Nicht begrenzen – entgrenzen!

Baukunst in Zeiten der Transformation. Ein Manifest von Klaus Burmeister.

Transformation ist der Begriff unserer Zeit. Er ist ähnlich unscharf wie der der Nachhaltigkeit, eng mit ihm verwandt und gleichwohl oder gerade deswegen so erfolgreich. Transformation wie Nachhaltigkeit lassen Spielräume für das eigene Verständnis und eröffnet Perspektiven. Beide Begriffen verbindet, dass ihre Popularität einen erfahrbaren Kern besitzt, spürbar im Hier und Jetzt, ob in der Hitze des Sommers oder der Kälte des Frühlings. Wenn man so will, beinhalten sie nur schwer zu leugnende Tatsachen – Fakten, wie man heute zu sagen pflegt.

Der unscharfe Begriff Transformation ist längst Orientierung für Natur und Mensch. Er erweitert den Begriff der Nachhaltigkeit. Es geht nicht mehr allein um den (deutschen) Wald. Es geht ums Ganze: die Art und Weise, wie wir mit Rohstoffen umgehen und leben. Symbolisch steht die Plastiktüte für den Angriff auf sauberes Wasser, auf das Meer als Ursprung allen Lebens. Im Mittelalter drohte Brunnenvergiftern der Tod. Es wirkt fast es wie eine Karikatur, dass wir tagtäglich an der Supermarktkasse uns für oder gegen eine nachhaltige Zukunft entscheiden könn(t)en.

Im Zeitalter der Transformation

Es geht um Transformation und damit um unsere Zukunft. Auch Zukunft ist so ein schillernder, schwieriger Begriff. In ihrem Namen ist viel geschehen und gebaut worden. Nicht nur Schönes. Selbst Wahrheiten führen unter Umständen zu unverantwortlichen Missetaten, wie bereits Laotse bemerkte: Schöne Worte sind nicht wahr – wahre Worte sind nicht schön. Zukunft ist allzu oft ein Objekt interessengeleiteter Begierde. Zukunft ist aber auch als Projektionsfläche und Transformationsraum geeignet. So möchte ich verstehen, als Einladung zum Innehalten und Fluchtraum des Denkens gegen Alltagsroutinen. Einmal mehr gefragt ist besser als einmal zuviel gebaut.

Zukunft ist beständig kommend und dabei doch unfassbar. Sie ist ein Produkt von Wünschen, Ideen und Verhältnissen. Sie gehört niemanden, weil sie allen gehört. Sie verdient unser Interesse, weil wir in ihr leben werden. Dabei ist sie immer schon da. Nur meist geschickt verdeckt von den Widrigkeiten des Alltags im Umgang mit dem Auftraggeber, den erdrückendem Geflecht aus Verordnungen, Richtlinien und Gesetzen. Ihrem ewigen Stachel genüsslich spüren zu können, um auf das Kommende vorbereitet zu sein, ist vielleicht die große Kunst im Umgang mit Zukunft und Transformation.

Im Dschungel der Vorstellungen

Das Verständnis von Transformation, das uns zu der Umfrage verleitet hat, meint die große Transformation. Sie wurde umfassend, quasi als Programmatik für einen neuen Gesellschaftsvertrag, 2011 vom WBGU (Wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen) in seinem Hauptgutachten „Welt im Wandel – Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation“ zu Papier gebracht. Dort werden lesenswert und wohl begründet die planetaren Grenzen aufgezeigt und damit auch der Abschied vom kohlenstoffbasierten Weltwirtschaftsmodells gefordert. Ein beeindruckendes Papier, das von der breiten Öffentlichkeit kaum wahrgenommen doch politisch handlungsleitend wurde, wie beim Klimagesetz der Bundesregierung oder dem Kohlekompromiss.

Im Zeichen der Wende

Wir stehen vor einer epochalen Wende, vor der großen Transformation, weil wir auf Kosten der Natur so erfolgreich waren, dass wir an Systemgrenzen stoßen. Etwas verloren wirken wir vor den sich abzeichnenden Kipppunkten unseres Handelns. Epochal ist die Wende, weil wir, vergleichbar mit der Geburtsstunde der Renaissance, der Freisetzung unseres Wissens, heute an einer neuen Schwelle stehen. Heute geht es darum, unser Wissenskapital für die nächste Stufe oder Periode gesellschaftlicher Entwicklung zu nutzen. Technikphilosoph Günther Anders fasste bereits 1956 den paradoxen Zustand unserer Zeit zusammen: „Wir können mehr herstellen als wir uns vorstellen können.“ Verloren wirken wir daher vor den sich abzeichnenden Kipppunkten unseres Handelns. Es wirklich begreifen und verstehen zu können, was das für uns, unsere Familien, unseren Nachbarn und Mitmenschen bedeuten würde, zeigt die Grenzen unserer Vorstellung.

Das Hauptgutachten des WBGU benennt drei zentrale Transformationsfelder: Neben dem Energie- und Landnutzungssystem steht die Gestaltung der urbanen Räume im Zentrum. Es geht also um die Transformation der Bauwelt.

Ich möchte dem noch eine weitere Perspektive hinzufügen. Unter den „Bedingungen der Möglichkeit“ (Kant) gilt es einen neuen Imperativ für eine transformative Gestaltungspraxis eines verantwortlichen Handelns im Tun zu entwerfen. Was wäre, wenn es sich selbst bewusste Gebäude gebe. Solche, die im Dialog miteinander stehen, sich anpassen an die Nutzer und Nutzungen? Gehäuse, Quartiere, Plätze, die Identität wahren und stiften? Was wäre, wenn es Gebäudeflüsterer gebe, die im Einklang mit Natur, Kreisläufen und Menschen, das neue Andere gestalten? Es wäre ein echter Einstieg in den transformativen Wandel.

Zehn Gedanken für eine Baukunst in Zeiten der Transformation

– Laissez-faire ist nicht die Antwort. Und China ist nicht das verheißungsvolle Reich der Freiheit.
– Machtfragen bleiben. Eigentum ist Fessel und muss entfesselt werden.
– Unschärfe aushalten. Unübersichtlichkeit ist die Signatur der Transformation.
– Technik ist Verführung, Werkzeug und Teil der Lösung.
– Freiräume müssen begriffen, erobert und verteidigt werden. Nicht begrenzen, entgrenzen …
– Gestaltung ist ein Prozess. Der Diskurs ist sein Kaiser.
– Zeitgeist ist ein Pfad, nicht die Richtung.
– Zeit ist relativ und begrenzt. Nutzen wir sie!
– Kreativität ist die Alternative. Sie kann Wirklichkeit ver-rücken.
– Die Paradoxie transformativen Handelns: Entgrenzung unter Einhaltung planetarer Grenzen …

Lesen Sie hier den Artikel »Vom Klimafresser zum Verbündeten!«
Wie der Wandel von Architektur und Gesellschaft gelingen kann. Ergebnisse der KAP-Umfrage Transformation.