Laut denken im Stillen Winkel
Kusch+Co

Die dänischen Designer Antonio Scaffidi und Mads K. Johanson lieben es, Grenzen auszudehnen. Bei Kusch+Co waren sie dafür an der richtigen Stelle. Ihr prämiertes Ergebnis: Der grenzüberschreitende Sessel Njord.

Von Inken Herzig

Herr Scaffidi, Herr Johanson – wie kam es zum ersten Kontakt zu Kusch+Co?

Wir haben im Jahr 2010 einige unserer Arbeiten auf der IMM Cologne ausgestellt. Dort sind wir zum ersten Mal mit Kusch+Co ins Gespräch gekommen. Kurz darauf haben wir die Werke im Sauerland besucht.

Hatten Sie damals schon ein Produkt vor Augen, das Sie für das Unternehmen entwerfen wollten?

Nein. Wir versuchen einer neuen Zusammenarbeit immer objektiv und unvoreingenommen entgegenzutreten – mit einem sauberen Blatt Papier. Die Aufgabe musste erst noch definiert werden. Aber es ist auch kein Geheimnis, dass wir sehr gerne mit Sitzmöbeln und insbesondere Stühlen arbeiten. Die Tendenz war da wohl schon abzusehen.

Wie kam es weiter zu dem Entwurf des Erfolgsproduktes Njord?

Bei dem Gedanken daran schmunzeln wir immer. Denn wenn wir uns das Briefing vor Augen halten, dann haben wir das Ziel wohl verfehlt, aber so ist das oft. Das Ziel ist genau so dynamisch wie der Designprozess selbst, und wo man am Ende angelangt, kann man nicht immer voraussehen. Wir wollten gerne einen Stuhl mit sehr gutem Komfort entwickeln. Einen Stuhl, der den Benutzter umfängt und würdig trägt. Wir haben die Auffassung, dass das Erlebnis, auf einem Stuhl zu sitzen, ein positives sein kann – und dieses Ziel muss man im Auge behalten. Wir sind relativ schnell zu der Erkenntnis gekommen, dass ein kleiner Holzstuhl hier nicht ausreichen würde.

Wie war Ihr erster Eindruck, als Sie dann in die Region »Sauerland« kamen; wie erlebten Sie den Landstrich?

Mads war ziemlich beeindruckt, um es mal milde auszudrücken. Ich wusste schon, was uns da erwartet, weil ich in der Nähe aufgewachsen bin. Dennoch ist das Sauerland wunderschön und fasziniert jedes Mal aufs Neue, wenn wir wieder dorthin kommen. Die bergige Landschaft mit den dichten Buchenwäldern steht wohl im direkten Kontrast zum dänischen Flachland. Dass die Region ideal für eine Manufaktur ist, kann man schnell nachvollziehen.

Wie erlebten Sie die Produktionstiefe des Unternehmens?

Wir haben beide eine Schreinerausbildung vor dem Designstudium abgeschlossen. Und Holz gehört ohne Zweifel zu unseren Favoriten im Möbeldesign, es ist bei uns oft das Material, mit dem wir einen kreativen Prozess vorantreiben. Was uns aber am meisten beeindruckt hat, war die Tatsache, dass all diese Produkte noch im Sauerland produziert werden. Für uns war es eine große Motivation, einen Stuhl zu entwerfen, der hier in Zukunft hergestellt wird und so zur Standortsicherung der Firma Kusch+Co beitragen kann.

Was machte die Zusammenarbeit mit Kusch+Co für Sie besonders positiv?

Eine gute zwischenmenschliche Beziehung. Kusch+Co ist ein Familienbetrieb und wenn man das von »außen « betrachtet, hat man das Gefühl, dass alle dazugehören. Für unsere Arbeit ist es wichtig, dass wir laut denken können. Wenn man das Thema nicht bis an die Grenzen herausfordert, dann bewegt man sich nicht von der Stelle. Bei Kusch+Co funktioniert das einfach.

»Für unsere Arbeit ist es wichtig,
dass wir laut denken können.«

Wie wichtig ist Ihnen dabei der Blick für das Detail? 

Wir sind ziemlich fanatisch mit dem, was wir machen – und das tut manchmal fast weh … In unserem Studio besitzen wir eine kleine Schreinerwerkstatt, in der wir immer die ersten Modelle und Prototypen selber bauen. Man lernt so viel in diesem Prozess über das, was funktioniert oder nicht funktioniert. Alle Entwürfe werden im Dialog zwischen virtuellen 3D- und physischen Aufbauten von Mock-up-Modellen ausgearbeitet. Beim Njord haben wir z.B. den Innenraum der Filzschale aus einem Block auf unserer CNCMaschine ausgefräst, um die Ergonomie und die »Raumproportionen« zu testen, bevor wir weiter mit der Gesamtfigur des Sessels gearbeitet haben. Das ist unglaublich wichtig und man sieht es wahrscheinlich gar nicht, aber wenn diese Aspekte nicht beachtet werden, dann funktioniert das Produkt nicht. Ein Detail, das man indessen sieht, sind die Verbindungszapfen aus Holz auf der Innenseite des Sessels, die die Filzschale mit dem Holzgestell verbinden. Die Zapfen sind nicht nur ein dekoratives Detail, sondern verleihen Njord den Ausdruck handwerklicher Tradition, der für uns in diesem Projekt so wichtig war.

Was oder wer stand für die außergewöhnliche Form von Njord Pate? 

Njord ist ein Armstuhl manche sagen auch Sessel – der dänische Begriff wäre »Karmstol«. Das sagt schon einiges über die Größe und die Proportionen aus. Der Stuhl soll den Benutzer umfangen, stützen und Geborgenheit in einem definierten Raum geben. Das stellt einige Anforderungen an die Geometrie. Eine Inspiration als solche gibt es wohl nicht. Wir haben einfach und pragmatisch versucht, die funktionellen Aspekte durch unseren Prozess zu verbessern. Und natürlich beurteilen wir immer die ästhetischen Konsequenzen – gar keine Frage.

Wie kam es zu der Idee des Materialmixes in einem Stuhl? 

Holz war die Pflicht – Filz die Kür. Bei Njord kann man von tragenden und getragenen Elementen im Entwurf sprechen. Beim tragenden Element, den Beinen, gab es keine Zweifel. Aber das »getragene « Element, die Sitzschale, war eine Herausforderung. Hier wollten wir gerne Komfort und Flexibilität erreichen. Gerne mit einer Oberfläche, die sich warm anfühlt und die nicht glatt ist, weil man sonst tendenziell aus dem Stuhl gleitet. Formfilz hat diese Eigenschaften. Das Material und die Herstellungsprozesse sind übrigens nicht neu. Die Automobilbranche hat Formfilz seit Jahrzehnten im Einsatz, z.B. ist die Hutablage in Ihrem Auto sicherlich aus dem gleichen Material hergestellt. Das Faszinierende bei dieser Kombination ist, dass sich die beiden Materialien gegenseitig perfekt ergänzen. Oft sieht man, dass eine Sitzschale auf ein Beingestell montiert wird. Das Holzgestell bei Njord stützt und umgreift die Filzschale aber viel höher, weil man den Beinen erlaubt, weiter nach oben zu verlaufen. Holz konnte das ergonomische Ziel alleine nicht erreichen, und weil die Filzschale so flexibel ist, musste diese wiederum unterstützt und getragen werden. Auf diese Weise entsteht hier eine Art »Symbiose« zwischen Holz und Filz. Holz war die Pflicht – Filz die Kür. Das Faszinierende bei dieser Kombination ist, dass sich die beiden Materialien gegenseitig perfekt ergänzen.

War diese Symbiose auch eine Herausforderung für die hauseigene Fertigung von Kusch+Co? 

Der Stuhl ist konzipiert für die Holzproduktion bei Kusch+Co. Um heute noch wettbewerbsfähig Holz zu verarbeiten, muss man genau erwägen, wie kompliziert ein Entwurf sein darf. Auf der anderen Seite soll er reizvoll sein, um sich bemerkbar zu machen. Der »kleine« Griff und die langen Beine, die sich seitlich an die Sitzschale schmiegen, definieren unserer Auffassung nach die »DNA« des Njord – sie verleihen ihm Charakter. Das Verfahren zur Herstellung der Filzschale ähnelt sehr der Herstellung von Formholzteilen. Also, die Materialkombination alleine war sicherlich keine große Herausforderung für die Fachleute bei Kusch+Co.

Njord ist ein Möbel, das sowohl für das Büro als auch für Restaurants entdeckt wird. Wofür haben Sie es ursprünglich gedacht? 

Das beschreibt schon die Zielgruppe. Er macht sich aber auch gut in Wartebereichen, Versammlungsräumen und Meeting-Situationen. Ein kleiner Nebeneffekt liegt aber auch in der taktilen Qualität des Armstuhls. Wir bekommen viele Anfragen und Feedback von privaten Kunden, die Njord zu Hause am Esstisch zu schätzen wissen. Njord ist in dieser Hinsicht vielseitig einsetzbar.

Denken Sie an ein weiteres Produkt, das Sie für Kusch+Co entwerfen wollen? 

Ganz bestimmt. Aber man muss das von Anfang an als ein Zusammenspiel betrachten. Die Anreize können natürlich von uns kommen oder von Kusch+Co, das ist eher sekundär. Wichtig ist, dass alle bei einer neuen Idee ein Funkeln in den Augen haben und dass man den Gedanken nicht mehr loslässt, bis das Produkt da steht. Die Zeit wird zeigen, ob uns das noch einmal gelingt.

»Wichtig ist, dass alle bei einer neuen Idee ein Funkeln in den Augen haben und dass man den Gedanken nicht mehr loslässt, bis das Produkt da steht.«

Was fällt Ihnen heute im Bereich Gestaltung als besonders unterschiedlich auf bei Design »made in Germany« und »made in Denmark«? Besteht da eigentlich noch ein Unterschied? Und wenn, ist der auf die Designer oder auf die produzierenden Firmen bzw. Brands zurückzuführen? 

Wir diskutieren diese Frage sehr oft, auch mit Kollegen. Wenn sich hier ein Unterschied bemerkbar macht, dann kommt dieser vielleicht zustande durch das Nachfrageverhalten am Markt. Design und gutes Handwerk standen hier in Dänemark schon immer hoch im Kurs. Die Wertschätzung dieser Objekte bewegte die Menschen dazu, in diese zu investieren, um sie dann über Generationen im Familienbesitz zu haben und sie zu bewundern. Heute sind Fertigungsprozesse aus Billiglohnländern dafür verantwortlich, dass man sich Dinge viel billiger anschaffen kann. Die Wertschätzung und die Lebenserwartung dieser Objekte sinken mit den Preisen und der Qualität, was dazu führt, dass man sich schneller neue Dinge kauft. Um hier am Ball zu bleiben, muss Design modebewusster agieren, was wiederum dazu führt, dass die so hochgepriesene Zeitlosigkeit der »Klassiker« wohl eine Seltenheit wird. Ob Trends Landesgrenzen einhalten, ist ebenso fragwürdig wie deren »Haltbarkeitsdatum«. Aber was wir erleben, und das ist vielleicht ein positiver Effekt dieser Entwicklung, ist dass viele junge Designer sich zutrauen, eigenständig zu arbeiten und sogar die Entwürfe selbst zu produzieren und zu vermarkten. Im besten Fall macht das die Branche vielfältiger und dynamischer – und Design wiederum persönlicher, weil man als Designer nicht nur ein Produkt anbietet, sondern auch einen Teil der eigenen Geschichte. Das ist spannend!