter dessen mit politischen Themen der Umgebung auseinander. Das Projekt ‘Raum auf Zeit‘ hinterfragt städtischen Kontext und warum dieser vielleicht nicht ganz so gut funktioniert wie er es eigentlich sollte. Hier erfahren Studenten und Professoren, anhand von kleinen Projekten eine intra- und interdisziplinäre Zusammenarbeit, die von der Planung bis zur endgültigen Umsetzung reicht.

Was es letztendlich bedeutet an der Alanus Hochschule zu studieren, vermochte das erste studentische Plädoyer anhand überaus atmosphärischer Bildeindrücke zu vermitteln: Ein persönlicher Bezug zu den Professoren, da man sich in kleinen Jahrgängen den Projekten nähert, eine offene Haltung gegenüber allen Persönlichkeiten und Charakteren, die es für jeden einzelnen zu erforschen gilt, sowie die Möglichkeit sich in einer Vielzahl unterschiedlichster Themen – auch die des Studium Generale – zu verwirklichen. Wie auch immer man sein Studium hier bewältigt, dass es DAS Studium an der Alanus gäbe, kann man nicht sagen.
Was sich jedoch sagen lässt (um mit Wittgenstein zu sprechen), dass lässt sich klar sagen. Zum Beispiel nämlich wie sich die Arbeit mit den Menschen, Themen und Projekten einem Lehrenden offenbart, dessen liebstes Projekt stets das aktuelle ist.
Besonders auffällig seien die stets präsenten Studierenden, welche voneinander lernen und eine gemeinsame Arbeitsphilosophie entwickeln, aus der sich die Konzeption diverser Themen, wie zB. Lernen, Wohnen oder Arbeiten entwickelt und sich zuletzt in der Komplexität der Projekte widerspiegelt.

Eine intelligente Nüchternheit bei der man sich jedoch fragt: Was ist hier eigentlich Kunst? Bei der Gegenüberstellung zweier Lehrräume der Hochschule, der Seminarräume und der Ateliers wird dies nur allzu deutlich. Während der eine die klare Sachlichkeit einer Lerneinrichtung suggeriert, offenbart sich der andere als das manifestierte Chaos in Form einer ständig wandelbaren Raumcollage, die jede Handlung kunstvoll in Szene setzt und in eine soziale Plastik verwandelt, sodass sich sagen lässt: Alles hier ist Kunst!

Am Klimax der Erkenntnis und des gewonnenen Eindrucks gesteht man schließlich ein, das Entertainmentlevel nicht mehr halten zu können. Dennoch schließt der letzte Punkt, nämlich ‘was kommt eigentlich nach dem Bachelorstudium? – das Masterstudium‘ mit der Frage: Was kann man sich unter Prozessarchitektur vorstellen, den runden Bogen in die Vortragsreihe.

Im Anschluss an die lebendigen und zugleich informativen Präsentationen, wurde noch gemeinsam mit allen Gästen gegessen, getrunken, geredet und gelacht. Alanus eben und Alfter liegt da, wo die das machen.

Text: Max Bentler, BA-Architekturstudent im dritten Studienjahr

Fotos: Nikolai Kaufmann