In der Krise einrichten
Designer und COR Geschäftsführer Leo Lübke im Gespräch über Wohntrends und die Digitalisierung im Heim.

Herr Lübke, herzlich willkommen im KAP! COR ist ab 2021 neuer KAP-Partner, was verbinden Sie mit dieser Plattform?

Das KAP Forum ist für mich ein Ort, an dem Herausforderungen für die Zukunft des Bauens, Wohnens und Arbeitens diskutiert werden. In diesem Sinne ist der Austausch im KAP Forum für mich sehr inspirierend und wertvoll für meine Arbeit.
Außerdem entsteht auf der Plattform ein Netzwerk zwischen Architekten, Planern, Designern und der Industrie.

Heute fragen wir Sie nicht nur als Partner, sondern vor allem als Interior-Experten und Designer. Das Jahr 2020 hat dramatische Veränderungen gebracht und Entwicklungen beschleunigt, die sich schon lange angedeutet haben. Oft hören wir die Vorsilbe Home- …: Home-Shopping, Home-Schooling, Home-Office. Ist das Heim plötzlich das Zentrum des Lebens?

Das Heim ist nicht das Zentrum des Lebens, aber ein bedeutender Teil dessen. Als soziales Wesen sucht der Mensch die Öffentlichkeit, den Austausch und ist neugierig. Als Ausgleich braucht er aber auch die Rückzugsmöglichkeit, die die eigenen vier Wände bieten. Hier tankt er neue Energie und kann sich frei entfalten – und das, was er draußen erlebt, in Ruhe verarbeiten. Das eine geht nicht ohne das andere. Ausschließlich extro- oder introvertiert zu leben ist auf Dauer nicht gesund!

Wie reagieren Innenarchitekten und Architekten auf diesen Wandel? Welche Konzepte sind Ihnen aufgefallen, die Wohnen und Arbeiten sinnvoll verbinden?

Wohnen und Arbeiten verschmelzen in Bezug auf die Einrichtung immer mehr. Die Arbeit wird ortsunabhängiger. Dadurch gewinnen Menschen an Freiheit. Sie können wählen, ob sie den Austausch im Büro und den Abstand zwischen Arbeit und Wohnen bevorzugen, oder ob sie lieber zu Hause im Homeoffice arbeiten möchten.

Bemerkenswert ist, dass Büros immer wohnlicher werden. Sie sind heute nicht mehr so steif, kühl und formell wie in der Vergangenheit, sondern ähneln der heimischen Atmosphäre und haben manchmal die Ausstrahlung einer fröhlichen WG. Auf der anderen Seite sollten Arbeitsplätze in Privatwohnungen so integriert werden, dass Arbeiten und Wohnen gestalterisch gut miteinander harmonieren. Oftmals gleichen Heimbüros improvisierten und lieblosen Dauerbaustellen. Bei der Einrichtungsplanung sollte das Heimbüro genügend Bedeutung und Berücksichtigung finden.

Nachfrage: Ist diese Hybridisierung überhaupt sinnvoll?

Ich glaube es ist sinnvoll, in Zukunft beide Wege zuzulassen: das Arbeiten im Büro oder von zu Hause aus. Vielleicht auch im Wechsel!

Das Jahr der Krise war auch ein Jahr der Möbelbranche. Couch statt Capri hieß es oft. Wie kann man/frau sich in der Krise „einrichten“ – gedanklich und materiell?

Die Möbelbranche profitiert stark davon, dass für viele in diesem Jahr der Urlaub ausgefallen ist und das eingesparte Geld stattdessen in die Verschönerung des Zuhauses investiert wurde. Wenn man schon nicht wegfahren kann, macht man es sich wenigstens zu Hause schön. Vielleicht ist einigen Menschen auch jetzt erst aufgefallen, dass es bezüglich der Einrichtung und des Gartens noch Verbesserungspotenzial gibt!

Und wie steht es mit dem Gegentrend: raus auf die Terrasse, auf den Balkon, ins Freie?

Ob es sich beim Möbelkauf um das Sofa im Wohnzimmer oder die Gartenmöblierung handelt, ist für mich kein Gegensatz. Es fällt natürlich auf, dass die Möblierung des Außenbereichs momentan einen extremen Boom erlebt. Das könnte auch am Klimawandel liegen, der selbst in nordischen Breiten einen mediterranen Lebensstil ermöglicht.

Es ist schön, wenn die Menschen sich mit Einrichten beschäftigen, egal ob drinnen oder draußen. Was ich aber persönlich nicht mag, ist, dass die Gartenmöbel heute aussehen wie nach draußen geschobene Sofalandschaften aus Plastik und Aluminium. Im Winter werden sie mit Planen abgedeckt. Ich finde es angemessener, den Wechsel zwischen Drinnen und Draußen und den Übergang zu gestalten und an allen Orten unterschiedliche Stimmungen zu erzeugen und spannende Verweil-Angebote zu machen. Nach dem Motto: Wo möchten wir denn heute gern sitzen?

Ein weiterer Megatrend ist die Digitalisierung im Heim. In Hamburg warb Xing-Gründer Lars Hinrichs schon vor Jahren für das „Apartimentum“, ein vollständig vernetztes Wohnen, das seinen Bewohnern Wünsche von den Fingerspitzen ablesen soll. Gibt es da Grenzen (für Sie persönlich)?

Wenn die Technik ganz unsichtbar im Hintergrund ihren Dienst tut und mir einen besseren Komfort bietet, ist dagegen nichts einzuwenden. Für meinen Geschmack bieten einige technische Errungenschaften des »Smart Homes« aber nur Pseudo-Vorteile und wir verstricken uns in der zunehmenden Komplexität der Technik. Persönlich bevorzuge ich nicht nur in der Gestaltung sondern auch bei der Ausstattung des Hauses den Grundsatz: less is more!

Wenn wir im Laufe des Jahres Corona (hoffentlich) hinter uns lassen. Was wird sich verändert haben? Werden wir wieder größere Wohnungen suchen, hygge Einrichtungen – oder gar neue Grundrisse?

Es wäre schon viel gewonnen, wenn der Einrichtung in Folge der Krise dauerhaft ein höherer Wert beigemessen würde. Die Qualität des Wohnens ist dabei keine Frage der Quadratmeterzahl! Ganz im Gegenteil kann der Verzicht auf Großflächigkeit sehr befreiend sein. Entscheidend ist, dass die Fläche und die Aufteilung des Hauses an den eigenen Bedürfnissen ausgerichtet ist und man es sich leistet, auf Repräsentanz zu verzichten.

Ihr persönlicher Ausblick auf 2021?

Fröhlich bleiben!