Leidenschaft für die Stadt
Verena Brehm, Mit-Gründerin der Cityförster, erklärt, wie sie klassische Berufsbilder sprengen und Stadt immer neu denken. Gespräch mit einer Zukunftsgestalterin.
Ihre Lieblingsstadt?
Es gibt so viele – Kopenhagen, Rotterdam, Barcelona, Berlin …
Ihr Herz schlägt für …
Hannover. Perfekte Größe, brummende Kieze, engagierte Stadtmenschen. Eine gute Fahrradstadt und Lage in Deutschland und Europa. Dazu megagrün – die Eilenriede ist der größte Stadtwald Europas. Und viel Wasser: Leine, Ihme, die Seen – und ab Sommer 2022 die Leinewelle als Surfspot mitten in der Innenstadt. Die Nachkriegsmoderne bietet tolle Architektur, aber auch städtebauliche »Baustellen« …
Ein gutes Stichwort: »We are creating better places«, lautet Ihr Claim. Kein kleiner Anspruch. Wie geht das?
Uns interessiert der Ort mehr als das Objekt und das Ganze mehr als das Einzelstück. Wir verstehen Stadt als Wald, als Ökosystem: Jeder Eingriff verändert auch das Umfeld, alle Teile sind eng miteinander vernetzt. Das ist eine Herausforderung, aber auch die Chance, mit jedem Projekt einen Mehrwert für das Umfeld zu schaffen.
Cityförster sagt: Wir sind Teil eines großen Ökosystems. Wie kamen Sie darauf?
Wir sind als Team mit elf Leuten gestartet, wie soll man daraus einen Büronamen machen? BBHHMNNRRSS? Jede und jeder hat unterschiedliche Themen und Kompetenzen, aber uns eint die Leidenschaft für die Stadt und die Ambition anders zu arbeiten. Wir haben das klassische Berufsbild hinterfragt, sowohl inhaltlich als auch organisatorisch. Wir wollten in flexibleren Konstellationen zusammenarbeiten und haben nach neuen, relevanten Aufgaben in Architektur und Städtebau gesucht. Was können Architektur und Städtebau zur Zukunft des Planeten beitragen? Das Prinzip der Nachhaltigkeit kommt aus der Forstwirtschaft. Um es kurz zu machen: Cityförster verstehen Stadt als Wald.
Da gibt es Bäume, die zu fällen sind. Oder Sie müssen Lichtungen schaffen. Ist da in den letzten Jahrzehnten etwas falsch gelaufen bei der Stadtplanung? Also an den Menschen vorbei, die Teil des Ökosystems sein sollten.? Wie müssen wir uns die Lage vorstellen – stadtplanerisch?
Was uns beschäftigt: Stadtplanung mit und für Menschen zu gestalten. Also Freiräume zu schaffen, in denen selbst etwas entstehen kann aus der Stadtgesellschaft heraus. Und vor allen Dingen auch mit dem zu arbeiten, was schon da ist. Dieses Vorgehen ist zum Glück in den letzten Jahren mehr und mehr diskursfähig.
Vielleicht ist es sogar schon Standard. Viele führen diese Vokabeln im Munde.
Das sind natürlich Themen, mit denen wir unser Unternehmen gegründet haben und in der tagtäglichen Arbeit dadurch kultivieren, dass wir bei jedem Projekt eine sehr genaue Analyse dessen machen, was eigentlich schon da ist: an Bausubstanz, an Freiräumen, aber auch an Akteuren oder Stakeholdern, die wir in dieses Projekt einbeziehen kann.
Das heißt, es gibt keinen Masterplan, der vor Ort ausgerollt wird?
Wir haben unsere Werkzeuge und das ist die Bestands Analyse, bei der wir identisch vorgehen. Jedes Projekt ist natürlich maßgeschneidert. Wir sind kein Büro, das man an einer wiederkehrenden Gestaltsprache erkennen würde, sondern befördern unterschiedliche Ansätze, was die Arbeiten mit Materialien und unser Gestaltungs-Vokabular angeht.
Bis auf die Haltung.
Genau. Wiederkehrend sind eine bestimmte Entwurfshaltung und bestimmte Methoden, mit denen wir immer wieder arbeiten. Gerade die Arbeit mit dem Ort ist etwas, was uns sehr interessiert und wo wir Methoden entwickelt haben, die wir immer wieder und gerne anwenden.
Welche Methoden sind das?
Beispielsweise unsere Foto-Safari bei größeren Projekten, bei der wir ein Raster über das Planungsgebiet legen und versuchen, Punkt für Punkt abzufahren oder abzugehen, um uns nicht von offensichtlichen Attraktionen leiten zu lassen. So erhalten wir einen objektivierten Blick auf das Ganze. Diese Collage hängen wir an die Wand, das ergibt ein ganz anderes Bild eines Ortes.
Sie arbeiten bewusst interdisziplinär. Wie schaffen Sie es, dass die einzelnen Disziplinen wirklich zusammenarbeiten?
Wir üben es seit 15 Jahren, indem wir frühestmöglich Fachplaner und andere Experten einbinden. Wir haben inzwischen ein bewährtes Netzwerk an Kooperationspartnern, arbeiten auf Augenhöhe, sind Teamplayer, offen und kommunikativ. Und wir sind nicht eitel, akzeptieren eine gemeinsam entwickelte Hierarchisierung von Entwurfsentscheidungen.
Was machen Sie anders als Mitbewerber?
Anders? Uns interessieren die Zusammenhänge zwischen dem gesamtgesellschaftlichen Wandel und unserem Beruf. Das heißt, wir haben die Megatrends, die Tiefenströmungen des Wandels im Blick und versuchen, daraus Aufgaben abzuleiten. Das beschreibt ein recht weites Tätigkeitsfeld, bei dem wir gerne Neues ausprobieren. Wir machen beides – Architektur und Städtebau. Wir sehen Freiraum und Bebauung als komplementär statt konkurrierend. Und meinen es ernst. (lacht)
Im Netz gibt es faszinierende Animationen, in denen sich tote Straßen in Sekundenschnelle zu grünen Oasen verwandeln. Was halten Sie von solchen Darstellungen?
Jede Darstellung, die für die Verkehrswende begeistert, ist mir willkommen. Ich erlebe in vielen Projekten, dass wir als Planer Bilder im Kopf haben, die vermittelt werden müssen. Straßen sind für Autos gemacht, dieses Paradigma ist hammerhart. Eine Vorstellung davon zu entwickeln, wie anders Straßen sein könnten, wenn das Auto nicht mehr den Vorrang hat, ist nicht einfach! Anders heißt vielfältig nutzbar, mehr grün, mehr Platz für Bäume und Menschen, Fahrradfahrer, Fußgänger; sicherer insbesondere für Kinder und mobilitätseingeschränkte Menschen.
Geht da noch mehr?
Noch besser als Animationen ist das Erleben solcher Räume mit dem eigenen Körper im Raum also als Eins-zu-Eins-Erfahrung, beispielsweise beim Stadtteilfest, das Straßen für Autos sperrt. Ich liebe Realexperimente.
Visionen körperlich erfahrbar machen, ist das ein Teil der Bürgerbeteiligung?
Auch. Wir sind kein Büro, das auf Beteiligung spezialisiert ist, dafür gibt es Spezialisten. Aber unsere städtebaulichen Projekte sind natürlich immer begleitet durch Beteiligungsverfahren, die von Kollegen mit der entsprechenden Expertise aufgesetzt werden. Natürlich sprechen wir bei einer Ortsbesichtigung mit den Menschen vor Ort trifft. Das machen wir oft. Mein unvollständiges Meinungsbild braucht diesen parallelen Beteiligungsprozess, der von Experten durchgeführt wird, um ein objektiviertes von den Wünschen und Vorstellungen der Menschen vor Ort zu bekommen.
Und dann?
Filtern und hierarchisieren wir Wünsche und Vorstellungen zu einer Synthese, die ja jeder Entwurf ist. Das ist keine Wunschliste, die wir abarbeiten, sondern etwas, das wir mit unserem fachlichen Blick sortieren und Bausteine davon für die Weiterentwicklung zurück in den Entwurf speisen.
Viele Stadtplaner hoffen, dass die europäische Stadt ein Modell bleibt. Schauen wir uns mal das Eco Village Hannover genauer an. Ein Ökodorf unter den Bedingungen einer Großstadt?
Kronenberg ist neuer Stadtteil Hannovers, der in den 2000er Jahren entstanden ist im Rahmen der Expo mit hohen Nachhaltigkeits-Zielen. Insofern läuft natürlich auch das, was mit unserem Beitrag gebaut wird, unter hohen Nachhaltigkeits-Ansprüchen.
Eine Genossenschaft …
… mit 500 Mitgliedern, eine große Genossenschaft also. Das ganze Quartier ist nach dem Prinzip der Suffizienz organisiert. Das zieht sich durch die vielfältigsten Themen, bis hin zur Frage, wieviel privaten Wohnraum brauche ich eigentlich? Brauche ich wirklich die durchschnittlichen 45 Quadratmeter? Und besteht der Anspruch, diesen individuellen Raum zu reduzieren und dafür Dinge zu teilen? Eine Werkstatt, ein Gästezimmer … Dafür entstehen Freiräume, die wir den Menschen zusprechen. Also ganz wenig Raum für den motorisierten Individualverkehr reservieren, was in einem kleinen Quartier natürlich auch keine unlösbare Aufgabe ist.
Das Quartier soll auch kein Öko-Ghetto werden …,
sondern sich mit dem Bestand verknüpfen. Der gesamte Freiraum ist multicodiert, er ist darauf angelegt, dass Regenwasser versickert und Nahrungsmittel anbaut werden, dass man dort Treffpunkte hat für die Nachbarschaft, also der Freiraum gemeinschaftsbildend benutzt wird. Eine Allmende.
Was für ein schönes altes Wort: Allmende. Es zeigt einen Bewussteinswandel.
Wir versuchen tatsächlich, Bewusstsein zu schaffen. Und das Tolle ist, dass es in diesem Projekt gelingt, das Programm nahezu eins zu eins umzusetzen und das auch in einer relativ schnellen Taktung. Dank der Genossenschaft und Menschen, die das ernst meinen.
Wäre das unter anderen Voraussetzungen nicht möglich gewesen?
Natürlich. Es kommt immer auf Menschen an, die das Projekt beeinflussen, mitsteuern.
Dennoch bleibt es ein kleines, feines Projekt. Kommen wir so weiter, was den Klimawandel angeht, müsste wir nicht viel größer denken?
Naja, ich würde andersherum argumentieren. Für mich ist das kein Tropfen auf den heißen Stein, sondern ein gutes Argument, um das Totschlagargument zu entkräften: Geht das überhaupt? Wenn gebaute Beispiele zeigen, dass es funktioniert, dann sind wir viel eher in der Lage, auch andere Menschen zu überzeugen, die in einem größeren Maßstab Ähnliches vorhaben.
Verena Brehm ist Gründungspartnerin von CITYFÖRSTER architecture + urbanism und geschäftsführende Partnerin des Büros in Hannover. Ihr Arbeitsfeld sind städtische Transformationsprozesse. Im Fokus stehen dabei Projekte zur Förderung einer sozial und funktional gemischten Stadt, »DiverCity«, einer nachhaltig mobilen Stadt, »Mobil(C)ity«, sowie Arbeiten zum Thema Kreislaufwirtschaft, »Circular City«. Sie arbeitet an der Schnittstelle von Architektur und Städtebau und leitet die Forschung basierten Projekte des Büros.
Projekte
Blankenburger Süden – Circular City
Freiburg-Dietenbach – Quartierslandschaft
Frankfurt Nordwest – Stadtteil der Quartiere
Ecovillage Hannover – Suffizienzquartier
Schwammstädte Yueyang + Hefei. Besseres Wasser, bessere Stadt
LuneDelta – zirkulär organisierter Gewerbepark