Nachlese
Michele De Lucchi
Earth Stations

Mit unserer Hände Arbeit
With our hands work

Stardesigner Michele De Lucchi brilliert im vollbesetzten Auditorium des MAKK. Und verschreibt der kriselnden Menschheit neue Monumente – für neuen Zusammenhalt.
Star designer Michele De Lucchi shines in the full auditorium of the MAKK. And prescribes new monuments to the crisis-ridden humanity – for new cohesion.

Grau melierter Bart, sanfte Stimme, nachdrückliche Botschaft: So gewann der italienische Ausnahmegestalter Michele De Lucchi das Kölner Publikum, als er im vollbesetzten Auditorium des MAKK seine Vision der Zukunft ausbreitete. Der bald 67-Jährige, der 1973 in der Uniform eines napoleonischen Generals vor der Biennale Mailand gegen unnütze Produkte protestiert hatte und später mit der Gruppe Memphis als Design-Revoluzzer auftrat, klingt radikaler denn je.
Grey mottled beard, soft voice, emphatic message: the Italian exceptional designer Michele De Lucchi won the Cologne audience when he presented his vision of the future in the full auditorium of the MAKK. The 67-year-old, who in 1973 protested against useless products in the uniform of a Napoleonic general at the Milan Biennale and later appeared as a design revolutionary with the Memphis group, sounds more radical than ever.

Das sei ein visionäres Projekt, schickte Michele De Lucchi voraus, ein Projekt für eine bessere Zukunft. „Architektur soll keine Mauern errichten“, sagte der Architekt und Designer, „sondern Räume errichten, in denen sich Menschen treffen.“ Sich treffen, austauschen und etwas Gemeinsames schaffen.
This is a visionary project, Michele De Lucchi sent ahead, a project for a better future. „Architecture shouldn’t erect walls,“ said the architect and designer, „but rooms in which people meet. Meet each other, exchange ideas and create something together.

Die Diagnose war eindeutig. „Wir leben inmitten einer großen Krise, einer furchterregenden Klimakrise.“ Statt aber nur mit technischen Maßnahmen zu antworten, mit weiteren Effizienzsteigerungen, antwortet Michele De Lucchi mit einer gerade philosophischen Wendung: „Wir müssen eine andere Mentalität entwickeln.“ Das bedeutet: Wir müssen zusammen etwas Größeres, etwas Gemeinsames schaffen – im Einklang mit der Natur.
The diagnosis was clear. „We are living in the midst of a great crisis, a terrifying climate crisis. But instead of responding with only technical measures, with further increases in efficiency, Michele De Lucchi responds with a philosophical twist: „We must develop a different mentality. This means that together we must create something greater, something common – in harmony with nature.

Michele De Lucchi schweben Monumente vor. Symbolische Großbauten der Gemeinschaft, errichtet mit den für die unterschiedlichen Klimazonen perfekten Materialien: Schindeln, Lehm, Holz und Bambus. Zu sehen waren schwingende, ja poetische Entwürfe, die eines vereint: Sie transportieren Bedeutung – etwas, das früher antike Kultstätten taten oder mittelalterliche Kathedralen: Gebäude, welche Gemeinschaft feiern und natürlich zusammen errichtet werden sollen, mit unserer Hände Arbeit. „Was würde ich dafür geben, hier mitzuarbeiten“, entfuhr es De Lucchi, als er ein Bild gemeinschaftlicher Lehmbauweise zeigte. „Dafür würde ich die Wand hochklettern und Lehm aufbringen.“ Gewissermaßen war das das Bild einer Dombauhütte des 21. Jahrhunderts – kurz vor dem Vortrag hatte der Mailänder noch den Kölner Dom besucht: „Bellissima!“
Michele De Lucchi has monuments in mind. Symbolic large-scale buildings of the community, built with materials that are perfect for the different climate zones: shingles, clay, wood and bamboo. They transport meaning – something that ancient places of worship used to do, or medieval cathedrals: buildings that celebrate community and of course are to be built together, with our hands working. „What would I give to work here,“ De Lucchi kidnapped when he showed a picture of communal loam construction. „I would climb up the wall and apply clay.“ In a way, this was the picture of a cathedral building hut of the 21st century – shortly before the lecture, the Milanese had visited Cologne Cathedral: „Bellissima!

Wie passt das zusammen – Handarbeit als Rettung der technologietrunkenen Gesellschaft? Einfachste Naturstoffe statt High-Tech-Materialien? Fingerspitzengefühl statt 3-D-Druck? Eben doch! Manche können das elitär nennen oder als Retro-Gefühlsduselei abtun, De Lucchi jedenfalls zeigte eine inspirierende Vision, ihn schon seit einigen Jahren umtreibt, weil er erfahren musste, dass Gebäude veraltet sind, bevor sie ihre Türen öffnen. Stattdessen schlägt De Lucchi wandelbare, offene Bauten vor, die sich mit den Besuchern und Begegnungen verändern. So gesehen sind die propagierten „Naturtempel (Temples for nature)“ mindestens ebenso lebendig und zukunftsweisend wie aktuelle High-Tech-Visionen.
How does this fit together – handwork as a rescue for the technology drunken society? Simplest natural materials instead of high-tech materials? Dexterity instead of 3D printing? Just the opposite! Some can call it elitist or dismiss it as retro sentimentalism. De Lucchi, in any case, showed an inspiring vision that has been driving him around for several years, because he had to learn that buildings are obsolete before they open their doors. Instead, De Lucchi proposes changeable, open buildings that change with visitors and encounters. Seen in this light, the „Temples for nature“ propagated are at least as lively and forward-looking as current high-tech visions.

Schon vor Jahren hat Michele der Lucchi gefordert, dass Gestaltung den Menschen dienen müsse. Nun löst er es ein, radikaler denn je. Es sind Bauten, die für ihn den Menschen Würde zurückgeben und dadurch selbst an Bedeutung gewinnen. Dafür ist der Gestalter auf Tour: Seoul und Kanada stehen nun auf dem Programm. Warum er das tun? „Ich bin eben Optimist“, bekannte der wunderbar souveräne Italiener.
Years ago, Michele der Lucchi demanded that design should serve people. Now he is redeeming it, more radically than ever. They are buildings that give dignity back to people for him and thus gain in importance themselves. But the designer is on tour: Seoul and Canada are now on the programme. Why is he doing this? „I’m an optimist,“ confessed the wonderfully confident Italian.

Text: Oliver Herwig
Fotos: Studio für Gestaltung