Experte für das eigene Lernen werden

Die Stiftung Louisenlund denkt Schule neu – pädagogisch wie architektonisch. Dr. Peter Rösner leitet die Institution. Hier skizziert er die Zukunft der Institution.

Der neue Campus in Louisenlund ist architektonisch eine Herausforderung. Schulflure und traditionelle Klassenräume gehören der Vergangenheit an. Welchen Zusammenhang sehen Sie zwischen dem architektonischen Anspruch und dem verfolgten Bildungskonzept? Wie sollen der architektonische Anspruch und das Bildungskonzept zusammenfließen, wie können sie sich gegenseitig befruchten?

Unser Lern- und Forschungszentrum erinnert in der Einfachheit seiner Architektur und Form an eine Scheune. Schleswig-Holstein ist landwirtschaftlich geprägt, die Scheune – und das an sie angelehnte Gebäude – stehen für die Tugenden, die wir den jungen Menschen mitgeben wollen. Diese Wertorientierung schafft Sicherheit und die Basis – für den Aufbruch in die Zukunft.

Das neue Lerngebäude ist hell, hat große Glasflächen, viel Luft und Raum. Es gibt einen wundervollen Film von Reinhard Kahl. Er dokumentiert Orte gelingender Bildung in Deutschland und hat den metaphorischen Titel »Treibhäuser der Zukunft«. In diesem Sinne ist Louisenlund ein »Treibhaus« für die Zukunft – eines jeden einzelnen Kindes –, für die Gesellschaft und unser Land. Wenn wir den Wohlstand, in dem wir in Deutschland leben, erhalten wollen, brauchen wir junge Leute, die leistungswillig sind, kreativ und lernfähig. Sie werden Forschen, Erfindungen machen, Patente anmelden – und Unternehmen gründen. Unser Forschungs- und Lernzentrum verstehen wir als die sprichwörtliche »Garage« in denen unsere jungen Leute tüfteln und sich ausprobieren können.

In Teams werden sie Projekte planen und umsetzen und vielleicht wirklich erste Unternehmen gründen. Wenn unser neues Lernzentrum »Scheune«, »Treibhaus« und »Garage« gleichzeitig sein soll, dann entsteht aus diesem pädagogischen Anspruch die Anforderung an die Architektur und an die Gestaltung der Räume – die sich mit der genannten Bedeutung gegenseitig bedingen und befruchten.

Außenfassade Lern- und Forschungszentrum

Bildungskonzept

Grundsteinlegung und erster Spatenstich sind erfolgt. Mit dem neuen Campus verfolgen Sie ehrgeizige Pläne und wollen eine der modernsten Schulen Europas entwickeln. Welche Visionen und Ideen verfolgen Sie mit dem neuen Konzept? Was wird anders und warum ist nötig, dass vieles anders wird? Welchen neuen Herausforderungen muss sich Schule heute stellen?

Wir leben in einer Zeit disruptiven Wandels. Mit der Digitalisierung der Welt erledigen sich bisher erfolgreiche Geschäftsmodelle – und neue entstehen. Berufe und die Arbeitswelt vom Lackierer im Automobilbereich bis zum Arzt ändern sich fundamental. Schneller Wandel wird die kommenden Dekaden prägen. Wenn Schule und Internat junge Menschen auf diese Zeit vorbereiten wollen und den Anspruch haben, dass junge Menschen Verantwortung für sich selbst und für die Gesellschaft in diesem Wandel übernehmen, dann müssen sie vor allem eines lernen: Ihr eigener Experte für das Lernen zu werden.

Sie brauchen Strategien, Selbstvertrauen und Erfahrung, sich immer wieder auf Neues einzulassen, sich unbekannte Themen zu erschließen und innovativ, kreativ und kritisch in die Zukunft zu denken und zu arbeiten. Erfolgreich und glücklich in der Zukunft wird sein, wer mit den schnellen Veränderungen gut umgehen kann. Für das Bildungswesen bedeutet das ebenfalls eine disruptive Veränderung: Wir müssen uns von der Fabrikschule des 20. Jahrhunderts verabschieden. Wir müssen aufhören, Kinder, nur weil sie zufällig gleich alt sind, in Klassen einzuteilen, in einen viereckigen Raum zu sperren mit einer Tafel – das moderne smartboard ist immer noch häufig eine Tafel – und einem Lehrer. Und dann muss diese Klasse bis zu zehn Unterrichtsstunden in der gleichen Geschwindigkeit möglichst mit dem gleichen Erfolg das gleiche machen.

Offensichtlich sind Kinder nicht gleich, ich fordere daher, so verstandenen Unterricht nicht zu verändern, sondern zu lassen. Politische Forderungen nach Binnendifferenzierung sind realitätsfremd und können nicht die Antwort auf die Unterschiedlichkeit der Kinder im täglichen Klassen-Geschäft sein.

Louisenlund entwickelt eine neue Form des Lehrens und Lernens. Disruptiv verabschieden wir uns von der Fabrikschule im Gleichschritt und ermöglichen Kindern mit ihrer Persönlichkeit, ihren Emotionen und ihrem Tempo zu arbeiten, zu lernen, zu wachsen – und Experte für ihr eigenes Lernen zu werden.

Die Aneignung von Wissen und Fertigkeiten klappt besser individuell. Das Bruchrechnen muss man einfach selber üben und man lernt es nicht, wenn man dem Lehrer an der Tafel zuschaut. Gleiches gilt offensichtlich für das Schwimmen oder das Erlernen eines Instrumentes. Wir schaffen Zeit und Raum zum Üben und zum Trainieren.

Die Louisenlunder Pädagogik sieht das Lernen in Projekten und echten Herausforderungen als entscheidend an. Der Stromkreis ist genau dann von Bedeutung, wenn die Aufgabe darin besteht, ein Windkraftwerk zu projektieren. Wir arbeiten in Teams und entwickeln die Kompetenzen, die man dafür braucht. Unsere Lehrkräfte sind Lernbegleiter, die helfen, eigenes Wissen und eigene Erfahrungen in den größeren Zusammenhang zu stellen – und unterstützen, wenn sich Werte formen und Haltungen entwickeln. Wir nehmen uns Zeit zum Philosophieren und Denken. Lernen ist ein sozialer Prozess. Menschen lernen durch andere und mit anderen. Es geht nicht um statisches Wissen, sondern um die Kompetenz des Lernens als solche. Schule muss darauf vorbereiten, den Wandel und die Zukunft als Chance mutig zu gestalten.

Schule und Gesellschaft

Die Stiftung Louisenlund ist Grundschule, Tagesschule und Internat. Mit dem IB-Diploma kann hier der höchste Schulabschluss erreicht werden. Unterschwellig hört man immer wieder den Einwand, Louisenlund als privat finanzierte Bildungseinrichtung, müsse man sich leisten können. Wie sehen die Voraussetzungen aus, um in Louisenlund seine Schulausbildung machen zu können? Aus welchen Bereichen kommen die Schüler und Schülerinnen zu Ihnen?

Als privates Internat können wir selbst festlegen, welche Ressourcen wir einsetzen wollen – und Louisenlund steht allen offen, die wie wir der Überzeugung sind, dass ein mutiges Investment in die Bildung und Zukunft unserer Kinder ein Investment in sozialen Frieden, Wohlstand und in die Zukunft unserer Gesellschaft ist. Es gibt viele Eltern, die diese Überzeugung teilen. Louisenlund hat darüber hinaus zwei Stipendienprogramme, die sich durch Spenden finanzieren, für Kinder aus der Region und im plus-MINT Programm für TOP-Talente im Bereich Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik.

Louisenlund stellt pro Jahr und Schüler etwa doppelt so viele Ressourcen für das Lehren und Lernen zur Verfügung wie es der Staat für die öffentliche Tagesschule tut. Offensichtlich kann man damit eine Menge erreichen und Bildung für die Zukunft gestalten. Ich wundere mich sehr darüber, dass wir in unserem Land nicht eine heftige Debatte führen, wie viel Geld uns die Bildung unserer Kinder eigentlich Wert ist. Wir streiten politisch gerne und häufig auch noch mit ideologischen Scheuklappen über Fragen der Inklusion – oder welche Fächer es geben soll.

Wir müssten die politische Diskussion führen, wie viel Geld wir pro Schüler zur Verfügung stellen und hierfür einen gesamtgesellschaftlichen Konsens finden. Da Geld nicht unendlich zur Verfügung steht, brauchen wir politischen Mut, Prioritäten zu setzen. Ich finde, dass wir sie bei allen vermeintlich berechtigten Lobby- und Individualinteressen einmal im Sinne des »Gemeinwohls« überprüfen sollten.

Räume aktivieren

Wie sieht die Vernetzung der Schule regional und überregional aus? Steht die Schule im zeitgenössischen Dialog über Architektur und Bildung? Woher nehmen Sie Ihre Anregungen, gibt es Vorbilder?

Louisenlund verfügt über mehrere, gut funktionierende Netzwerke. Wir sind Mitglied in der deutschen Internatevereinigung ebenso wie im internationalen Schulverbund Round Square. Gerade im Austausch mit international renommierten Internaten und Schulen entstehen und entstanden Ideen für unseren pädagogischen Ansatz und für die dafür notwendigen Räume und ihre Architektur.

Viel wichtiger aber ist uns die Vernetzung in die Wissenschaft und insbesondere in die Bildungsforschung. Wir haben das Glück, dass das Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik mit Sitz in Kiel um die Ecke ist. Mit den Forscherinnen und Forschern wollen wir einerseits den aktuellen Stand der Bildungsforschung in die Praxis von Lehren und Lernen übertragen und Louisenlund andererseits als Forschungs-Schule für die Wissenschaft öffnen.

Wir tragen dazu bei, die Erkenntnisse unseres disruptiven Ansatzes der Louisenlunder Pädagogik mit wissenschaftlichen Methoden zu evaluieren und für alle Interessierten zur Verfügung zu stellen. Insofern tragen wir sehr zum Dialog über Bildung und Architektur bei. Also: Verabschieden wir uns von der Klassengesellschaft, der Fabrikschule und den Klassenzimmern. Brechen wir auf zur Bildung für die Zukunft – in Räumen, die diese ermöglichen.

Fotos Grundsteinlegung.: Messerschmidt
Fotos Lernscheune: Oliver Maier angeben.

Lesen Sie hier den Artikel »Architektur als dritter Pädagoge«
Architekt Jo Landwehr über die Herausforderung, Schule neu zu denken.