BAUSTELLE KIEL: EINE STADT STARTET DURCH

Die Landeshauptstadt befindet sich inmitten des Strukturwandels von traditioneller Industrie hin zur digitalen Ökonomie. Wie kommen Wirtschaftsförderung und Stadtentwicklung zusammen? Wir fragen nach bei Doris Grondke, Stadträtin für Stadtentwicklung, Bauen und Umwelt der Landeshauptstadt Kiel.

Welches Bild, welche Vision leitet die Zukunftsentwicklung Kiels? Mit welchen Instrumenten können und wollen Sie die Kiels Entwicklung stützen und fördern?

Wir haben zwei Kernbotschaften: „Urban, maritim, grün“ – Kiel, die Regiopole Schleswig-Holsteins, ist Kraftzentrum und Impulsgeber des Landes. Und „Aktiv und initiativ“: Kiel versteht sich als Wegbegleiter und aktiver Unterstützer für Ideen aus und für die Wirtschaft, aber auch selbst als Initiator sowie Ideengeber, etwa mit der Digitalen Woche Kiel.

In vielen Städten ist die räumliche Entwicklung ausgereizt, besteht Konkurrenzdruck zwischen Wohnen – Gewerbe – Verkehr und öffentlichem Raum. Ein attraktiver Wohnbestand ist allerdings auch ein Zugpferd für die wirtschaftliche Weiterentwicklung einer Stadt. Wie gestaltet sich aktuell der Wohnungsbau in Kiel? Und wie gehen Sie mit diesen Zielkonflikten in Kiel um?

Monotone, monostrukturierte Baugebiete waren gestern. Heute werden in Kiel innovative Quartiere wie die Konversion des MFG-5 entwickelt: mischgenutzt, klimaschonend mit modernen Mobilitätsangeboten. Wohnen und Gewerbe können sich dabei gegenseitig befruchten und vitale Orte mit eigenem Gesicht entstehen lassen. Wir arbeiten mit dem Bestand und den Qualitäten vor Ort. Gemeinsam mit der Bürgerschaft, der Politik und den Architekt*Innen wird so ein Stück Heimat geschaffen. Partizipation hilft Planungs- und Genehmigungsverfahren zu beschleunigen.

SYNERGIEN FÖRDERN

Das Bild und damit die Attraktivität einer Stadt wird ganz wesentlich durch ihre Architektur bestimmt. Wo liegen mögliche Synergien zwischen Stadt- und Wirtschaftsentwicklung? Welchen Beitrag liefern aus Ihrer Sicht Architektur und vorausschauende Stadtplanung für die Prosperität von Städten und Gemeinden?

Auf allen Maßstabsebenen müssen die Fachplanungen ineinandergreifen: Es geht um vorausschauende, stadtweite Flächenvorsorge und nachbarschaftsverträgliche Anbindungen – bis hin zur Schaffung von Planungsrecht vor Ort, das Architekturqualitäten erlaubt. Durch eine professionelle Begleitung seitens der Stadt gewinnt jede Ansiedlung von Anfang an. Architektur schafft nicht nur (zunehmend flexible) Hüllen für die sich ändernde Arbeitswelt. Sie kann in Kiel zukünftig noch viel deutlicher als Markengeber fungieren, ohne dabei ihre Einbindung in die gebaute Nachbarschaft aus den Augen zu verlieren.

Als städtebauliches Ideal gilt das sozial-gemischte Quartier. Die Realität sieht anders aus: Die Segregation nimmt deutlich zu, die Begegnungsräume und Begegnungsmöglichkeiten werden hierzulande immer knapper und seltener, die Wohnviertel homogener, sagt etwa die Architektur- und Wohnsoziologin Christine Hannemann in ihrem aktuellen Buch „Zusammenhalt braucht Räume“.

Der überwiegende Teil der Stadt ist bereits gebaut. Hier bieten sich Instrumente wie sozialraumorientiertes Quartiersmanagement an. Bei neuen Entwicklungen muss die Stadt ergänzend eine konsequente Bodenpolitik verfolgen: städtische Eigenentwicklungen und Erschließung neuer Quartiere, Vergabe von Grundstücken in Erbpacht durch Konzeptvergaben, bei denen nicht der Höchstbietende automatisch den Zugriff auf das knappe Gut „Fläche“ erhält. Dabei wird die städtebauliche Entwicklung von klaren Vorgaben seitens der Politik begleitet, wie die Mindestquote für soziale gefördertem Wohnraum.

STADTRÄUME ENTWICKELN

Für Patrick Stremler vom Bregenzer Architekturbüro Dietrich Untertrifaller scheint es so, als hätte die Corona-Pandemie den Blick auf unsere eigenen Lebensräume neu sortiert – etwa bei der Betrachtung und Nutzung des öffentlichen Raums. Als Quelle der Inspiration dienen ihm die wertvollen Quartiere aus der Gründerzeit – mit der gelungenen Mischung aus Wohnen, Gewerbe, Erholung, Bildung und Kultur. Und Platz für Individualität, Muße sowie Kommunikation. Welche Chancen ergeben sich für die Stadtentwicklung durch das mobile und dezentrale Arbeiten und die moderne Quartiersentwicklung?

Einem genutzten Raum wird meistens mehr Wertschätzung entgegengebracht: weniger Vandalismus und mehr Verantwortung. In einem lebendigen Quartier blühen wohnortnahe Versorgungsangebote wie Bistros oder Cafés. Hierfür muss man nicht ins Auto steigen. Also wird auch ein Beitrag für ein klimaschonendes Stadtleben geleistet.

Nicht selten gibt es Reibungsverluste zwischen den Zielen der Wirtschaftsförderung und Stadtentwicklung. Wie lässt sich das Zusammenspiel positiv gestalten? (Können Sie uns bitte zwei konkrete Beispiele mit Bildern angeben.)

Es hilft gemeinsame Ziele zu entwickeln und langjährig auch zu verfolgen. Am Beispiel des StrandOrtes in Kiel-Friedrichsort wird behutsam mit der Bausubstanz, aber auch mit den lokalen Wirtschaftsinitiativen – von Start-Ups bis hin zu traditionellen Unternehmen – ein lebendiges Quartier entstehen, das seine Einzigartigkeit – den Strandzugang – zur Überschrift erhoben hat. Nur an gebauten, guten Beispielen ist zu erklären, dass der eine vom anderen profitieren kann.