Together!

Chancen neuer Typologien im Wohnungsbau

Was heißt heute eigentlich Gemeinschaft? Und warum ist sie überhaupt eine gestalterische Aufgabe? Die Kuratoren der Ausstellung „Together!“ im Hamburger MKG, Ilka und Andreas Ruby, sprechen über die Chancen neuer Typologien im Wohnungsbau. Und darüber, was Architekten und Immobilien-Entwickler für neues Gemeinschaftswohnen tun können.

Im Bild zu sehen sind: Andreas und Ilka Ruby
Ihre Ausstellung im Vitra Design Museum war 2017 ein Volltreffer. Ein brandaktuelles Thema, aufbereitet aus historischer, gestalterischer und soziologischer Perspektive. Haben Sie das Konzept in/für Hamburg verändert?

Ergänzt. Es gibt zusätzliche Projekte aus Hamburg, historische und zeitgenössische. Vor allem aber einen ganz neuen Raum, der sich damit auseinandersetzt, wie sich der Wohnungsbestand an heutige Bedürfnisse anpassen lässt.

Wie funktioniert das: Wohnungen anpassen?

Wir zeigen Ideen, wie Hamburger Genossenschaftssiedlungen aus den 1950er bis 1970er Jahren zeitgenössisch weiterentwickelt werden können. Die Vorschläge sind eine Auswahl aus dem Konzeptfindungsverfahren „Wohnen – und was noch?“, das die Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen in Zusammenarbeit mit acht Hamburger Wohnungsbaugenossenschaften und einer Stiftung durchführte. Architekten aus dem In- und Ausland entwickelten architektonische und städtebauliche Ideen zu neuen Formen des gemeinschaftlichen Wohnens, der Arbeit und der Mobilität.

Und was fiel Ihnen dabei besonders auf?

Wenn sich die individuelle Mobilität verändert und aus vielen Parkplätzen Flächen freiwerden, können wir Angebote für die Gemeinschaft machen. Freiraum wird allgemein als gemeinschaftlicher Raum entdeckt. Dort kann Gemeinschaft entstehen, Nachbarschaft. Monofunktionale Siedlungen richten im Erdgeschoss Werkstätten ein und Büros, die jede(r) mieten kann. Wohnen und Arbeiten werden stärker verknüpft und so die Randlage zu einem Ort mit Leben. Die Funktionstrennung aufzuheben. ist natürlich sehr zeitgenössisch.

Andererseits ist Wohnungsnot real. Wohnungen sind Waren, wie etwa Ernst Hubeli in seinem Essay „Die neue Krise der Städte“ schreibt. Müssen wir vor diesem Hintergrund Gemeinschaft grundsätzlich neu denken?

Nein, wir müssen Gemeinschaft nicht grundsätzlich neu denken. Sondern uns einfach bewusst machen, dass die für uns normative Wohnkultur des 20. Jahrhunderts, die auf eine 2-Generationen-Familienstruktur ausgerichtet ist, historisch gesehen eine Anomalie ist.
Über Jahrhunderte haben Menschen eher in Mehrgenerationen-Haushalten gewohnt und gearbeitet. Auch aus wirtschaftlichen und sozialen Gründen war es naheliegend, dass Menschen Gemeinschaften bilden, um füreinander zu sorgen. Die Bewältigung der Aufgaben von Broterwerb, Kindererziehung und Altenbetreuung, die in unserer heutigen Gesellschaft nicht nur Frauen seriell an den Rand des Nervenzusammenbruchs bringt, war in vormodernen Zeiten über drei Generationen aufgeteilt.
Das in unserer Ausstellung präsentierte gemeinschaftliche Wohnen ist in gewisser Weise eine räumliche Sozialanamnese des über Jahrhunderte als selbstverständlich gemeinschaftlich praktizierten Wohnens, das im Zuge der Industrialisierung und des Wirtschaftswunders nach dem 2. Weltkrieg unter die Räder des Fortschritts geraten war. Deswegen geben wir auch im ersten Raum einen Rückblick auf diese Kultur, damit die Voraussetzungen der aktuellen Entwicklungen verständlich werden.

Zusammen: weniger allein!

Wenn wir schon die historische Perspektive betrachten: Bei „Together“ steigen Bilder vom Monte Veritá auf, von Kommunen und Kibbuz-Siedlungen, die das Privateigentum überwunden haben. Ausgerechnet die „Immobilien-Zeitung schrieb bereits 2001, dass die WG selbst bei „über40-Jährigen“ beliebt sei – und zwar als „gutes Mittel gegen Vereinsamung.“ Was waren Ihre Erfahrungen während der Recherche? Lebt es sich in der Gemeinschaft zufriedener?

Da die traditionellen Gemeinschaften wie Großfamilie oder die Standard-Familie aus Eltern mit 1,5 Kindern immer seltener werden, suchen Menschen vermehrt Gemeinschaft in neuen Konstellationen jenseits der Familie. Wir Menschen sind nun mal soziale Wesen. Wissenschaftliche Studien belegen, dass Einsamkeit sich negativ auf die Gesundheit auswirkt, und zwar nicht nur auf die psychische Gesundheit, und somit auch auf die Lebenserwartung.
In der gegenwärtigen Krise haben sich Gemeinschaftsprojekte bewährt, gerade in Ländern mit hartem Lockdown im Frühjahr, wie zum Beispiel Spanien. Wir haben Feedback von Bewohnern bekommen, für die es ein Segen war, sich in dieser Zeit gegenseitig zu helfen bei Einkäufen, Kinderbetreuung und vielem mehr – auch, um nicht zu vereinsamen. Wichtig für die Zufriedenheit ist, dass es bei aller Gemeinschaft genug Möglichkeiten gibt, sich ins Private zurückzuziehen. Gemeinschaft ist bei den neuen Projekten eher ein Extra, eine Option, aber kein Zwang.

Wie sieht eine solche neue Gemeinschaft konkret aus?

Gerade in aktuellen Projekten gibt es eine neue Typologie, den sogenannten Clustergrundriss, eine Wohngemeinschaft, die anders als die WG von früher, bei der sich alle Küche und Bad teilen, aus einer Reihe von Mini-Apartments besteht, die jeweils ein eigenes Bad und eine Kochnische besitzen. Diese gruppieren sich um große gemeinschaftliche Räume wie eine Wohnküche oder ein Wohnzimmer oder ein Arbeitszimmer. Niemand ist gezwungen, an der Gemeinschaft teilzunehmen, man kann also morgens, wenn man noch keine Lust auf andere hat, den Kaffee ruhig in der eigenen Küche trinken …

Jede(r) kann sich jederzeit zurückziehen. Das ist ja totaler Luxus.

Das klingt wirklich luxuriös, und ist es ja auch. Aber die privaten Räume sind kleiner und die Wohnfläche pro Person reduziert, das ist insgesamt raumökonomischer, als wenn jede(r) eine eigene Standard-Wohnung bewohnt.

Klingt nach einem Modell, das auch über Generationen hinweg funktionieren könnte.

Absolut. Das passiert auch. Beispiele der Ausstellung zeigen, wie Jung und Alt wunderbar zusammenleben. Viele der Beispiele sind schließlich aus einer Bottom-Up-Bewegung entstanden, bei der die Leute bewusst anders wohnen wollten, oft quer durch alle Generationen.

Zusammen: Architekt*innen und Immobilienentwickler*innen

Was können Architekten für eine neue Gemeinschaft tun, was Immobilien-Entwickler?

Architekt*innen entwickeln räumliche Typologien, Immobilienentwickler*innen Businesspläne und Finanzierungsmodelle. Für ein gutes Haus braucht es beides, deswegen müssen sie Hand in Hand arbeiten, nicht gegeneinander. Die entscheidende Rolle spielen aber die Nutzer*innen. Von ihnen kamen die wichtigsten Impulse für die heutige Renaissance des gemeinschaftlichen Wohnens.
Ohne die Wohnungsbewegung der 80er Jahre in Zürich, Wien und Berlin und des von ihr ausgelösten typologischen Feuerwerks würde der Immobilienmarkt heute an seinem 3-ZKB-Mief ersticken. In dieser Zeit haben Menschen gesagt, dass sie anders wohnen wollen. Sie haben sich Architekt*innen gesucht, die ihre Vorstellungen aufzeichnen konnten. Die wiederum haben nach Finanzierungsmodellen gesucht, mit denen man diese Zeichnungen bauen konnte. Und das waren zu allererst Wohnungsgenossenschaften, die auf Grund ihrer Gemeinnützigkeit experimentieren konnten. Die klassischen Immobilienentwickler*innen haben die Entwicklung lange Zeit völlig verschlafen und sind wirklich als letzte auf den Zug gesprungen.

Haben die Immobilienentwickler doch noch was gelernt?

Manche schon. Trotzdem sind Projekte von Architekten und Bewohnern definitiv innovativer. Viele Entwickler sind zögerlich, sie merken, dass sie eine größere Varianz anbieten müssen. Das reicht bis ins Luxussegment mit seinem Serviced Living. Gemeinschaftseinrichtungen heißen dann eher Fitnessclub oder Spa. Letztlich ist das eine Art von Gemeinschaft, aber eher als Hausgemeinschaft.

Über das Clusterwohnen hinaus: Gibt es eine Checkliste, die Architekt*innen hilft, mehr Gemeinschaft zu schaffen?

Da fehlen leider statistische Daten. Die TU Delft etwa – wohin die Ausstellung ziehen wird – betreibt seit einiger Zeit Forschung zur Gemeinschaft …

Und was sagen Sie aus dem Bauch heraus? Was hilft Gemeinschaft? Eine große Küche, würde ich mal vermuten…

…Große Küchen sind natürlich super. Dazu kommen Gemeinschaftsterrassen, manchmal sogar Gewächshäuser, Mischungen zwischen Outdoor und Indoor funktionieren sehr gut. Ein Projekt beweist das mit einem überdachten Hof.

Wenigstens da klingt Klimawandel einmal positiv. Menschen legen einige Panzer ab und treffen sich draußen, im Schatten der Abendstunden.

Genau. Sogar Weihnachtsmärkte funktionieren so – als informelle Treffpunkte. Gemeinschaft entsteht seltsamerweise auch durch Differenzierung. Manche Angebote richten sich an das ganze Viertel, andere an die Hausgemeinschaft und wieder andere an die Wohngemeinschaft. Eine gute Mischung und Übergänge zu finden zwischen diesen Gemeinschaften, darauf kommt es an.

Ist „Gemeinschaft“ überhaupt gestaltbar?

Ja, Architekt*innen können Räume gestalten, in denen Gemeinschaft entstehen kann. Dabei geht es insbesondere um Fragen wie: Wer hat Zugang zu diesen Räumen? Lässt sich der Raum durch die Nutzer aneignen? Auch eine gated community ist schließlich eine Gemeinschaft, die aber durch Exklusion gebildet wird, nicht durch Inklusion.

Wie sind Sie eigentlich selbst aufgewachsen? Und wie leben Sie heute?

Aufgewachsen im Einfamilienhaus und mit dem Bus in die Stadt gefahren. Heute leben wir in einem Baugruppenhaus ohne Gemeinschaftsräume. Vielleicht war das Projekt dafür noch zu früh. Wir haben unsere Mitbewohner natürlich früh kennengelernt und so entstand auch eine Gemeinschaft – aber eben ohne Gemeinschaftsräume. Mein Büro liegt auch in einem Baugruppenhaus mit Gemeinschaftsraum zum gemeinschaftlichen Fernsehgucken, für Kindergeburtstage oder eine Besprechung. In diesem Haus gibt es sogar eine gemeinschaftliche Dachterrasse und einen Gemeinschaftsgarten. Das funktioniert ganz gut. Insofern: Wir leben nicht ganz so extrem wie einige der Beispiele, die wir zeigen, dafür in einer funktionierenden Light Version von Gemeinschaft.

Together!
Video-Rundgang

Die neue Architektur der Gemeinschaft. Bis 5. April 2021 im MKG Hamburg.