Nachlese
Die Super-Materialisten

Grandioser Materialabend in München +++ Architektur und Design kommen zusammen +++ KAP zeigt an der TU High-Tech-Materialien zum Anfassen

Was wäre ein Expertenabend zu neuen Stoffen in Architektur und Design ohne entsprechende Materialproben? Hannes Bäuerle (Raumprobe Stuttgart), Florian Freihöfer (München) und Prof. Claudia Lüling (Frankfurt) präsentieren daher eindrückliche Beispiele ihrer Arbeit „hands-on“: zum Fühlen. Besonders faszinierten Basaltfasern, Carbonfasern und Metallgewebe, die eigentlich für Industrieförderbänder und Rundsiebe gedacht sind.

Aus seinem Fundus von rund 50.000 Musterexponaten der Stuttgarter „Raumprobe“ holte Hannes Bäuerle einige Leckerbissen hervor: faserverstärkten Zement etwa. Der Experte sieht sich als „Sammler“, der seit anderthalb Jahrzehnten besondere Stoffe, Gewebe und Metalle zusammenstellt und systematisch katalogisiert. Die Stuttgarter Raumprobe wurde so seit 2005 zu einer Referenz für Architekten und Designer, die immer auf der Suche sind nach neuen, unverbrauchten Materialien. Zwei Fragen würden ihm immer wieder gestellt, berichtete Bäuerle: Was gerade neu sei (und wie man das Neue verwenden könne) sowie was eigentlich sein Lieblingsmaterial sei. Da musste Bäuerle schmunzeln. Eigentlich könne er nur von seinem je aktuellen Lieblingsmaterial sprechen, das sich immer wieder ändere. Und von der Haut des Menschen, die ihn fasziniere: atmungsaktiv, adaptiv, fest und elastisch zugleich.

Der Stoff, aus dem Architektenträume sind, ist tatsächlich: textiles Gewebe. Professor Claudia Lüling (Frankfurt) faszinierte mit leichten, adaptiven Fassadenelementen aus Textil und präsentierte damit ein zeitgemäßes Update der Theorie der Bekleidung. Sie öffnete ein faszinierendes Spannungsfeld aus sinnlichem Erlebnis von Texturen und Oberflächen sowie systematischer Konstruktion: „Architektur mag zwar digital machbar sein“, sagte die Architektin, „am Ende aber wird sie immer analog ihre Qualität haben müssen, durch Material, Farbe und Licht. Dabei spielt hier nicht nur das Material selbst spielt eine wesentliche Rolle. Materialgestaltung wird durch neue Verarbeitungstechnologien wie Lasercut oder 3D-Print vorangetrieben, aber eben auch durch alte Techniken wie Weben, Striken, Wirken und Flechten –  mit Hightechmaschinen.

Das war eine Steilvorlage für den Designer der Runde: Florian Freihöfer. Der Wahlmünchner brachte es auf den Punkt. Gestalter wollten Geschichten erzählen – und dafür brauche es sinnliche Anschauung: „Materialien geben uns die Möglichkeit, Dinge aus einer anderen Perspektive zu betrachten. Es bleibt die Herausforderung, mit Ihnen verantwortungsvoll umzugehen.“

Genau hier setzte eine rege Publikumsdebatte ein: Wie steht es eigentlich mit der Nachhaltigkeit der vielen neuen Stoffe? Wie werden sie hergestellt? Und was für Ideen und Ideale stehen dahinter? Professor Thomas Herzog plädierte nachdrücklich dafür, aktuelle Probleme nicht immer mit alten Lösungen anzugehen. Es ist schon erstaunlich: Vieles, was Frei Otto und andere Freigeister wie archigram vor Jahrzehnten propagierten, lässt sich nun tatsächlich bauen – und trotzdem geht es kaum je über faszinierende Pavillons hinaus. Professor Lüling konterte, es sei schon erstaunlich, wie klein der Etat etwa der DFG für Forschungen im Bereich Bauwesen sei: gerade ein Prozent.

Dieser Abend war handgreiflich. Mit vielen Proben zum Fühlen und Be-Greifen sorgten die Referenten immer wieder für sinnliche Erlebnisse. Und für spannende Impulse. Das Publikum ließ sich im Vorhoelzer-Forum der TU München von den Experimenten der drei Experten mitreißen und verlangte mehr Mut in der Architektur.

Das KAP Forum dankt den Kooperationspartnern TU München und der Architekturgalerie München, speziell Nicola Borgmann.

Text: Oliver Herwig
Fotos: Marian Wilhelm