Unter der Oberfläche knistert es
Gira

Aus dem KAP Magazin #10
Von Christian Wendling

Souverän und zuverlässig leisten sie ihren stillen Dienst, tagein, tagaus, jahrzehntelang. Ihre Bestimmung ist es, Anweisungen entgegenzunehmen und diese unverzüglich weiterzuleiten, ohne Murren, ohne jeden Anflug von Kritik. Die Hauptrolle spielen andere, doch sie sind dabei unverzichtbares Mittel zum Zweck. Handlanger, im übertragenen Sinn, aber auch im wahrsten Sinne des Wortes. Sie dulden jede Berührung, fordern sie geradezu heraus.

Lichtschalter. Wir kennen sie eigentlich nur oberflächlich, denn viel mehr zeigen sie auch nicht von sich. Wir legen viel Wert auf ihre Oberfläche, sie soll uns nicht nur tageszeitunabhängig die Macht über Licht und Schatten verleihen, sondern sich vielmehr auch stilsicher und bereichernd in unsere gestalteten Wohn- und Arbeitswelten einfügen.

Bevor es jedoch so weit ist und wir Lichtschalter tatsächlich nutzen können, gehen sie einen langen Weg von der ersten Ideenskizze über die Entwicklung, die Serienfertigung bis hin zur Installation.

Im Gespräch erläutern Andreas Pajurek, Projektleiter, und Andreas Vole, Produktmanager Elektromechanik, die Entstehung eines Lichtschalters.

Ein Patent für Kippschalter begründete 1905 den Start des mittelständischen Unternehmens Gira, zunächst in Wuppertal, seit 1910 mit Sitz in Radevormwald im Oberbergischen Land. Mit seinen heute 1.200 Mitarbeitern und Niederlassungen in 40 Ländern zählt Gira zu den führenden Herstellern von Schaltern, Steckdosen, Kommunikationstechnik und Gebäudeautomation. Gira ist Gründungsmitglied des KAP Forums.

KAP Magazin: Als einer der führenden Hersteller von Gebäudetechnik werden Sie ein ureigenes Interesse an Innovation haben. Wie erhalten Sie Ihre Impulse für die Entwicklung neuer Produkte? 

Andreas Vole: Technik verfolgt bei uns keinen Selbstzweck. Bei der Fragestellung, die vor der Entwicklung eines neuen Produktes steht, geben wir dem Anwendungskontext den höchsten Stellenwert. Wir befinden uns dazu in einem regelmäßigen Austausch mit Architekten, Fachplanern und Installateuren, holen uns Rückkopplung ein von den alltäglichen Nutzern unserer Produkte. Im Hinblick auf die strategische, funktionale und ästhetische Entwicklung arbeiten wir zudem sehr eng mit unserer Leitagentur schmitz Visuelle Kommunikation zusammen.

»Linoleum erlebt eine Renaissance nicht nur als klassischer Fußbodenbelag, sondern auch in Möbeloberflächen.«

… und im Besonderen, z.B. bei dem aktuellen Schalterprogramm Esprit Linoleum-Multiplex, welches Sie bei der Light + Building 2014 vorgestellt haben, der wohl wichtigsten Leitmesse Ihrer Branche? Wie kam es zu dieser ungewöhnlichen Materialkombination?

Andreas Vole: In unserer Palette spiegelt sich die lange Erfahrung in der Verarbeitung einer großen Materialvielfalt: Es kommen z.B. hochwertige Kunststoffe, Glas, Edelstahl, Aluminium und andere Metalle zum Einsatz. Mit der nun neuen Kombination aus Linoleum und Multiplex treffen wir mit dem Material wie auch mit der klaren Formensprache die Vorlieben insbesondere von Designliebhabern und Architekten. Linoleum erlebt eine Renaissance nicht nur als klassischer Fußbodenbelag, sondern auch in Möbeloberflächen. Seine Vielseitigkeit und Robustheit hat uns inspiriert für eine Kombination mit dem ebenfalls sehr variablen und widerstandsfähigen Multiplex. Gemeinsam mit qualifizierten Lieferanten haben wir dann eine Strategie für das neue Programm und seine Gestaltung entwickelt.

Beide Materialien sind Naturprodukte mit einer besonderen haptischen und optischen Qualität, die optimal zur Geltung kommen soll. Die Schichtung ist deutlich erkennbar: Auf den Kunststoffrahmen, der die Verbindung zur Unterputz installierten Mechanik herstellt, selbst aber durch die Schattenfuge in den Hintergrund tritt, folgt eine 5-lagige Multiplexschicht aus finnischem Birkenholz aus nachhaltigem Anbau, darüber als Abschluss das Linoleum in einer Auswahl von sechs Farben.

Sicherlich gibt es in der Entwicklung aber nicht nur die ästhetische Komponente? 

Andreas Pajurek: Nein, die Schritte von der Idee zum Produkt sind tatsächlich komplexer. Esprit basiert wie alle unsere Schalterprogramme seit 1998 auf dem Plattformgedanken; es ist modular aufgebaut, so dass man innerhalb eines Programmes grundsätzlich verschiedene Materialien, Rahmen, Mechanik und Elektrik miteinander kombinieren kann, und das nicht nur beim Ersteinbau, sondern auch zu einem späteren Zeitpunkt. Die Modularität erfordert höchste Passgenauigkeit, da sind insbesondere bei der Kombination unterschiedlicher Materialien mechanische und physikalische Eigenschaften aufeinander abzustimmen, z.B. eine unterschiedliche Wärmeausdehnung oder das Verhalten bei schwankender Luftfeuchtigkeit.

»Wir überprüfen die Produkte permanent in Korrekturschleifen, angefangen vom ersten Prototyp über die Weiterentwicklung der Muster bis hin zur Erstlieferung und der sich anschließenden Serienproduktion.«

Also ist die Qualitätskontrolle ein ständiger Begleiter schon in der Entwicklung? Worauf wird dabei besonders geachtet? 

Andreas Pajurek: Wir überprüfen die Produkte permanent in Korrekturschleifen, angefangen vom ersten Prototyp über die Weiterentwicklung der Muster bis hin zur Erstlieferung und der sich anschließenden Serienproduktion. Dabei wird das Produkt in seinen Entwicklungsstadien in enger Rückkopplung aller Beteiligten so lange konzipiert, begutachtet und bewertet, bis wir uns sicher sind, dass es optimal funktioniert. Im Hinblick auf ein Höchstmaß an Maßhaltigkeit im Modulsystem werden auftretende Kräfte, Durchbiegung und Verzug unter verschiedenen Klimabedingungen überprüft, in einem Klimaschrank bei Temperaturen zwischen -20°C und 70°C und einer relativen Luftfeuchte zwischen 0% und 93%. Eine hohe Prüfintensität simuliert in 336 Stunden quasi im Zeitraffer den gesamten Lebenszyklus, ob für eine Verwendung in Deutschland oder weltweit. Eine Lufttemperatur von 50°C im Betrieb ist nichts Ungewöhnliches für unsere Produkte.

Gibt es Beispiele, wie diese Prüfungen sich wiederum auf die Konstruktion ausgewirkt haben? 

Andreas Pajurek: Schauen Sie sich den Rahmen und die Multiplexplatte aus nächster Nähe an: Sie ist beiderseits mit einer sehr dünnen schwarzen Schicht versehen, einem sogenannten Gleichzugspapier. Es kompensiert die unterschiedlichen mechanischen und physikalischen Eigenschaften von Multiplex und Linoleum auch unter extremen klimatischen Bedingungen. Dass es fünf Multiplexlagen sind und nicht etwa sieben, ist ebenfalls ein Resultat unserer Tests. Wir prüfen jedoch nicht nur die alltägliche Nutzung. Vielmehr werden im Hinblick auf Installation, Montage und Demontage tiefgehende Testaufbauten durchgeführt, in Wänden aus unterschiedlichsten Materialien und Konstruktionsweisen, mit Kombinationen verschiedenster Untergründe und Wandoberflächen. Kein Szenario ist uns fremd.

»Dank des modularen Konzeptes fügen sich Schalter, Rahmen, Mechanik und Elektrik stets mit jeweils aktuellem Entwicklungsstand optimal zusammen.«

Wir sprachen bisher über die Entwicklung des sichtbaren Teils des Schalters. Gilt Ähnliches für den dahinter verborgenen Teil, die Mechanik und Elektrik? 

Andreas Vole: Tatsächlich gibt es da unterschiedliche Entwicklungszyklen für das, was auf der Wand sitzt, Rahmen und Wippe, und das darunter, den Einsatz. Mit der Kombination aus Linoleum und Multiplex treffen wir mit dem Material wie auch mit der klaren Formensprache die Vorlieben insbesondere von Designliebhabern und Architekten. Mechanik und Elektrik der Schalter werden rein funktional entwickelt; es bekommt sie im Normalfall ja nur der geschulte Elektroinstallateur zu sehen. Anpassungen der Mechanik führen wir bei Bedarf durch. Hier sind grundlegende Wechsel etwa alle 20 Jahre branchenüblich. Dies ist nicht nur auf die technische Lebensdauer z.B. der sich häufig bewegenden Schalterwippen zurückzuführen, sondern auch auf die sich ändernden Montagearten – so werden heute aus Kostengründen bevorzugt Schnellinstallationen durchgeführt. Auch die immer präziser werdenden Werkzeuge ermöglichen eine Weiterentwicklung der Mechanik, z.B. kleinere Maßtoleranzen und damit kleinere Spaltmaße. Was die Elektrik betrifft, reagieren wir schnell auf die allgemeine technische Entwicklung. Selbstverständlich umfasst unser Sortiment auch die immer häufiger gewünschten Bussysteme mit KNX-Technologie, und dank des modularen Konzeptes fügen sich Schalter, Rahmen, Mechanik und Elektrik stets mit jeweils aktuellem Entwicklungsstand optimal zusammen.