Leute, wir sind ein Team!

Professorin Barbara Holzer über die großen Herausforderungen der Zeit: Städtebau, Nachverdichtung, Nachhaltigkeit, das Lernen und die Zusammenarbeit im Team.

Gab es für Sie jemals eine Alternative zur Architektur?

Es gibt immer Alternativen! Architektur ist großartig, keine Frage. Was mir ein großes Anliegen ist: Immer wieder Neues anfassen zu können und dazuzulernen. Natürlich habe ich Routine und baue auf Erfahrungen. Gleichzeitig finde ich es immer wieder schön, wenn man eigentlich nicht so richtig weiß, wie man etwas angehen soll. Das gilt besonders für Architektur, weil die Player immer andere sind, die Konstellation, die Programmatik … Das ist die Herausforderung und das Spannende.

Design Hostel, Foto ©Jan Bitter

Stichwort Lernen: Was haben Sie im Büro von Daniel Libeskind gelernt?

Ich hatte gerade ein Gespräch darüber, was man quasi als Frau lernt, also Architektin wird, welche »social role models« es gibt und was man so mitnimmt. Dabei war für mich das Büro Liebeskind unglaublich wichtig. Die Arbeitsweise von Daniel Libeskind – weniger das Thema Architektursprache, als der Glaube daran, dass Dinge möglich sind.

Architektur als Möglichkeitsraum. Spannend.

Ich habe wirklich gelernt, Dinge auch auf den Kopf zu stellen und nicht gleich loszulassen, sondern dranzubleiben und dafür zu kämpfen. Nina Libeskind war für mich wichtig, weil sie mir den Kontext von Architektur zeigte: die ganze Arbeit, die notwendig ist, ein Team zusammenzuhalten, eine »Familie« zu führen: Ein Studio als Ort, womit sich das Team identifizieren kann.

Sie verstehen sich dezidiert als Mannschaftsspielerin.

Ich finde es immer noch sensationell, wenn wir sagen können: Leute, wir sind ein Team.

Das ist selbstverständlich für Sie, aber doch nicht für die ganze Branche.

Na ja, die Branche ist natürlich in weiten Teilen noch recht konventionell. Wir haben für Novartis gebaut, und die Frage dort lautete: Wie entstehen neue Dinge, Innovation? Wie kann man das steuern? Durch einen attraktiven Standort mit vielen Dienstleistungen oder die Art, wie man Arbeitsplätze einrichtet? Interessant ist, dass man den Zufall, die Erfindung nicht steuern kann. Daher liebe ich Kooperationen und die Arbeit im Team, intern oder extern. Das ist eine Frage der Schwarmintelligenz. Man lernt so wahnsinnig viel von anderen, in Gesprächen und Begegnungen. Das ist das wirklich Interessante: das Verarbeiten, Filtern, Aufnehmen und Transformieren von dem, was man in Begegnungen mit Menschen mitnimmt. Das ist inspirierend.

Da wären wir schon mitten bei Ihrer Arbeitsmethodik.

Das Ergebnis nicht zu kennen, hat etwas Spannendes. Das ist sicher Teil der Methode. Wie wir hier arbeiten, ist eine Methode, dem Zufall Raum zu geben und den Menschen, sodass sie sich entfalten können. Architektur hat die Aufgabe, Räume zu schaffen in städtebaulichem oder kleinem Maßstab. Ihre Offenheit kann sogar Verhaltensmuster verändern. Das ist eine wichtige Thematik: Welche Räume können wir schaffen, die dies befördern?

Das deckt sich mit Ihrer Lehre. Wenn Sie unterrichten, beschreiben Sie sich als Coach und Katalysator. Das heißt, Sie befördern Veränderungsprozesse bei Menschen.

Ja, ich hoffe, dass mir das gelingt. Es ist wichtig, in der Lehre zu motivieren, Dinge wahrzunehmen, Dinge zu sehen! Das ist gar nicht selbstverständlich. Häufig geht es um die Erstellung eines guten Stücks Architektur, eines guten Gebäudes. Das ist sicher richtig. Viel wichtiger aber ist, dass die Studierenden ihren ganz persönlichen Bezug zu Architektur entdecken. Das ist ein Prozess, der ein ganzes Leben dauert, zu entdecken, was sie wirklich interessiert und mit welcher Art oder mit welcher Methode sie darüber nachdenken und sie daraus letztendlich Raum schaffen. Ich finde es wichtig, dass wir politisches Bewusstsein haben und Verantwortung übernehmen: soziale Verantwortung und Verantwortung im Sinne der Nachhaltigkeit. Wenn es letztlich drei Dinge sind, die jemand beisteuern konnte über das Maß hinaus, das vielleicht der Standard ist, ist das schon viel.

Was wären diese drei Veränderungen, die sie angestrebt haben oder vielleicht schon erreicht haben: In der Lehre, im Beruf oder im Leben?

Einen Ort geschaffen zu haben, an dem oder in dem ich mich mit Architektur auseinandersetze, wie ich es mir wünsche. Das meint keinen konfliktfreien Raum in Pastellfarben, das meint einen Kontext, in dem dieser Diskurs möglich ist. Das zweite ist, dass ich den Beruf so leben kann, dass er mir wahnsinnige Freiheiten lässt in meiner Auseinandersetzung mit der Thematik und der Art, andere Menschen zu motivieren. Das ist ein ganz wichtiger Aspekt. Der dritte Punkt ist, dass ich als Role-Model tätig sein kann, für eine nächste Generation von jungen Frauen in diesem Beruf. Mich dafür einzusetzen, ist mir wichtig. Zu hoffen, dass ich etwas weitergeben kann, ob in der Lehre oder im Büro.

Immobilienentwicklerinnen und Immobilienentwickler würden das vermutlich anders sehen …

Die Frage lautet doch: Wem gehört das Land? Wie wird entwickelt, wer finanziert, wer entscheidet, wer vermarktet und wer verkauft? Da ist einfach wahnsinnig viel Restriktion. Gewinnmaximierung ist natürlich in der Architektur ein treibender Faktor. Solange die Bauindustrie funktioniert, ist es unglaublich schwer, etwas zu verändern. Da muss der Druck von außen wirklich unglaublich groß werden.

Spielhaus St. Peter-Ording, ©Holzer Kobler Architekturen

Also Druck von der Gesellschaft, von uns allen?

Man sieht es ja: Was passiert mit dem Klima oder mit unserem Umgang mit Ressourcen? Diese Thematik gehört in unsere Branche. Wir haben eine große Verantwortung. Das sehe ich in der Projektentwicklung noch viel zu schwach vertreten.

Mitunter werden große Namen von Architektinnen und Architekten genutzt, um alte Modelle durchzusetzen. Stichwort: Signature Architecture.

Bei uns ist das ja schon fast wieder verpönt. Nichtsdestotrotz ist großartige Architektur wichtig. Architektur hat ja nicht nur eine funktionale Aufgabe. Sie ist eine der bildenden Künste.

Das ist das perfekte Stichwort: Zuletzt wurden Sie gefeiert unter anderem für ELLI – als Prototyp für individuelle, innerstädtische Nachverdichtung. Ist das ein Modell, das Sie vervielfältigt sehen möchten?

Sie meinen, dass man die Prinzipien übernimmt, anpasst und weiterdenkt? Grundsätzlich ist Nachverdichtung kein unkritisches Thema. 1988 sprach die Züricher Stadträtin und Vorsteherin des Hochbauamtes Ursula Koch den legendären Satz: Die Stadt sei gebaut. Heute wissen wir, dass es in großen Teilen Europas so ist, dass viel Substanz vorhanden ist. ELLI lässt sich zwar nicht vervielfältigen, aber ist als Haltung adaptierbar, wir haben in Berlin etwas Ähnliches gebaut, diesmal aber in Holz.

ELLI, Wohnhaus und Atelier, Foto ©Radek Brunecky

ELLI hat einen Nerv der Zeit getroffen. ELLI ist ein Prototyp für modernes Zusammenleben.

Genau. ELLI ist ja auch das Zuhause meiner Familie. Es gehört uns zwar nicht, aber die Abmachung mit den Landlords war: je günstiger wir bauen, desto günstiger fällt die Miete aus. Das war eine Herausforderung, mit kostengünstigen Konstruktionen zu experimentieren wurde Teil des Konzepts. Plötzlich wurde sichtbar, dass wir eigentlich viele Raumreserven haben, wenn wir nicht konventionell bauen und nicht standardisieren. Da entstehen Orte zum Leben und Arbeiten, an die man erstmal gar nicht denken würde.

Das klingt nach einer Frage unserer Zeit: Der Wunsch nach vielfältigen Möglichkeiten für alle Mitglieder der Gesellschaft.

Das sehe ich als eine zentrale Aufgabe!

Die Lösung liegt also nicht in noch mehr Technik …

Absolut nicht. Die Lösung kann nicht in der Technik liegen. Es geht viel, viel einfacher. Mehr Technik ist auch viel zu teuer. Das ist nicht mehr leistbar. Wir sehen ja, wie viel planerische Arbeit es bedeutet, kostengünstigen Wohnraum zu erstellen. Es ist fast nicht mehr möglich. Wenn wir aber bestimmte Dinge weglassen, weniger Quadratmeter bauen oder den Stellplatz fürs Auto nicht mehr garantieren, kommen wir mit den Kosten ganz schnell runter.

Trotzdem wird unser Bauen, unser Denken durch eine große Anspruchshaltung geprägt. Sie haben im Vorgespräch einen spannenden Aspekt erwähnt: Wir müssen mit der Stadtstruktur anders umgehen. Wollen Sie das bitte erläutern.

Stadtentwicklung hat nicht mehr unbedingt mit der Vervollständigung des Stadtkörpers zu tun. Dieser Blick von oben ist heute einfach nicht mehr haltbar – aus mehreren Gründen. Viel hat mit Eigentum zu tun, mit politischen Prozessen und mit Partizipation. Es geht um die ganze Stadt. Es ist eine Chance, sie anders zu begreifen und anders mit ihr umzugehen. Dadurch entstehen auch andere, neue Räume. Manches wird dadurch vielleicht schwerfälliger, kleiner oder fragmentierter. Aber das ist eine Chance für die Städte, sich nicht mehr monolithisch zu entwickeln, sondern rhizomartig zu wachsen.

Das ist eine komplette Abkehr von den Planungsmaximen der Nachkriegszeit.

Ja. (lacht) Städte, die damals viel Geld hatten und die Stadtreparatur schnell erledigten, leiden bis heute unter dem damaligen Ziel der »Autogerechten Stadt«. Es ist schwer, diese Städte heute weiterzuentwickeln. Wo hingegen das Geld fehlte, können heute einfacher neue, auch kleinteilige Strukturen entstehen, weil die Stadt damals nicht homogen überbaut wurde. Ich sehe es immer als große Chance, wenn Prozesse ruckeln und ein bisschen Sand im Getriebe ist.

Soziologinnen und Soziologen würden wohl sagen: nicht monofunktional, sondern polyzentrisch gedacht, sodass Städte unterschiedliche Entwicklungen einschlagen können und zugleich Raum bleibt für Neues. Abschließend: Wie sehen Sie den Wandel der Innenstädte unter dem Ansturm der Online Giganten?

Ich glaube an die Stadt. Natürlich gab es auch bei Corona das Phänomen der Stadtflucht, aber die Vorteile der Stadt und das Kulturelle bleiben unverzichtbar. Städte werden bei vielen Prozessen die Vorreiterrolle übernehmen, von der Mobilität bis hin zum Thema der Nachhaltigkeit. Und in leerstehenden Verkaufsflächen werden sich neue Funktionen entwickeln. Da bin ich total optimistisch. Selbst, wenn sich bestimmte Orte oder Flächen kurzzeitig entleeren, gehört das zum lebendigen Organismus Stadt. Das sind Prozesse, die zu einer Dynamik gehören, die eben nicht immer vorhersehbar ist. Und gerade deshalb finde ich sie interessant.

Professorin Barbara Holzer zählt zu den renommiertesten Architektinnen der Gegenwart. Dies zeigt auch Ihre beeindruckende Biographie.

holzerkobler.com

seit 2014
Mitglied Fachbeirat der IBA Thüringen

2012
Gründung Holzer Kobler Architekturen Berlin GmbH, Berlin

2012
Eintritt Architektenkammer Berlin

seit 2010
Professorin für Architektur/ Innenarchitektur an der Peter Behrens School of Arts der Hochschule Düsseldorf

seit 2010
Mitglied REG, Stiftung der Schweizerischen Register der Fachleute in den Bereichen des Ingenieurwesens, der Architektur und der Umwelt

2009 – 2010
Gastprofessur an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETHZ), mit Tristan Kobler

2008
Grand Prix Design der Schweizerischen Eidgenossenschaft für das Gesamtwerk, mit Tristan Kobler

seit 2004
Geschäftsführerin Holzer Kobler Architekturen GmbH, Zürich, 
mit Tristan Kobler

2002 – 2008
Aufbau Schweizer Standort Studio Daniel Libeskind, Zürich

1999
Gründung eines eigenen Architekturbüros in Zürich

seit 1995
Mitglied Schweizerischer Ingenieur- und Architektenverein sia

1994 – 2002
Studio Daniel Libeskind, Berlin

1991 – 1994
selbständige Architektin im Bereich Architektur und Ausstellungen
Mitarbeit in verschiedenen Architekturbüros in der Schweiz, in Deutschland und in den USA

1991
Diplom Eidgenössische Technische Hochschule Zürich (ETHZ)