Hoch hinaus
Deutschlands höchstes Wohngebäude ist bezugsfertig.
Das höchste Wohnhochhaus Deutschlands steht in Frankfurt: Der Grand Tower. Das Ingenieurbüro AWD hat als Tragwerksplaner mitgearbeitet. Dieter Daubenbüchel, geschäftsführender Gesellschafter der AWD Ingenieurgesellschaft mbH, gibt Einblicke in die Planung des mit dem German Design Award und dem European Property Award ausgezeichneten Projekts.
Fotos: Claus Graubner
Der Grand Tower war für uns ein in jedem Sinne überragendes Projekt. Seit der Gründung unseres Ingenieurbüros im Jahr 1972 sind die städtebaulichen und architektonischen Ansprüche stetig gestiegen, und damit auch die Anforderungen an Gebäudekonstruktionen. Gerade in großen Städten werden inzwischen auch Wohngebäude immer höher hinaus geplant, »Highrise Living« ist angesagt wie nie. Dieses Bauen in die Vertikale findet heute nicht mehr nur am Stadtrand statt, sondern auch in den besten Innenstadtlagen. Umso wichtiger ist es geworden, hohe ästhetische Zielsetzungen von Architektur und Städtebau in Einklang zu bringen mit oftmals außergewöhnlichen statischen Konstruktionen, wie beispielsweise bei den Kölner Kranhäusern.
Der Grand Tower setzt mit einer Höhe von 172 Metern in Frankfurt ein markantes Zeichen und verkörpert zukunftsweisenden Wohnungsbau. Hinter der gläsernen, fast ikonisch wirkenden Fassade befinden sich über 32.000 Quadratmeter Wohnfläche, verteilt auf 47 Etagen. Insgesamt besteht das Gebäude sogar aus 53 Stockwerken: zwei Untergeschosse, das Erdgeschoss, 47 Obergeschosse und darüber noch drei Technikgeschosse. Die Wohnungen mit Panoramasicht über das exquisite Frankfurter Europaviertel verbinden Komfort, Sicherheit und dauerhafter Qualität auf höchster Ebene.
Rank und schlank
Die Aufgabe bestand für uns als Tragwerksplaner darin, die für Büro-Hochhäuser üblichen Tragstrukturen an die speziellen Anforderungen anzupassen, die aus der Nutzung als Wohnraum resultierten. Die Fassade mit den aufgesetzten Loggien sollte Schwerelosigkeit vermitteln, die Raumstrukturen im Inneren offen und lichtdurchflutet sein. Anforderungen, die mit schweren Decken und dicken Stützen nicht vereinbar gewesen wären. Hier lag also ein besonderes Augenmerk auf einer schlanken Struktur. Wir konnten die ursprünglich vorgesehenen 30 Zentimeter starken Decken auf 25 Zentimeter reduzieren. Dadurch konnte auch das Eigengewicht des Gebäudes um rund 10 % reduziert werden, was sich vorteilhaft auf Stützen, Wände und Gründung auswirkte. Gleichzeitig wurde jedoch an einen guten Schallschutz gedacht, der bei Wohnungen deutlich höheren Anforderungen unterliegt als bei Bürogebäuden. Bereits in der Entwurfsphase war es daher wichtig, das Zusammenwirken von Thermik und Akustik mit Tragwerk, Konstruktion und Materialauswahl zu erfassen. Für ein Hochhaus ist eine Feuerwiderstandsdauer von 120 Minuten erforderlich, auf die wir das Tragwerk ausgelegt haben.
Foto: Roman Gerike
Bei Wohntürmen besonders zu beachten ist außerdem die Auslenkung und Beschleunigung. Bei starkem Wind wird die Spitze des Towers um mehrere Zentimeter ausgelenkt. Während in Bürogebäuden Schwingungen nicht so sehr wahrgenommen werden, weil die Menschen dort überwiegend sitzen oder stehen, muss in Wohnhäusern ein besonderer Fokus darauf gelegt werden, dass den Bewohnern nicht übel wird, wenn sie im Bett liegen. Menschen nehmen die Beschleunigung eines Gebäudes in Ruhephasen sensibler wahr. Wichtig war hier also, eine Konstruktion zu finden, die auf die Einwirkungen von Kräften auf das Gebäude optimal reagiert. Für das Wohlbefinden der Bewohner wurde die Steifigkeit des Gesamttragwerkes untersucht. Daraufhin wurde der Grenzwert für den sogenannten 1-jährigen Wind auf 0,08 m/s² festgelegt und damit erheblich unter der für Bürogebäude üblichen Beschleunigung von 0,20 m/s². Zum Vergleich: Bei der Beschleunigung von Aufzügen wird der Wert bis maximal 0,8 m/s² als noch behaglich angesehen. Dies ist also zehn Mal so hoch wie der für den Tower festgelegte Grenzwert für Wohngebäude.
Hoch hinaus und tief hinab
Auch technisch war das Gebäude eine Herausforderung. Wo es hoch hinaus geht, geht es meistens auch tief hinab. Dementsprechend aufwendig war die Gründung des Turms, die über eine Pfahl-Platten-Gründung erfolgt. Dabei handelt es sich um eine Kombination aus Tief- und Flachgründung. Die Tiefgründung besteht aus 55 Groß-Bohrpfählen mit einem Durchmesser von 168 Zentimetern mit bis zu 50 Metern Länge. Eine 1,80 Meter dicke Fundamentplatte dient gleichzeitig als Flachgründung und Bindeglied zur aufgehenden Bebauung.
Fotos: Claus Graubner
Eine weitere Besonderheit des Gebäudes sind die Grundrisse der Wohnungen. Um individuelle Käuferwünsche maximal berücksichtigen zu können, sollte es in jeder Himmelsrichtung verschiedene Wohnungsgrößen geben. Daher dreht sich die Lage der Wohnungen über die Geschosse. Gleichzeitig war es ein Anliegen des Bauherrn, alle Wohnungstrennwände in massiver Bauweise herzustellen, also nicht als leichte Gipskarton-Ständerwände. Dies mit der architektonischen Grundrissgestaltung zu vereinen, war eine Herausforderung. Aufgrund des rotierenden Wechsels der Grundrisse konnten die schweren Wände nicht, wie sonst oft üblich, über alle Geschosse bis zur Gründung durchgehen. Unser Büro entwickelte deshalb für die ersten 30 Geschosse ein flexibles System, bei dem die meisten schweren Wände für den Lastabtrag genutzt werden. Einige Wände sind durchgehend und wirken als Aussteifungswände. Andere Wände werden als wandartiger Träger ausgebildet. Nur wenige Wände stehen als Last auf der darunterliegenden Decke beziehungsweise sind selbsttragend. Dieses System rotiert im Rhythmus von je vier Geschossen um den Grundriss, so dass sich nun in jeder Ebene verschieden große und unterschiedlich ausgerichtete Wohnungen befinden. In den Geschossen 31 bis 47 ist die besondere Flexibilität der Grundrisse mittels optionaler Türöffnungen in den Wohnungstrennwänden realisiert worden.
Für die Gebäudeaussteifung und den vertikalen Lastabtrag ist die Außenringwand sehr wichtig. Hier ist es gelungen, die gegensätzlichen Anforderungen aus Statik, Technischer Gebäudeausrüstung und Gestaltung aufeinander abzustimmen. Fast alle Wohnungen verfügen außerdem über einen großzügig angelegten Balkon. Aus tragwerksplanerischer Sicht spannend war hierbei die weit auskragende Balkonplatte und deren thermisch getrennter Anschluss an das Gebäude mit der dreidimensionalen Fassade.
Und darüber hinaus
Auch die Umgebung des Towers galt es zu berücksichtigen. In unmittelbarer Nähe zur U-Bahn gelegen, waren Erschütterungen besonders zu bedenken und abzuschwächen. Gerade Erschütterungen können sich erheblich auf das Wohlbefinden auswirken. Direkt neben dem Tower wurde zudem ein 12-geschossiges Parkhaus für die Bewohner errichtet, davon drei unterirdische Geschosse. Dabei wurden die Grundrisse von Turm und Parkhaus teilweise überlappend geplant. Aufgrund dieser Verzahnung der beiden Gebäude ineinander war es nicht möglich, die beiden eigentlich unterschiedlichen Tragwerke zu trennen. Sie sind daher im Überlappungsbereich verbunden. Daraus resultierten zusätzliche Untersuchungen für Setzungsunterschiede, Temperaturdifferenzen und weitere Zwangseinwirkungen.
In zeitlicher Hinsicht war eine der Besonderheiten, dass der innere Kern im Vorlauf von vier Etagen hergestellt wurde. Für den Schutz der Rohbauarbeiten wurde ein vier Geschosse hohes Windschild eingesetzt, welches außen am Gebäude mitkletterte.
Insgesamt hat auch dieses Projekt verdeutlicht, wie wichtig es schon in den frühen Planungsphasen ist, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Gebäude werden auf Entscheidungen gebaut. Ob ein Projekt erfolgreich wird und ob sich der spätere Nutzer in dem Gebäude wohlfühlt, wird während der Planung entscheidend mitbestimmt. Das Tragwerk eines Hochhauses ist nicht nur verantwortlich für die Standsicherheit und Gebrauchstauglichkeit des Gebäudes. Eine durchdachte Tragwerksplanung hat positive Einflüsse auf das gesamte Bauvorhaben – auf Termine, Kosten, Entschlüsse und auf die Qualität der späteren Nutzung.