Was an Idee und Form ist weiterführend brauchbar?

O&O Baukunst – Ein Architekturbüro mit fast 50-jähriger Bautradition

Legendär sind die Rauminterventionen und künstlerischen Experimente, die Ende der 1960er Jahre durch Haus-Rucker-Co auf den Weg gebracht wurden. Ende der 1980er Jahre kommt es zur Gründung des Architekturbüros Ortner&Ortner Baukunst in Düsseldorf, wo Laurids Ortner viele Jahre als Professor für Baukunst an der Kunstakademie tätig ist. Seit 1990 ist Ortner&Ortner Baukunst in Wien, seit 1994 in Berlin vertreten. 2006 wird unter der Leitung von Christian Heuchel auch ein Büro in Köln eröffnet. 2011 präsentiert sich das Büro unter dem Namen O&O Baukunst mit fünf jungen Partnern. Das »MuseumsQuartier« in Wien oder aktuell das Landesarchiv NRW im Duisburger Hafen sind nur zwei Projekte, die beispielhaft für die architektonische Haltung von O&O Baukunst stehen.

O&O Baukunst
Standorte: Berlin, Köln, Wien
Gründungsjahre: Haus-Rucker-Co: 1967 in Wien, Ortner&Ortner Baukunst: seit 1987 in Düsseldorf, 1990 in Wien, 1994 in Berlin und 2006 in Köln
O&O Depot: seit 2011 in Berlin
O&O Baukunst: seit 2011 in Berlin, Köln und Wien
Gesellschafter: Manfred Ortner, Laurids Ortner, Roland Duda, Christian Heuchel, Harry Lutz, Florian Matzker, Markus Penell
Schwerpunkte: Kultur, Shopping, Büros, Hotels, Wohnen, Städtebau, Interieur, Bauen im Bestand und Nachhaltiges Bauen
Mitarbeiter: 40

www.ortner.at

»Was bringt uns weiter? Alle Auseinandersetzung mit Architektur lässt sich rasch herunterbrechen auf die Frage: Was an Idee und Form ist weiterführend brauchbar?«

Anlässlich der Podiumsdiskussion »Chiricos Nachmittag« im Kölner KAP Forum sprachen Manfred Ortner und Christian Heuchel über ihre Positionen. Für den gemeinsamen Abend in Köln suchten sie nach einem adäquaten Ambiente,um sich über Baukunst zu unterhalten. Sprechen über Architektur in einprägsamer Atmosphäre ist für sie der beste Weg der Architekturvermittlung. Das Format des Tischgespräches schien ihnen am angemessensten zu sein. Drei schwarze Ledersessel, gruppiert um einen runden Tisch, auf dem die Bücher des Büros zu finden sind. Unter den Füßen ein weicher, handgewebter Perserteppich. Licht aus gedimmten Lampenschirmen über dem Rauchtisch unterstreicht die heimelige Atmosphäre. Das Publikum verschwindet im Dunkel. Vertrautheit und Gemütlichkeit, die einen befreiter sprechen lässt. Subversiv werden die eigenen Inhalte in kleinen Dosen dem Publikum eingeflößt.

»Unser Architekturbüro hat ein fast prähistorisches Alter. Es sammeln sich über die Jahre hinweg kulturelles architektonisches Wissen, Erfahrungen im alltäglichen Baukampf und grandios verlorene Wettbewerbe an. Sie füllen unser O&O Depot in Berlin. Dieses wird nun an die Jungen weitergegeben. Über den »osmotischen« Austausch diffundiert die architektonische Haltung, so die Hoffnung. Ein wichtiger Begriff dafür ist »borrow«. »Borrow« steht für »borgen«, was »ausleihen« UND »zurückgeben« bedeutet. Wer nicht borgt, ignoriert historische Lernprozesse. Das Neue soll Anregung borgen, um den Formenschatz anzureichern. Wir wollen bauen über die Zeit hinaus. Jenseits des Zeitgeistes. Dabei helfen uns die »10 Hinweise für eine bessere Architektur« aus dem Jahre 2008. In ihrer Offenheit und ihrer Leichtigkeit sind sie zu einem permanenten Begleiter in unserem Büroalltag geworden.«


10 Hinweise für eine bessere Architektur:

1. Nichts erfinden
2. Alles mischen
3. Künstler fragen
4. Einfaches verfeinern
5. Fremde Ideen weiterspinnen
6. Rätselhaft bleiben
7. Altes umarmen
8. Hülle von Inhalt trennen
9. Großzügig probieren
10. Lernen von der großen Zahl

(Quelle: Ortner&Ortner Baukunst, »10 Hinweise für eine bessere Architektur«, 2008)

 

»Am Ende steht der Bau als öffentliche Kunst mit langfristiger Wirkung und großem Einfluss allein da mit seiner Verantwortung. Für uns ist das Landesarchiv NRW in Duisburg ein gutes Beispiel für unser Denken. Das Archiv zeigt sich heute zur Autobahn A 40 hin als markante ziegelrote Baufigur. Das vorhandene Speichergebäude aus den 1930er Jahren wird durch einen 76 m hohen Archivturm im Zentrum ergänzt. Das 148 Regalkilometer lange Archivgut des Landes kann nun prägnant sichtbar und in Gänze aufgenommen werden. Der neue Speicherturm setzt sich mit feiner Ornamentierung von der alten Klinkerstruktur ab. Im Innern des Foyers blickt man über große »Bullaugen« in das gesammelte Archivmaterial. Hier wird Speicherfähigkeit gezeigt. Was sich hier ablagert aus der Alltäglichkeit vergangener Tage, setzt sich in der gebauten Masse als feine Schwingung fest. Emotionale Schwingungen, die auch durch das Zumauern der 250 vorhandenen Fenster des historischen Gebäudes freigesetzt werden. Jetzt, wo diese kräftige Ursprungsidee des Wettbewerbes Realität wird, stellen sich die Nackenhaare auf beim Betrachten dieser Radikalität.«

»Wer das Gebäude einmal gesehen hat, wird es nie wieder vergessen.«

»Derart einmalige Lösungen versuchen wir seit 2006 auch in Köln umzusetzen. Berühmt berüchtigt ist unser Entwurf der sechs Triangeltürme, im Volksmund »Müngersdorfer Manhattan« genannt. Eine geschickte Verdichtung auf dem ehemaligen RTL-Gelände an der Aachener Straße. Ebenso bemerkenswert: unser Entwurf für einen neuen Firmensitz in Köln-Deutz als kühne, auf Betonkernen schwebende Glas-Stahl-Konstruktion sowie für den Breslauer Platz am Rheinufer die urbane, hoch verdichtete Blockbebauung mit prägnantem »Domfenster«.

In Köln werden in Zukunft 20.000 neue Wohnungen benötigt. Es scheint heute eine unlösbare Aufgabe zu sein, attraktiven und zeitgemäßen Wohnraum bereitzustellen.«

»Ist die europäische Stadt Köln an ihre Grenzen gekommen? Wie soll es weitergehen mit der Speicherfähigkeit der Stadt?«

»Eine Möglichkeit besteht darin, die vielen urbanen Lücken homogen zu schließen. Dies birgt für die Stadt besondere Qualitäten. So verbindet sich Vorhandenes fast lautlos, ohne dass die eigenen Inhalte alles andere übertönen.«

Helena Feldmann-Fischer sprach mit Christian Heuchel, Gesellschafter O&O Baukunst.

Chiricos Nachmittag
Podiumsdiskussion im KAP Forum

Wie lange sind wir schon auf der Suche nach diesen Bildern? Bilder, die das fast Normale herüberbringen, die eine Wirklichkeit zeigen, bei der man die Szenen schon einmal gesehen zu haben meint, ohne zu wissen, wo und wann. Bilder, die all das Bekannte und Vertraute in eine geringfügig verschobene nächste Ebene kippen und sie mit einem Mal rätselhaft und fremd machen. Braucht es dazu ständig fließenden Regen wie in »Blade Runner«, oder die flackernden Straßenfeuer, die es in Neapel gab, wenn es kalt wurde? Wohin haben sich Chandler’s Typen verdrückt? Wo ist endlich die Bar von Hopper’s Nighthawks? War das nicht die Stadt, die einzige, in der es aufregend genug war, nur da zu sein; die sich nie aufdrängte und außer dichter Fremde keine extra Eigenschaften hatte? Keine Frage, es sind die Bauten, die den Ton angeben, die Stimmung machen. Wenn jemand von Atmosphäre, von Energie der Stadt spricht, so spricht er von der Baumasse, die im Hintergrund die Dinge davor zum Tanzen bringt. Wie immer sind es Schriftsteller, Maler, Filmer, Photographen, auch Philosophen, die von dieser Eigenschaft, diesen Stimmungen, die da ausgelöst werden können, berichten. Eigentlich alle, außer den Architekten, die auf der Jagd nach dem Neuen eben angestrengt dabei sind, die nächste spektakuläre Hülle zu erfinden.

Der Ort, das Umfeld, die Aufgabe geben vor, was angemessen ist. Eklektisch ist dabei gar nichts. Immer ist ein anderer, direkterer Weg zu finden. In Europa haben wir uns da mit grandiosem Erbe zu arrangieren, Altes mit Neuem zu flicken, beides zu einer anderen Einheit zu verschmelzen. Und ganz selbstverständlich schiebt sich da die überragende Qualität des Mediterranen ins Zentrum. Für uns nichts Neues. Chirico ist unser Patenonkel, seit wir seinen Namen buchstabieren konnten. Wie viele Nachmittage im Herbst haben wir auf der Piazza d’Italia mit ihm verbracht. Die Luft ist dann schon deutlich kühler, das Licht hat endlich seine Schleier abgestreift. Alles weit hinten ist jetzt so scharf wie die Dinge ganz vorne. Und der Strich zwischen Himmel und Meer pechschwarz. Klare steinerne Bauten um uns, von tiefer Sonne mit allen Kanten golden beleuchtet. Unmittelbar daneben mit langen blauen Schatten die kompakte zweite Welt.

Laurids Ortner, »Chiricos Nachmittag«

»Bitte Freunde, keine neuen Sensationen, lasst uns doch endlich mit dem Repertoire arbeiten, das wir jetzt ungeniert verwenden dürfen: mit allem, was von der Antike bis zur Moderne brauchbar ist.«

Das Landesarchiv NRW

Es zeigt sich zur Autobahn und zum Innenhafen als markante ziegelrote Baufigur. Das vorhandene Speichergebäude aus den 1930er Jahren wird durch einen Archivturm im Zentrum ergänzt. Das Archivgut des Landes kann nun prägnant sichtbar und in Gänze aufgenommen werden. Die Öffnungen und die Dachflächen des bestehenden Speichers werden geschlossen. Der neue Speicherturm setzt sich mit feiner Reliefierung von der alten Klinkerstruktur ab. Das Gebäude nimmt Archivalien in insgesamt 148 Kilometern Regalen auf.

Das Foyer liegt im Schnittpunkt des Speichers und der Büroflächen. Es entsteht ein angemessener Eingang für das neue Landesarchiv. Das Foyer und die öffentlichen Bereiche öffnen sich zur Uferpromenade. Im Innern des Foyers blickt man über große Öffnungen in das gesammelte Archivmaterial. Von hier aus wächst der Neubau nach Osten in das Baufeld hinein. Im fünfgeschossigen Anbau, der sich mäandernd entlang des Innenhafens erstreckt, sind Foyer, Verwaltung und zusätzliche Funktionen untergebracht.

Von Helena Feldmann-Fischer