Das Geschäftsmodell der Immobilienbranche wird sich radikal ändern.
Professor Dr. Stephan Bone-Winkel über das Ende langer Mietverträge, Green-Washing statt Bauen im Bestand und reversible Häuser.
Immobilienwirtschaftliche Berufsverbände vermelden infolge der Corona-Krise einen deutlichen Stimmungseinbruch unter Investoren und Mietern. Mit Risiken kann die Branche ja umgehen, aber Unwägbarkeiten, wie sie durch die jetzige Situation entstanden sind, scheut sie wie der Teufel das Weihwasser. Wie sehen Sie die aktuelle Lage in der Immobilienbranche?
Ich lese gern Gerd Gigerenzer. Der Direktor am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung und in Wissenschaftskreisen derzeit meistzitierte deutsche Psychologe hat klar herausgearbeitet, dass es einen Unterschied gibt zwischen Risiken und Unsicherheiten. Heute leben wir in Unsicherheit, wir wissen alle nicht, wie es weitergeht. Dennoch müssen wir nach vorne schauen und heute Entscheidungen fällen. Ich stelle in meinem Umfeld fest, dass es hier einen Unterschied zwischen Unternehmern und Managern gibt. Die meisten Manager gehen verständlicherweise in die Abwartestellung, sind »on-hold« und schauen erst einmal, was passiert. Viele Unternehmer dagegen lassen sich nicht beirren und sagen, wenn ich ein Objekt finde, das mir zusagt und mit dem man »überwintern« kann, dann packe ich das an.
Was heißt das für das Portfolio? Worauf sollten Investoren achten?
Ich erlebe derzeit, dass sich Investoren große Sorgen über die Zusammensetzung ihrer Anlageklassen – wie Büro, Hotel, Retail, Logistik oder Wohnen – machen. Es stellt sich eventuell heraus, dass die strategischen Allokationen der Vergangenheit heute suboptimal sind. Es gibt große Publikumsfonds die ein Drittel ihres Portfolios in Hotels angelegt oder andere die 40 Prozent in Retail gesteckt haben – die würden sich heute wünschen, breiter aufgestellt zu sein.
Nicht wenige Investoren haben solche einseitigen Risikokonzentrationen vorgenommen, weil ihnen diese Assetklassen besonders vertraut waren. Das wird sich ändern, eine breitere Diversifikation und die Zusammenarbeit mit spezialisierten Asset Managern wird sicherlich in den Vordergrund rücken.
Und darüber hinaus?
Ebenso erlebe ich, dass einige Investoren unsicher sind bei der Nachbewertung ihrer Objekte, weil sie etwa feststellen, dass das Mietausfallwagnis, was früher etwa mit zwei bis drei Prozent in die Bewertung einherging, heute ganz anders einzuschätzen ist. Die Frage ist, wie sich die Sachverständigen dazu verhalten werden. Und dann sind wir auch schon bei den Banken, die sich aktuell ziemlich cool verhalten und keine Kredite vorfällig stellen. Aber sie legen zu Recht etwas Zurückhaltung bei neuen Engagements an den Tag. Ein Bankvorstand sagte neulich dazu, dass die Projektentwickler nach zehn fetten Jahren nun doch in der Lage sein sollten, mehr Eigenkapital bei der Projektfinanzierung einzubringen. Das kann ich nachvollziehen. Das höhere Eigenkapital muss sich natürlich auch verzinsen, zudem braucht man eine höhere Risikomarge, weshalb ich auf Sicht mit sinkenden Kaufpreisen rechne.
Die Risiken, …
… die ich aktuell sehe, liegen in erster Linie auf den Vermietungsmärkten und nicht so sehr im Investmentbereich. Das Interesse am Immobilieninvestment wird bleiben, vielleicht sogar weiter steigen. Aber die Vermietungsmärkte sind nervös, weil keiner so richtig beurteilen kann, was die Büronutzer künftig machen.
Stichwort »Home-Office«. Werden die positiven Erfahrungen während der Corona-Krise, die Bürowelt grundlegen verändern? Brauchen wir künftig weniger Flächen im Büromarkt?
Ich nenne das hybrides Arbeiten. Wir kennen das ja schon aus unserem bisherigen Alltag. Your office is where you are: Mit unseren Smartphones arbeiten wir doch schon überall, ob am Flughafen, in der Bahn oder eben zuhause. Wir alle haben jetzt noch einmal im Zeitraffer die digitalen Möglichkeiten des Arbeitens und Kommunizierens kennen gelernt. Das gehört nun zum Arbeitsalltag. Aber: Junge Leute wollen sich im Unternehmen weiterentwickeln und vorankommen. Das können sie im Home-Office nicht so gut. Als Führungskraft wollen sie Teams motivieren, das braucht Energie, die rüberkommen muss. So etwas braucht Raum, möglichst einen geschlossenen, so etwas funktioniert nicht über’s Netz. Ich würde daher keinen Abgesang auf das Büro erwarten. Im Gegenteil, das Büro ist essentiell notwendig.
Dennoch wird sich etwas ändern.
Wir werden andere Strukturen erleben, etwa in der Planung von Bürolandschaften. Die Themen Hygiene, Wellbeing, Sicherheit haben bislang keine große Rolle gespielt. Das wird sich bei zukünftigen Anmietungen grundlegend ändern. Allein schon die vertikale Stapelung von Büros und die Erschließung mit Aufzügen in die man morgens dicht gedrängt hineingepresst wird, wie soll das künftig funktionieren? Hier brauchen wir neue, wahrscheinlich dezentralere Lösungen bei denen Teams aufgeteilt werden auf verschiedene Standorte und Räume. Wir werden wahrscheinlich erleben, dass es weniger Single Tenants und Headquarters geben wird, weil die Nutzer ein entscheidend höheres Maß an Büroflexibilität erwarten. Getrieben wird diese Entwicklung auch durch die Digitalisierung, die ebenfalls aktuell einen Schub erfährt. Die höhere Arbeitseffizienz wird sich in einem Abbau von Arbeitsplätzen niederschlagen. Eine sinkende Beschäftigung wird sich auf das Mietpreisniveau auswirken.
Stichwort »Digitalisierung«. Diese wurde vor allem auch in der Immobilien- und Bauwirtschaft immer wieder angemahnt. Wird Corona auch hier ganze Arbeit leisten?
Das ist ja derzeit für viele ein Experiment in Echtzeit. Wer sich bislang die Kontoauszüge noch mit der Post ins Büro hat schicken lassen, um dann festzustellen, welcher Mieter gezahlt und welcher nicht, der steckt in der Tat in Schwierigkeiten. In der BEOS hatten wir schon einem halben Jahrzehnt non-territoriale Schreibtische eingeführt und alle Prozesse weitgehend digitalisiert. Akten waren im Büro die Ausnahme. Es hat eine Menge Energie gekostet, aber am Ende hat es funktioniert und die Arbeit ungemein vereinfacht.
Bislang mussten die meisten Immobilienunternehmer nichts tun, weil sie in den letzten zehn Jahren so glänzend verdient haben, so dass die Ineffizienz nicht deutlich ins Gewicht fiel. Das wird sich ändern, weil die Verzahnung der Marktteilnehmer zunehmend digital läuft.
Die Technologien sind da und es gibt PropTech-Unternehmen, die das komplett gut liefern. Wir müssen es nur anwenden.
Welche digitalen Ansätze bevorzugen Sie?
Viele Unternehmen versuchen eine Lösung über alles zu stülpen, was ich für problematisch halte. Ich plädiere für kleine Schritte. Es geht darum, einzelne Prozesse herauszugreifen, die dann gut zu lösen und Stück für Stück mit den anderen Bereichen zu verzahnen. So kommt man am Ende schneller zum Ziel, als auf die große Lösung zu warten.
Wenn wir das Ganze weiterdenken, wird sich das Geschäftsmodell der Immobilienbranche ändern. Bislang lief es so: ich kaufe hier ein Haus, das ist für fünf, lieber für zehn, Jahre vermietet. Der Mieter zahlt eine an die Inflation gebundene Miete und ich finanziere das Haus gleichlautend langfristig und habe einen Mietüberschuss über Zinsen und Betriebsnebenkosten. So war das Modell, als Vermieter musste ich wenig bis nichts tun, das Gebäude wird automatisch mehr wert. Das wird sich ändern.
Die Mieter sind angesichts der Unsicherheiten und der sich laufend ändernden Rahmenbedingungen nicht mehr bereit, Mietverträge über lange Laufzeiten abzuschließen. Der Vermieter muss plötzlich nicht nur Mietverträge zeichnen, er muss Services anbieten. Die Neuausrichtung der Branche macht die Digitalisierung aller Geschäftsprozesse notwendig. Nicht »Software as a Service«, sondern »Space as a Service«. Wir müssen uns als »Space-Provider« verstehen, mit einem deutlich über den Ist-Zustand hinausgehenden Serviceangebot sowie besonderem, vom Nutzer nachgefragten Know-how.
Ein spannender Gedanke. Was heißt das für die Konzeption von Immobilien?
Wir denken immer noch in alten Kategorien, ein Büro ist ein Büro, eine Wohnung eine Wohnung. Jetzt ist die Wohnung plötzlich ein Büro, was bei vielen Menschen mehr oder weniger schlecht funktioniert. Das Büro funktioniert gar nicht mehr, weil es leer ist. Wir brauchen einfach eine andere Flächenkonfiguration, die es erlaubt Nutzungen reversibel zu gestalten. Das ist relativ schwer zu denken, aber wir versuchen es bei der BEOS bei einer Reihe von Projekten, wo wir auf bestehenden Grundstücken Neubauten errichten. Und diese Neubauten sind radikal anders als alles was wir bisher gebaut haben. Sie sind mehrgeschossig, sind sehr tief und hoch, jede Fläche hat mindestens 4,5 – 5 m Geschosshöhe und wir geben überhaupt nicht vor, was auf den Flächen passiert. Es kann dort produziert, gelagert, geforscht, gewohnt und was auch immer werden – alles ist denkbar.
Wir versuchen so eine möglichst hohe Reversibilität zu erzielen. Der einzige Hemmschuh ist hier noch das Baurecht, welches aktuell noch eine klare Trennung der Nutzungen vorschreibt.
Was den Umbau und die Umnutzung, die Revitalisierung ehemaliger Brachflächen wie aufgelassener Industrieflächen angeht, waren Sie mit der BEOS schon vor über 20 Jahren ein Pionier. Erfahrungen, die Sie heute in der Projektentwicklung einsetzen. Obwohl hinlänglich bekannt ist, dass das Bauen den größten Ressourcenverbrauch aller Wirtschaftsaktivitäten mit sich bringt, scheinen der Abriss und der Neubau immer noch vor dem Umbau zu stehen. Warum ist das so und wie könnten wir das ändern?
Das liegt an einer kolossal denkwürdigen Situation. Überall steigen die Bodenpreise sehr stark und in den Städten steigen die Mieten entsprechend. Wenn heute eine Bestandsimmobilie verkauft wird, treten immer mehr Bieter an, die am Bestand nicht interessiert sind, weil die gestiegenen Mieterwartungen den Abriss und den Neubau erlauben. Der wirklich immense Ressourcenverbrauch durch das Bauen steigt momentan eher als umgekehrt, weil immer schneller abgerissen wird.
Wir erleben heute den Abriss von Bürogebäuden, die kaum mehr als 20 Jahre alt sind. Die Rechnung für den Entwickler geht auf, weil man mit dem Neubau ein weitaus höheres Mietniveau erzielt.
Schon beim Carlswerk in Köln war es 2008 so, dass wir die einzigen Bieter waren, die den historischen Bestand nachnutzen und entwickeln wollten. Alle anderen wollten neue Büros und Fachmärkte bauen. Vor dem geschilderten wirtschaftlichen Hintergrund wird klar, warum kaum mehr um den Erhalt vorhandener Bausubstanz gekämpft wird. Ich halte das für politisch unverantwortlich, denn die graue Energie, die beim Abriss und Neubau verbraucht wird, müsste in den Gesamtenergiebilanz mit eingehen. Dann würde sich das ökonomische Bild radikal ändern – zugunsten des Bauens im Bestand. Ein Ziegel, der vor 100 Jahren mit sehr viel Energie hergestellt wurde, sollte nicht einfach auf den Müll geschmissen werden.
Auf der anderen Seite überbietet sich inzwischen die Immobilienbranche mit Zertifikaten, die zeigen sollen, wie grün doch die Branche und das Bauen geworden ist. Das ist doch ein Widerspruch in sich, angesichts der klingenden Abrissbirnen. Wird das innerhalb der Immobilienbranche überhaupt diskutiert?
Innerhalb der Branche ist das Zertifizierungsthema doch mehr oder weniger im Marketing-Bereich zu verorten, da die Anreize falsch gesetzt wurden. Da gibt es beispielsweise Experten, die ihnen genau ausrechnen, dass der nächste Fahrradstellplatz, der in Herstellung preiswert ist, das Label noch ein bisschen verbessert. Green-Washing, damit sich die Häuser noch besser vermarkten lassen. Dazu kommt das die Häuser immer stärker technologisch aufgerüstet werden, ohne zu fragen, ob das auf lange Sicht sinnvoll und robust ist. Ich sage meinen Teams dagegen: »Lasst uns bitte das dümmste Haus der Welt bauen«. So wie die simple Raketentechnik der Sowjets oder der alte Land Rover, der über 40 Jahre fährt und überall repariert werden kann. Unsere Immobilien sollen mindestens 100 Jahre Nutzen stiften und so gebaut sein, das aufwändige Technik gar nicht erst notwendig ist. Das passt zwar nicht zum vorherrschenden Mainstream, aber wir schwimmen schon immer gern gegen den Strom.
Zum Abschluss: Was bringt die Zukunft – und wie reagieren Sie?
Für die Zukunft müssen wir gemeinsam viel mehr Budget und Energie in Research stecken und Gebäude weiter denken. Wir müssen herausfinden, wie sich die Bedürfnisse der Nutzer entwickeln und die Flächen danach ausrichten. Aus Umwelt- und Effizienzgründen werden wir es uns nicht mehr leisten wollen, einen Maßanzug für einen Nutzer zu bauen. Häuser müssen vielen Generationen von Nutzern und Nutzungen dienen und robust und reversibel funktionieren. Wir gehen davon aus, dass weite Teile der technischen Ausstattung, auch die digitale Ausrüstung der Gebäude, künftig vom Mieter bestellt und von entsprechenden Dienstleistern passgenau errichtet werden. Als Vermieter müssen wir uns darauf konzentrieren, kurzfristig auf veränderte Flächenbedürfnisse reagieren zu können. Flexibel zu sein, auch kürzere Mietlaufzeiten zu akzeptieren – geländegängiger zu werden. Das ist unsere Kernaufgabe.
Foto: Reinhard Doubrawa
Stephan Bone-Winkel (55) hat Ende 90er Jahre mit der BEOS AG den führenden Entwickler und Investor von Unternehmensimmobilien auf den Weg gebracht. Heute sitzt er im Aufsichtsrat des Unternehmens und ist geschäftsführender Gesellschafter der ceos Investment GmbH, eine im Jahr 2000 gegründete unabhängige Beteiligungsgesellschaft mit Sitz in Berlin. Seit 2006 ist Bone-Winkel Honorarprofessor für Projektentwicklung an der Universität Regensburg (IREBS). Er ist Herausgeber und Autor zahlreicher Publikationen zu den Themen Projektentwicklung und Immobilieninvestment. In 2014 erhielt er den ULI Leadership Award in der Kategorie Immobilienwirtschaft. In 2015 wurde er mit dem Immobilienmanager Award in der Kategorie »Kopf des Jahres« ausgezeichnet.