Nachlese
STADT & IMPROVISATION
DI., 27. Juni 2017, 19 Uhr, Schauspiel Köln

Einfall und Inspiration lassen in der Musik neue Welten aus Tönen und Klang entstehen, die scheinbar zufällig, aber doch intuitiv zu einem überraschenden Ganzen zusammenführen. Dass diese Improvisationen auch auf die Architektur übertragen werden können, zeigt Christopher Dell als einen der “größten Vibraphontechniker der europäischen Jazzgeschichte” (FAZ) mit seinem Instrument und im Dialog im KAP Forum.

„Man muss mit den Spielregeln brechen“, sagt Christopher Dell gleich zu Anfang der Veranstaltung „Improvisation & Architektur“. – Dass er weiß wovon er dabei spricht, nimmt man ihm sofort ab. Allein schon wegen seiner außergewöhnlichen Karriere. Denn er hält als gelernter Jazz-Musiker und Komponist eine Professur für Urbanistik an der Hafen-Uni Hamburg inne.

Was der weltweit renommierte, virtuose Vibraphonist konkret mit dem Brechen von Spielregeln meint, war dann ganzheitlich erfahrbar: denn der Abend war als Experiment angelegt. Nicht in einen Vortragsaal hatte das Kap-Forum geladen. Sondern in die noch unfertige Außenspielstätte des Kölner Schauspiels. Und damit in einen architektonischen Raum mit improvisierten Verhältnissen. Und dort präsentierte Dell eine Performance-Lecture. Eine Art Sequenz aus Vortrag und Improvisationsspiel auf dem Vibraphon. Ganz ohne Beamer und Bilder.

Wohnen ist kein statischer Zustand. Es ist Aktion, in der Veränderbarkeit, Prozess steckt. Umso mehr wundert es einen, dass Städte mit Planungs- und Masterkonzepten aufwarten, die perfekt ordnen und regeln wollen. Dass dies nicht mehr gelingt, zeigen die aktuellen Fragestellungen wie Zuzug in die Metropolen, Migration, Wohnungsnot, Verkehrskollaps angesichts derer viele Städte fast hilflos nach Antworten suchen. Christopher Dell sieht die Improvisation als Gestaltungsmöglichkeit von Veränderungsprozessen im urbanen Raum. Als ein Raus aus den Disziplinen, um andere Zugänge von außen zu urbaner Planung und Architektur zu schaffen. Um sämtliche Gebrauchsweisen von Raum zu lesen, der ja primär sozial hergestellt wird.

Dell zieht Philosophie, Architektur- und Gestaltungsgeschichte heran. Er referiert von der bestimmenden und reflektierenden Urteilskraft. Wie werden Regeln angewandt und warum? – Davon, Stadt wieder als Handlungsraum, als Produktionsmechanismus zu begreifen. Und davon, wie wichtig es ist, Zustände, Situationen zunächst wahrzunehmen, zu beobachten, also wirklich zu sehen. „Sehen, lernen, machen“ als Prinzip zu verstehen, denn wir brauchen heute auch die „Experten des Alltags“.  Dell: „Es kann soweit gehen, zu hinterfragen, ob das in einer städtebaulichen Wettbewerbsausschreibung definierte Problem wirklich das Problem ist? Und ob es nicht eher so ist, dass man mit dem gelösten Problem zig weitere kreiert?“  – Um Veränderung integrieren zu können, sollten urbane Planungskonzepte so geöffnet werden, dass sie eben „performative Fenster“, Improvisation, ermöglichen.

Der Rhythmus von Dell’s Lecture-Performance ist straff getaktet. Er referiert lebhaft, intensiv, komplex. Und macht meisterhaft Musik. Er referiert weiter. Spielt andere Klänge, improvisiert. Recht bald wird deutlich: anschaulicher hätte er seine Gedanken zu „Improvisation & Architektur“ wohl nicht kommunizieren können. Kaum hat das Publikum seine Ideen aufgenommen, folgt der radikale Bruch in die Musik-Welt. Perspektivwechsel. Die nächsten Thesen folgen. Cut in die Musik. Dann die Diskussion mit Andreas Denk, Chef-Redakteur des Magazin „Der Architekt“. Und abschließend bringt Dell das Vibraphon nochmals zum Klingen.

Am Ende rauchen die Köpfe. Und man ahnt: Irgendwie ist Dell’s Performance weit mehr als Zukunftsmusik.

Autorin: Kathrin Spohr