Hygge reicht nicht!

Monika Lepel über spannende Orte, neue Arbeitsplätze und den Boom der Innenarchitektur.

Innenarchitektur boomt. Was bedeutet das konkret?

»Die Innenarchitektur« als Aufgabe und Thema boomt erkennbar, ob der Markt davon profitiert, ist eine andere Frage. Der Blick auf unsere Innenräume ist geschärft, weil sich die möglichen Aufenthaltsorte reduziert haben. Wir sind einfach an weniger Orten präsent. Das schärft die Frage nach der Qualität des Innenraums. Bei unserem Spezialgebiet der Gestaltung von Arbeitsplätzen ist der Anspruch, attraktive, also anziehende Orte zu schaffen, relevanter denn je. Und besonders über das Post-Covid-Office denken wir gemeinsam mit unseren Kunden nach.

Nehmen wir Räume anders wahr? Steigt gar der Stellenwert und die Wertschätzung guter Innenraumgestaltung?

Auf jeden Fall. Die Wertschätzung für den besonderen Raum ist unübersehbar. Aber: »Hygge«, also die feine nordische Gemütlichkeit, die ja momentan im privaten Umfeld so beliebt ist, reicht aus unserer Sicht nicht aus: Drama muss sein! So wie wir die Theater vermissen, sehnen wir uns auch wieder nach den großen Hallen, dem starken Auftritt, der mutigen Geste. Da gibt es ganz viel Sehnsucht und Vorfreude. Das kann ein liebevoll gestaltetes Zuhause nicht bieten. Das Erleben von Natur wird auch immer bedeutungsvoller. Das Gefühl verbunden zu sein – Weite und Lebendigkeit zu spüren. Das ist für uns in vielerlei Hinsicht reizvoll.

Lange Zeit wurde das Büro immer wohnlicher. Nun sitzen viele Menschen im Homeoffice. Wie reagierst Du gestalterisch auf die seltsame Beziehung Arbeiten im Heim? Ist das überhaupt ein Feld für Dich?

Wir planen keine Arbeitsorte für Arbeitnehmer*innen im privaten Umfeld. Das Thema ist aus meiner Sicht eher für Produktentwicklung interessant. Die Unternehmen müssen klare Grenzen setzen: Bis wohin übernehme ich Verantwortung? Wo greife ich ein? Die Politik beschäftigt sich hiermit, das wird dauern und tangiert unseren geliebten Freiheitsbegriff.

Apropos spannend: Was ist das augenblicklich spannendste Projekt?

Der Umbau des »Haus Watt« der Aurelis Real Estate ist fast abgeschlossen – ein Baustein der Revitalisierung des Turbinenwerks der Aurelis Mannheim. Wir lieben Industrieareale, weil sie großes Potenzial für Freiheit in der Gestaltung und Nutzung bieten. Genau das ist es, was besonders gut tut: Größe, Mut & Freiheit. Das hat auch schon mit unserer Planung für die REWE digital im Carlswerk Köln gut funktioniert und tut es bis heute. Unser erstes Hochhaus »Loksite« für Dieringer & Scheidel im Glücksteinquartier ist – ebenfalls in Mannheim – gerade im Bau. Da drehen sich die Kräne.

Wie schätzt Ihr die weitere Entwicklung in den Bereichen Architektur und Innenarchitektur ein?

Für Office und Verwaltung werden wir im kommenden Jahr die Lerneffekte aus verändertem Verhalten umsetzen. Die Architektur bei uns ist extrem stabil, weil wir unter der »Architektur der Freiheit« unter anderem Nutzungsänderung verstehen: Flexible Strukturen sind ein Muss. Besonders die Verwaltungen bewegen sich gerade. Ein Umbruch ist spürbar und wird sich sowohl in Neu- als auch in Umbauten manifestieren. Wir haben auch richtig Lust darauf, über die Innenstädte im Hinblick auf veränderte Wahrnehmung und Nutzung nachzudenken.

Monika Lepel, Innenarchitektin AKNW BDIA, führt mit ihrem Mann Reinhard Lepel seit 1994 das Büro LEPEL & LEPEL Architektur Innenarchitektur in Köln. Nach ihrer Ausbildung an der Peter Behrens School of Architecture in Düsseldorf und der internationalen Sommerakademie in Salzburg war sie als Innenarchitektin bei KSP in Köln tätig. Von 1992 bis 1996 unterrichtete sie Grundlagen der Gestaltung an der PBSA in Düsseldorf.

www.lepel-lepel.de

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