Architektinnen stellen sich nur sehr selten auf die Bühne.
Susanne Peick, Chefredakteurin des »polis Magazin für Urban Development«, über Frauen in der Architektur.

Was tut sich gerade in der Architektur?

Was gegenwärtig deutlich spürbar ist, ist der Trend zum nachhaltigen Bauen. Nachhaltigkeit ist kein neues Thema – im Gegenteil. Der Begriff wurde in den vergangenen Monaten schon fast inflationär gebraucht. Dennoch folgen nach vielen Worten nun auch Taten.

An was denken Sie da?

Nehmen wir zum Beispiel Gebäude in Holzbauweise. Vor gar nicht allzu langer Zeit waren sie noch »Exoten« unter den primär puristisch anmutenden Kubaturen. Heute reihen sie sich mehr und mehr in diese Riege ein und übernehmen darüber hinaus auch noch Vorbildfunktion. Ein altes, traditionelles Material wird quasi neu erfunden. Die Lösungen sind nicht nur umweltfreundlich(er), sondern auch eine willkommene visuelle Ablenkung in der zum Teil vorherherrschenden Monotonie unserer (Innen-)Städte.

Ist das ein genereller Trend, hin zu mehr … Wärme, mehr Menschlichkeit?

Durchaus. Überhaupt scheint Architektur eine neue Nähe zum Menschen zu suchen. Das Wohlbefinden des Menschen steht wieder mehr im Mittelpunkt. Ein guter Turnaround, denn immerhin verbringen sehr viele von uns einen Großteil ihrer Lebenszeit in geschlossenen Räumen. Welche gebauten – also künstlich entwickelte Strukturen – schaffen Atmosphären, die unseren natürlichen Bedarfen und Ansprüchen begegnen? Welche räumlichen Strukturen unterstützen unser Wohlbefinden? Welche Auswirkungen hat dies auf die Auswahl von Materialen, auf Farben, Licht und Mobiliar? Das sind Fragen, die sich nicht ausschließlich an Architektinnen und Architekten richten. Hier müssen wir interdisziplinär denken und arbeiten – und das passiert bereits an vielen Stellen sehr gut.

Welche Rolle spielen Architektinnen dabei?

Eine heikle Frage.

Warum?

Ein Blick in die Historie zeigt, dass das Feld der Architektur natürlich auch von Frauen bespielt wurde. Wenn man jedoch bedenkt, dass Edith Dinkelmann im Jahr 1915 die erste Frau war, die in Deutschland zu einem Architekturstudium zugelassen wurde, ist die „professionelle universitäre Laufbahn“ noch relativ jung. Und wenngleich sich die Rolle und das Bild der Frau zu Beginn der 1920er Jahre in eine für uns moderne Richtung entwickelte, dürfen wir nicht vergessen, dass sich dieser Weg im Zuge der weiteren politischen und den damit einhergehenden gesellschaftlichen Entwicklungen wieder umkehrte.

»Frau Architekt« – so der Titel einer aktuellen Ausstellung – hat es also nicht leicht …

… in diesem Kontext als Frau den Ton anzugeben, war sicherlich kein leichtes Unterfangen. Denken Sie einmal an Lilly Reich. Ich wette, dass viele nicht wissen, wie maßgeblich sie die moderne Baukunst von Ludwig Mies van der Rohe mitgeprägt hat. Mies van der Rohe ist auch für Laien ein Begriff. Dass aber Lilly Reich auch am berühmten Barcelona Pavillon zur Weltausstellung 1929 mitgearbeitet hat, findet kaum Erwähnung. Interessanterweise bringt sie es aber vor fast 100 Jahren auf den Punkt „Gut Ding will eben Weile haben, und wesentlich wird auch sein, dass der Geist der Frau zur Sprache kommt, die sein will, was sie ist, und nicht scheinen will, was sie nicht ist«.

Ein schönes Zitat. Was heißt das aus Ihrer Sicht?

Es sollte nicht darum gehen, dass Frauen »in die Fußstapfen von …« einem erfolgreichen Architekten treten oder neben einem männlichen Pendant »bestehen«. Frauen mögen ihre eigene Sprache sprechen – auch in der Architektur. Dieser sollte das Recht eingeräumt werden, Gehör zu finden – und zwar ohne in stetige »Relation zu …« gesetzt zu werden. Vielleicht müssen wir Frauen daher etwas »lauter sprechen« – nicht nur in der Architektur.

Wenn Wahrnehmung schon eine Frage der Lautstärke ist, geht es auch um Zwischentöne – und die wären ja klischeemäßig eine weibliche Domäne …

Sie missverstehen mich. Wahrnehmung sollte nie eine Frage der Lautstärke sein, sondern der Qualität! Mir stößt es generell auf, Architektur und Design – genauso wie andere Branchen in »primär weiblich« oder »primär männlich« zu unterteilen. Diese Binarität ist eine von uns konstruierte, künstliche Zweiteilung und hat sich leider sehr tief in unseren Köpfen verankert. Wo bleibt die rein objektive Beurteilung? Wir sollten uns einmal fragen, inwiefern unsere Wahrnehmung eines Gebäudes beeinflusst wird, wenn wir wissen, ob es aus der Feder eines Architekten oder einer Architektin stammt. Grundsätzlich sollte dies natürlich irrelevant sein. Ich vermute jedoch, dass es das nicht ist. Von diesen subtilen Beeinflussungen müssen wir uns lösen.

Welche Architektinnen sind Ihnen in letzter Zeit aufgefallen?

Die Liste großartiger Architektinnen ist lang. Aber Architektinnen fallen nicht auf. Wenngleich sie großartige Arbeit leisten, stellen sie sich nicht – oder nur sehr selten – auf die Bühne. Hier ist viel Luft nach oben …

Woran liegt das – etwa auch an den Medien und wie sie berichten?

Sie sprechen einen sehr wichtigen Punkt an: Die berichterstattenden Medien stützen sich allzu oft nur auf die »Superstars«. Sprechen wir weiterhin über »weibliche Architektur« gibt bis dato noch immer Zaha Hadid den Ton an. Ihr Schaffen ist zweifellos beeindruckend, doch wenn wir darüber diskutieren, ob Frauen in der Architektur zu wenig Gehör finden, liegt es auch in unserer Verantwortung, ihnen die entsprechende Plattform zu bieten. Kazuyo Sejima, Elizabeth Diller, Barbara Bestor, Caroline Bos, Farshid Moussavi oder Regine Leibinger haben sicherlich sehr viel zu sagen. Lassen wir sie zu Wort kommen!

Graben wir etwas tiefer. Gehen Frauen anders mit Karriere um?

Frauen – und speziell die, die sich in sogenannten Männerdomänen etablieren möchten – müssen zwangsläufig anders mit Karriere umgehen. Die ungleiche Behandlung von Männern und Frauen in der Arbeitswelt ist bekannt. Doch auch wenn an einigen Stellen entsprechende Maßnahmen zur Beseitigung dieses Ungleichgewichts ergriffen wurden, denke ich, dass Frauen in manchen Branchen nach wie vor »ein Stück mehr« tun müssen, um mindestens gleichwertig behandelt zu werden. Über die tatsächliche Akzeptanz ihrer Person und Kompetenz möchte ich hier nicht sprechen – das würde vermutlich den Rahmen sprengen. Dass wir ab und zu spitzere Ellenbogen und eine dickere Haut benötigen, ist auch 2020 noch Alltag. Ich denke, das beste und einzige Mittel gegen diese Missstände ist offene Kommunikation. Hinzu kommt die Frage nach der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Hier gilt es meiner Meinung nach vor allem darum, Modelle zu finden, die Müttern (und übrigens auch Vätern!) den Wiedereinstieg in den Job nach der Elternzeit erleichtern. Ich denke, vielen berufstätigen Müttern, die zum Teil in Teilzeit arbeiten, haftet der Ruf an, eh nicht mehr »richtig dabei zu sein«. Warum suchen wir stattdessen nicht nach flexiblen Modellen, die auch eine Vollzeitbeschäftigung ermöglichen? Doch ganz abgesehen davon: Wieso sprechen wir eigentlich bis heute immer von sogenannten »Karriere-Frauen«? Und: Gibt es auch »Karriere-Männer«?

Gibt es wenigstens Frauen-Netzwerke?

Meines Wissens sind die Schweizerinnen und Österreicherinnen da ein Stück weiter als wir. Von 1994 bis 2012 setzte sich beispielsweise das Frauennetzwerk »Planung Architektur Frauen« (P, A, F.) für die Sichtbarkeit und Teilhabe von Frauen in den planenden, entwerfenden und bauenden Berufen ein. Mittlerweile hat es sich das Netzwerk frau+sia des Schweizerischen Ingenieur- und Architektenvereins auf die Fahne geschrieben, zusammen mit dem Forum für GenderKompetenz in Architektur Landschaft Planung (gender_archland, Leibniz Universität Hannover) sowie ehemaligen Vereinsfrauen der P, A, F. ein Stück Frauengeschichte in Form einer Publikation zu sichern und zu verbreiten. Von den Ergebnissen sollen gegenwärtige und künftige Netzwerke profitieren – und das nicht nur in der Schweiz, sondern auch im Ausland. Solche Initiativen sind sicherlich hilfreich – zumal sie auch Männer mit einbinden. Meiner Meinung nach zeichnen sich gute Netzwerke dadurch aus, dass sie qualitativ hochwertig , inspirierend, verbindend und »geschlechtsneutral« sind.

Wie soll es also weiter gehen, wenn wir mehr Miteinander und mehr Gleichberechtigung wollen in der Bauwelt?

Konzentrieren wir uns doch auf das Wesentliche: die Sache! Und darauf, mit der Bündelung verschiedener Kompetenzen gemeinsam zu einem Ergebnis zu kommen, das durch objektive Qualität überzeugt.