»ICH MAG WIDERSTAND.«
WIE PETER HAIMERL MENSCHEN BEGEISTERT UND DURCH KULTUR(BAUTEN) GANZE LANDSTRICHE VERÄNDERT.
Das Schusterbauen-Anwesen in München-Riem, das Waldlerhaus Birg mich Cilli! bei Viechtach, die Altstadt von Viechtach, das Denkerhaus am Schedlberg, nun Lichtenfels. Was fasziniert Dich an gewachsenen Strukturen?
Mich interessieren gewachsene Strukturen, weil ich dort architektonische Prozesse ablesen und erforschen kann. Entwicklungen in der Architektur sind wie künstliche intelligente Prozesse – sie dauern nur viel länger. Sie agieren jedoch auch flexibel und lernend, deshalb sollte man die in historischen Gebilden gespeicherten Informationen nicht leichtfertig vergessen oder gänzlich beseitigen.
Du sprichst vom Gencode einer Stadt? Was steckt dahinter?
Eine Stadt ist wie ein sich sehr langsam bewegender Organismus. Die meisten mitteleuropäischen Städte sind 500 bis 800 Jahre alt und haben sich im Kern kaum verändert. Sie haben sich allerdings den unterschiedlichsten Einflüssen angepasst. Diese Anpassungsfähigkeit verdanken sie Grundinformationen, Regeln die in von Anfang an in die Stadtstruktur und Planung eingeschrieben waren. Das sind die Gene, die es zu erhalten gilt.
Du bist unermüdlich, machst mobil, gründest etwa die Interessengemeinschaft »Hauspaten Bayerwald«. Da kommen Bauherren, Architekten, Investoren, Handwerker und Fördergeldgeber zusammen. Warum tust Du Dir das an?
(Warum ich mir das antue?) Meistens muss man die Ideen, die man realisiert haben möchte, selbst umsetzen und kann nicht warten, bis andere das für einen erledigen. Ich empfinde körperliche Schmerzen, wenn ich schlechte Architektur sehe. Ich will aber gute Architektur, sie vitalisiert mich, macht mir Spaß, bereichert mich und entfaltet eine gesellschaftliche Wirkmacht, die ich spüre und die ich erreichen will. Und dafür suche und finde ich MitspielerInnen und MitgestalterInnen.
Ist das der Schlüssel: Verbündete finden?
Ich habe immer wieder Verbündete in den Gemeinden, im Landesamt für Denkmalpflege oder in der Politik gefunden. Manchmal auch PartnerInnen, wie zum Beispiel Thomas Bauer, den Initiator des Konzerthauses Blaibach. Gemeinsam ist ihnen, dass sie erkannt haben, dass durch Architektur kulturelle aber auch wirtschaftliche Impulse erzielt werden können.
Thomas E. Bauer, Bariton, Kulturschaffender und Intendant des Konzerthauses Blaibach:
»Wir empfangen in Blaibach laufend interessierte Kommunen, die bei städtebaulichen Themen einige Erfahrung mitbringen. Meistens besitzt die Frage, wie die geplanten Projekte mit Inhalt gefüllt werden sollen, eine geringe Priorität. Ohne eine Strategie für einen hochwertigen Betrieb können diese Vorhaben aber nicht die gewünschte Wirkung entfalten. Einfach gesagt: ohne Mona Lisa kein Louvre! Während die Abläufe in der Abwicklung von öffentlichen Baumaßnahmen professionalisiert sind, gibt es keinen ernst gemeinten Masterplan zur Herausbildung einer prominenten kulturellen Infrastruktur in den Regionen. Mit dieser Aufgabe sind die Kommunen überfordert, deswegen sind Bund und Länder gefragt, geeignete Strukturen auf den Weg zu bringen. Über Lippenbekenntnisse zum ländlichen Raum hinaus sehe ich entsprechende Bemühungen derzeit nicht.«
Entwickelt und entstanden ist das Konzerthaus Blaibach im Rahmen des Modellvorhabens »Ort schafft Mitte« der Städtebauförderung in Bayern. Ausgangspunkt und Ziel des Modellvorhabens waren, vor allem im ländlichen Raum innerörtliche Gebäudeleerstände und Brachen zu revitalisieren, sowie Infrastrukturdefizite zu beheben. Dazu hat die (damalige) Oberste Baubehörde mit dem Referat Städtebauförderung mit zwölf bayerischen Gemeinden das Modellvorhaben 2010 gestartet, um innovative Lösungsansätze auszuprobieren, Impulsprojekte umzusetzen, Prozessstrukturen zu etablieren und Finanzierungslösungen zu erarbeiten. Die Auswahl der Modellprojekte erfolgte unter Beteiligung des Bayerischen Städtetags und des Bayerischen Gemeindetags insbesondere nach dem Motto »wo sind mit innerörtlichen Leerständen verbundene städtebauliche Missstände und Mängel« und »gibt es ein Problembewusstsein vor Ort, diese Herausforderungen koordiniert und im Sinne einer Qualitätsverbesserung des Ortskerns anzugehen«. Bereits bei der Bewerbung wurde die Gemeinde von Peter Haimerl begleitet und beraten. Kerngedanke des Blaibacher Ansatzes war, den weitgehenden Leerstand der unmittelbaren Ortsmitte als Chance für eine Neupositionierung der Ortsmitte zu nutzen.
Der Abschlussbericht des Modellvorhabens »Ort schafft Mitte« und weitere Informationen zum Modellvorhaben sind im Internet unter http://www.ortschafftmitte.de abrufbar.
Dein Engagement stößt nicht immer auf Gegenliebe. »Toller Architekt, Visionär, positiver Spinner«, das sagt der Oberbürgermeister von Viechtach über Dich. Nach zwei Jahren hast Du im Herbst 2018 Deine Position als Stadtplaner beendet. Wie fühlt sich das an?
Ich wurde als »positiver Spinner« nicht mehr weiter beauftragt, weil ich konsequente politische Entscheidungen gefordert habe, die für die Entscheidenden zu viel Haltung und Positionierung gefordert hätten und damit auch Wählerstimmen. Aber jeder weiß: Die Welt ist ein Irrenhaus und in einem Irrenhaus halten sich die Internierten für gesund und die draußen halten sie für verrückt.
Generell: Wie gehst Du mit Widerständen um?
Ich mag Widerstand. Die Wände gegen die man läuft, geben einem Halt. Widerstande stützen und wenn man sich auf einen Widerstand zubewegt, spürt man Energie. Diese Energie lädt ein Projekt auf und gute Projekte brauchen Energie und Aufmerksamkeit.
Was braucht es für eine wirkliche Transformation? Du hast mal gesagt: »Wenn Sie Stadt verändern wollen, brauchen Sie keine Bürgerinitiative, wenn es darum geht, das umzusetzen, sind Sie alleine« …
Es braucht mutige Visionen und professionelles Können von allen Beteiligten.
Konzerthaus Blaibach – Foto: Edward Beierle
Waldlerhaus, Bayerischer Wald
Was also steckt wirklich hinter dem »Wunder von Blaibach«? Der BR meint, Du hättest aus einem verödeten Waldlerdorf ein »Mekka für Architektur- und Musikliebhaber« gemacht. Ist das eine Blaupause für andere Orte, andere Architekten und Stadtplaner?
Wie immer waren es Individuen, die Blaibach ermöglicht haben. Allen voran natürlich Thomas Bauer. Diese Individuen in der Bevölkerung, in der Gemeinde und in der Politik haben eine vermeintlich verrückte Idee nicht nur für gut befunden, sondern haben sich auch mit allem, was ihnen möglich war, um die Umsetzung bemüht. Das Wunder war möglich, weil viele ihr Bestmöglichstes gegeben haben und das mit voller Kraft.
Am Anfang stand das neue Rathaus, eingepackt in Beton …
… weil wir hier zeigen wollten, dass die Gemeinde verantwortlich in die Zukunft denkt, dass die Bevölkerung viel aufgeschlossener ist, als man ihr das von außen oft zutraut, weil Beton ein Material ist, das kräftig und sensibel gleichzeitig wirken kann.
Das Konzerthaus hatte nicht nur Freunde, es gab sogar Bürgerinitiativen dagegen. Wie hast Du reagiert?
Widerständig sein! Keine Kompromisse! Am Ende gewinnt Qualität. Immer.
Intendant Thomas Bauer sagte, in Blaibach wären alle Beteiligten »bereit gewesen, eine gehörige Portion an Durchhaltewillen und die notwendige Vorstellungskraft mitzubringen.« Mit diesen Zutaten wäre es prinzipiell möglich, »an jedem anderen Ort Deutschlands visionäre Kulturprojekte umsetzen.« Wie war das möglich, alle in ein Boot zu holen?
Blaibach war kein Wunder, sondern Arbeit. Blaibach wurde nur möglich in vielen, wochenlang und monatelang geführten Gesprächen zu allen Tag- und Nachtzeiten. Blaibach wurde Wirklichkeit in Myriaden von Briefen und Emails, Telefonaten und Reisen zu Unterstützern und viel selbst akquiriertem Sponsoring. Unermüdlichkeit kann Widerstand überwinden und Wirklichkeit schaffen.
Wie funktioniert das überhaupt, Wandel durch Kultur?
Das Wundervolle an Kultur ist eben, dass ihr pures Dasein die Welt verändert. Eigentlich gibt es keine menschliche Existenz ohne Kultur.
Lässt sich das lernen: Projekte selbst entwickeln, Verbündete finden, überzeugen, begeistern …?
Das versuche ich meinen Studenten beizubringen …
»Birg mich, Cilli!«, Viechtach
In den letzten 50 Jahren seien Stadtstrukturen immer mehr zerstört worden, klagst Du. Dein Hauptanliegen ist es, das umzukehren in eine positive Entwicklung …
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde alles in Frage gestellt: Das Modell der Moderne in der Architektur hat auch in Kleinstädten die historische Verbindungslinie gekappt, hat Stadträume negiert und energiefressende Zersiedelung forciert.
Für Viechtach hast Du, zusammen mit Generalkonservator Matthias Pfeil, das KDK entwickelt, das Kommunale Denkmalkonzept. Was steckt dahinter?
Das Bayerische Landesamt für Denkmalpflege hat ein neues Konzept entwickelt, wonach ganze Städte einen denkmalpflegerischen Wert haben, der aber auch wertvoll für die moderne zukünftige Entwicklung einer Stadt ist. Endlich wurde erkannt, dass Geschichtsbewusstsein und Zukunftsdenken ein und dasselbe sind.
Diese Vergangenheit kann man spüren, erlaufen. In Viechtach nimmst die Bürger mit, in Stadtrundgängen und Gesprächsrunden. Was passiert dann vor Ort?
(Warum nehme ich Menschen mit zu Stadtrundgängen in ihrer eigenen Stadt?) Ich versuche, Zusammenhänge zu erläutern. Ich möchte den Blick der BürgerInnen erweitern vom Baumarkt-Möglichen hin zur Erkenntnis, dass jedes Haus und jeder Bewohner nur einen kurzen Lebensabschnitt der langen Stadtgeschichte begleitet. Daraus ergeben sich Verantwortungen aber auch Verbundenheit der eigenen Stadt gegenüber.
Mitunter klingst Du sozialrevolutionär, wenn Du sagst, dass Gebäude der gesamten Einwohnerschaft gehören …
… eine Stadt ist ein kybernetischer Organismus. Das einzelne Haus übernimmt im Verbund mit anderen Häusern Aufgaben. Ein Marktplatz wird nur im Verbund gebildet. Jeder hat also auch die Verpflichtung, mit seinem Eigentum in den Stadtorganismus so umzugehen, dass der Gemeinsinn gestärkt wird.
Siehst Du Dich selbst als unbequemer Stadtplaner, wie manche unken? Anders formuliert: Muss ein Stadtplaner nicht generell unbequem sein?
Interessant, ich habe mich noch nie als unbequem empfunden. Mit den meisten Beteiligten verstehe ich mich sehr gut. Ich empfinde eigentlich nur Gleichgültigkeit oder billiges Machtstreben als wertlos.
Entwurf für die neue Bebauung von Marktplatz 2, Lichtenfels
Das Motto in Lichtenfels könnte über vielen Projekten von Dir stehen: »Gemeinsam über Innovationen nachdenken. Zukunft gestalten.« Gerade investiert »Concept Laser«, Hersteller von 3D-Druck-Maschinen, in einen Forschungscampus mit 700 Mitarbeitern. Wie fühlt sich das im Leben der Stadt an?
Eine freundliche, offene, oberfränkische Kleinstadt. Wo noch recht viel Eigensinn und Tradition und Stolz zu finden sind.
Wie kam es zum Projekthaus?
Ein Wettbewerb der Ortsansässigen Firmeninhaber, die das geschaffene Industriepotential sichtbar machen wollten. Es sind die Bewohner von Lichtenfels, die an Ihre Tradition im Handwerk aber auch in kultureller Hinsicht anknüpfen wollen.
In Lichtenfels setzt Du mit dem »Archiv der Zukunft« Zeichen. Der stilisierte »Weidenhain« des Hauses greift altes Handwerk auf, die Korbmacher der Stadt, und verbindest es mit High-Tech.
Vieles ist da. Es muss nur sichtbar gemacht werden.
Seit über 20 Jahren arbeitest Du an »Zoomtown«. Damals schienst Du der Zeit weit voraus. Jetzt könnte es klappen. Die Einsicht ist da, die Technologie …
… auch. Wir Architekten müssen jetzt aufhören, die Rolle der Kritiker und der Skeptiker einzunehmen. Wir müssen handeln. Jetzt.
Die Stadt der Zukunft wächst bei Dir generativ, nicht top-down. Welches Prinzip steht dahinter?
Eine Stadt ist für mich wie ein Programm, ein Prozess. Sie entwickelt sich sehr langsam, aber sie organisiert sich in großen Teilen selbst. Dabei spielen oft Veränderungen, von Generation zu Generation, eine Rolle. Entscheidungen, die wir heute treffen, haben oft erst eine Generation später Auswirkungen auf die Stadt beziehungsweise die Gesellschaft. Aus diesen Veränderungen heraus entsteht ein neuer Status Quo für die jeweilige Generation. Top-down Anweisungen sind hier nicht adäquat.