Architektur ist ein relativ konservatives Feld

Teresa Fankhänel, Kuratorin der Münchner Ausstellung »Die Architekturmaschine«, spricht über Ängste vor dem Computer als Entwurfswerkszeug und seine künftige Rolle beim Planen und Bauen.

Können Sie Ängste vor einem Kontrollverlust an den Computer (heute würden wir sagen: vor Algorithmen und Big Data) nachvollziehen?

Natürlich kann ich ein gewisses Unbehagen vor neuer Technik nachvollziehen. Architekt*innen sind zumeist keine Programmierer, das heißt, sie haben oft nur wenig Einblick darin, wie die Werkzeuge, die sie benutzen, im Inneren funktionieren und auch keine Kontrolle darüber. Architektur ist grob gesagt ein relativ konservatives Feld, das sich nur sehr langsam ändert und das häufig von persönlichen ästhetischen Vorlieben bestimmt ist, die Veränderungen gegenüber häufig skeptisch sind. Die Erwartungen an die Fähigkeiten des Computers sind dabei in der Frühzeit weit über die Realität hinausgegangen und haben dem Computer wesentlich mehr Leistungsfähigkeit zugesprochen als er tatsächlich hatte, dass er „intelligent“ ist oder dass er „den Architekten ersetzt“. Diese Kombination aus einer gewissen „Fortschrittsangst“, einem latenten Konservatismus und dem fehlenden technischen Wissen erklärt sicher viele dieser Ängste, die auch mit einem bestimmten Selbstbild des Berufs Architekt zusammenhängen – der Architekt als Künstler und dessen Angst vor Kontrollverlust. Es ging allerdings nicht allen so, wie wir in der Ausstellung zeigen.

Liegt im Computer als Entwurfsmaschine überhaupt eine Gefahr? Verkümmert etwa das räumliche Denken, das lange alleine mit der Hand verbunden war, das »Begreifen«?

Ich bin mir nicht sicher, ob der Computer tatsächlich gefährlicher ist als andere Technologien. Als im 19. Jahrhundert die ersten Eisenbahnen fuhren, war die Befürchtung, dass der menschliche Körper die rapide Geschwindigkeit von 30 oder 40 Stundenkilometern nicht aushält. Es gibt in der Geschichte der Technik zu jeder technischen Neuerung solche fatalistischen oder negativen Erwartungen. Das soll nicht heißen, dass es nicht tatsächlich Gefahren gibt. Aber meiner Meinung nach liegt die Gefahr weniger in konkreten Aspekten wie »das räumliche Denken verkümmert«, sondern darin, dass man nicht versteht, was die Vor- und Nachteile des jeweiligen Werkzeugs sind, sowohl des alten als auch des neuen.

Welche Vorteile hat denn der Computer wirklich?

Der Computer hat eine ganze Reihe Vorteile die seit den Anfängen zu seinem Einsatz geführt haben, wie zum Beispiel, dass er vormals zeitaufwendige und monotone Arbeiten übernommen hat. Darüber hinaus sind Funktionen wie copy / paste oder auch das Löschen und Überarbeiten von Fehlern in Zeichnungen eine Errungenschaft, die für jede(n), die/der oder die noch die Zeit davor kennt, sicher eine große Errungenschaft bedeuten. Menschen sind darüber hinaus nicht sonderlich gut ausgestattet, um sich große Mengen an Informationen zu merken und zu verarbeiten. Auch hier waren und sind Computer ein wertvolles Werkzeug. Und wenn man den Kopf frei hat für andere Aufgaben, dann haben Computer einen nicht unbedeutenden Anteil an der kreativen Arbeit von Architekt*innen.

Für manche ist der (CAD)-Computer nur so etwas wie ein intelligenter Bleistift. Sie schreiben in einem Essay: »Im Unterschied zu Bleistift auf Papier ist Software kein neutrales Arbeitsmittel.« Warum ist das so?

Software ist wesentlich komplexer als ein Bleistift. Sie hat ihre eigene Geschichte und wurde häufig als Lösung für ein bestimmtes Problem geschrieben. Wir zeigen in der Ausstellung eine Übersicht zur Geschichte der Software, die diese unterschiedlichen konzeptuellen Hintergründe klar macht. „CAD“ ist nicht immer das gleiche. Manche Programme haben als 2-D-Zeichenprogramme begonnen, andere waren bereits von Anfang an 3-D-Modellprogramme. Wieder andere, wie etwa form*Z, wurden von bestimmten Architekten aufbauend auf deren Designphilosophie entworfen – in diesem Fall von Peter Eisenman und Chris Yessios, die an einem Void Modeler interessiert waren.

Die Interessen, die hinter der Entwicklung der jeweiligen Software stehen, sind einerseits in der Entwicklung der Benutzeroberflächen erkennbar, also welche Werkzeuge prominent angeordnet wurden und von denen man davon ausging, dass sie am meisten benutzt werden; andererseits sind sie auch erkennbar in dem, was eine bestimmte Software nicht oder nicht gut kann. Heute sind viele Programme an einem Punkt, wo sie viele der vormals separaten Funktionen vereinen, aber das war nicht immer so. Diese Komplexität zu verstehen, heißt zu verstehen, was man mit dem Werkzeug tun kann und was damit nicht möglich ist.

Wie sehen Sie die Ko-Evolution von maschineller Rechenpower und gestalterischer Phantasie? Es gab mitunter viel Kritik an sinnfreien Formen, die eben nur entstanden, weil sie plötzlich möglich waren.

Der Computer hat sicher eine ganze Reihe Bauten ermöglicht, die ohne ihn nicht entstanden wären. Ob diese Formen »sinnfrei« sind, ist eine Frage, die auf den jeweiligen ästhetischen Vorlieben beruht. Ich bezweifle, ob es tatsächlich objektive Kriterien für die Schönheit oder Sinnhaftigkeit des rechten Winkels versus die Hässlichkeit der doppelt gekrümmten Wand gibt. Viele der Formen, die in den 90er Jahren in die Kritik geraten sind, darunter am prominentesten sicher der Blob, sind keine Formen, die es erst in dieser Zeit gab. Archigram, Frederik Kiesler und viele andere haben sich Jahrzehnte vorher mit solchen Formen beschäftigt, sie gezeichnet und auch veröffentlicht. Die Fantasie war also schon lange da. Was meiner Meinung nach häufig berechtigt kritisiert wurde und wird, ist die Ausführung dieser Bauten, die meistens nicht an die digitalen Modelle und Zeichnungen heranreicht und das schwierige Verhältnis dieser Bauten zum bestehenden Stadtraum.

CAD ist das eine. BIM eine ganz neue Dimension. Ist das der endgültige Übergang von der analogen Welt zur digitalen, zum wirklich vernetzten Arbeiten?

BIM scheint momentan auf dem Vormarsch zu sein, aber wie die Zukunft von BIM aussieht, ist schwer einzuschätzen. Meine Erfahrung ist, dass trotz aller Vernetzung vieles immer noch analog passiert – und ich vermute, dass das auch noch eine ganze Weile so bleiben wird. Es gibt bislang immer noch keine großmaßstäbliche Kette vom digitalen Entwerfen zum vollautomatisierten Bauen, auch wenn in diese Richtung momentan sehr viel geforscht wird.

Was erwarten Sie in Zukunft von KI im Bereich Bauen? Wird sie Varianten über Varianten produzieren, aus der Architekt*innen wie Kurator*innen auswählen und nur noch die Richtung vorgeben?

KI scheint aktuell unter anderem auf das Produzieren von Varianten – Grundrisse zum Beispiel – abzuzielen. Wo es hier hingeht, kann ich nicht vorhersagen.

Es gibt noch eine andere, düstere Vision: KI produziert nur Variationen von bewährten Grundrissen für den Massenwohnungsbau.

Das ist tatsächlich eine Möglichkeit, die man sich vorstellen kann. Es heißt ja aber nicht, dass alles, was technisch möglich ist, auch umgesetzt werden sollte.

Aber das wäre eine ziemliche Kapitulation der Architekt*innen …

Mit Sicherheit. Deswegen denke ich, dass diese Ausstellung und der begleitende Katalog zu einem günstigen Zeitpunkt kommen. Denn damit Architekt*innen aktiv an der Entwicklung dieser neuen Technologien mitwirken können, braucht es ein umfassendes Verständnis der Geschichte, der technischen Möglichkeiten und der Auswirkungen, die diese Entwicklungen haben, um fundiert Entscheidungen für die Zukunft treffen zu können.

Das Programm GPT-3 schreibt bereits Texte im Stil eingegebener Fragmente, und es fällt Leser*innen schwer zu bestimmen, wer das verfasst hat. Das klingt nach einem neuen Turing-Test. Schlimmer als solche Texte sind vielleicht generierte Städte. Gibt es überhaupt so etwas humane Entwürfe von Algorithmen?

Technik, Algorithmen, Skripte, Computer – all dies ist von Menschen entworfen. Und die Entscheidung, welcher Algorithmus wo eingesetzt wird, wird auch weiterhin von Menschen getroffen. Ein Beispiel aus der Geschichte, das zeigt, wie man mit solchen Ideen auch human und auf das Individuum bezogen umgehen kann, ist sicher Christopher Alexanders Buch »A Pattern Language«, das unter anderem versucht hat, traditionelle Designideen zu sammeln und in einem Hyperlink-ähnlichen System zu erschließen. Auch wenn die Vorstellung eines Computerprogramms, das Texte schreibt, sicher keine angenehme ist, es bleibt immer noch die Person, die diese Programme schreibt und die entscheidet, was das Programm kann – und hier liegt viel Raum für Kreativität und Humanismus, wenn man die Auswirkungen der Computerprogramme nicht aus den Augen verliert.

Die Architekturmaschine.
Die Rolle des Computers in der Architektur.

Ausstellung im Architekturmuseum der TUM. Bis 10. Januar 2021.

www.architekturmuseum.de