Schwung für die Branche
Digitalisierung und KI am Bau

Teil 1
Bauen neu denken

„Im Bau hat die Digitalisierung bisher noch kaum Einzug gehalten; es ist die einzige Branche mit stagnierender oder gar negativer Produktivitätsentwicklung,“ stellt Jahangir Doongaji, Chef des weltweit agierenden Werkzeugherstellers Hilti soeben auf seiner Bilanzpressekonferenz fest (FAZ v. 18.03.23, S. 20). Während auf der einen Seite mit ChatGPT gerade ein regelrechter Hype um Künstliche Intelligenz tobt, wird auf vielen Baustellen noch gearbeitet wie zu Omas Zeiten. Dabei steht die Branche vor großen Herausforderungen: das Bauen ist mit mehr als 60% des CO2 Ausstoßes und einem erheblichen Verbrauch von nicht erneuerbaren Ressourcen in zentraler Verantwortung für die ernstzunehmende Lage unseres Planeten und das sich kontinuierlich verschlechternde Klima. Klimafreundlich, ressourceneffektiv, kreislaufgerecht – lauten die zentralen Herausforderungen.

Welchen Beitrag können Digitalisierung und KI hier leisten, haben wir ganz unterschiedliche Köpfe aus der Baubranche gefragt: Architekt:innen, Immobilienwirtschaftler:innen, Projektentwickler:innen, Bauunternehmer:innen, Stadtplaner:innen, Wissenschaftler-/Forscher:innen.

Aufgrund der großen Resonanz auf unsere Befragung, starten wir mit einer Serie zum Thema »Digitalisierung und KI im Bauwesen.«

Den Auftakt bildet das Interview mit Bianca Christine Weber-Lewerenz, Bauingenieurin und Autorin des kürzlich im Springer Vieweg-Verlag erschienenen Buchs: Wertakzente im Bauwesen 4.0 – Ethische Beobachtungen im Umgang mit Digitalisierung und KI – ein Plädoyer für eine engagierte wie werteorienierte Nutzung von Digitalisierung und KI im Bauwesen.

Bianca Christine Weber-Lewerenz, Bauingenieurin und Autorin
Foto: ©Weber-Lewerenz

Die Thesen

Die sieben wichtigsten Thesen des Buchs von Bianca Christina Weber-Lewerenz: Wertakzente im Bauwesen 4.0. Ethische Beobachtungen im Umgang mit der Digitalisierung und KI.
Springer Vieweg, Wiesbaden 2022

1. Die Digitalisierung wird es Frauen viel leichter machen, in die Bauwelt einzusteigen. Diversität gilt auch für die Baubranche.

2. Am Bau bestehen leider immer noch so chaotische Zustände, dass z.T. nicht mit einer Sprache gesprochen wird, der Überblick fehlt, dass die Daten unterschiedlich erfasst werden, Prozesse nicht durchgängig transparent sind.

3. Da hilft natürlich eine digitale Methode wie B.I.M. unglaublich, eine Plattform zu schaffen, auf der man alle Daten sammelt, für alle zugänglich macht.

4. Mit einem Digitalen Zwilling transparent und visuell für alle sichtbar darstellt, wie das Bauwerk aussieht, so dass alle Beteiligten vom Auftraggeber über den Designer, Architekten, Bauingenieur, Techniker und Handwerker bis zum Facility Management Zugriff haben.

5. Öffnung ist in der Baubranche mehr als überfällig, gesellschaftlich wie ökonomisch. Auch die Integration von Flüchtlingen wird durch die Digitalisierung der Arbeitsvorgänge deutlich einfacher. So verstanden kann die Digitalisierung neben einem technologischen auch einen sozialen Schub bewirken.

6. Klug angegangen, bringt die Digitalisierung einen riesigen Schwung in die Branche. Wenn jeder am Bau Beteiligte sich klar macht, wie er/sie sich digital vernetzen und neu aufstellen kann, entstehen völlig neue Möglichkeiten des Miteinanders und des Bauens.

7. Prognosen zufolge soll der Markt für KI am Bau bis 2026 einen Anteil von rund 3,7 Mrd. EUR haben. Die Zeit sei überfällig, dass die Baubranche im Lande Chancen für sich entdeckt, Möglichkeiten nutzt, die digitale Transformation mitzugestalten und innovative Geschäftsmodelle aufzustellen, um im Wettbewerb nicht abgehängt zu werden.

Das Interview

Andreas Grosz im Gespräch mit Bianca Christine Weber-Lewerenz

Adé Chaos: Der digitale Zwilling für mehr Überblick auf Baustellen.
Digitalisierung und KI im Bauwesen.

Das Bauwesen steht ja nun insgesamt nicht gerade für den digitalen Fortschritt. Was hat Sie denn bewogen, sich so fundiert mit dieser eher konservativen Branche auseinanderzusetzen?

Ich komme direkt vom Bau, habe meine Ausbildung als Maurerin gemacht, 1994 musste ich dafür als Frau noch eine Sondergenehmigung einholen, habe mich danach als Bauingenieurin weiterqualifiziert und darüber viele praktische Erfahrungen mit Menschen und Bauprojekten gemacht. Die Digitalisierung, das ist meine Erfahrung und Überzeugung, kann auf vielen Ebenen beim Bauen helfen. Sie kann die Arbeit sicherer machen, wir können Daten auf gemeinsame Plattformen stellen, Zugänge auf einer gleichen Ebene gewähren. Der Digitale Zwilling steht dabei im Moment im Mittelpunkt, der ist im Gespräch, der wird publiziert. Er steht auch bei mir, zusammen mit der KI, im Fokus.

Eine gemeinsame Datenplattform, auf die alle am Bauprojekt zurückgreifen können, das klingt vernünftig und logisch. Vor allem vor dem Hintergrund des krachenden Scheiterns von Großprojekten, wie dem Berliner Großflughafen BER oder der Kölner Oper. Kann das Bauen durch die Digitalisierung und mit Einsatz von KI zuverlässiger und effektiver werden?

Definitiv! Digitale Innovationen brauchen wir, um die Potentiale, die Sie gerade genannt haben, mit Leben zu füllen und in der Praxis übergreifend zu nutzen. Am Bau bestehen leider immer noch so chaotische Zustände, dass z.T. nicht mit einer Sprache gesprochen wird, dass der Überblick fehlt, dass die Daten unterschiedlich erfasst werden, dass Prozesse nicht durchgängig transparent sind. Da hilft natürlich eine digitale Methode wie B.I.M. unglaublich, eine Plattform zu schaffen, auf der man alle Daten sammelt, für alle zugänglich macht. Mit einem Digitalen Zwilling transparent und visuell für alle sichtbar darzustellen, wie das Bauwerk aussieht, so dass alle Beteiligten vom Auftraggeber über den Designer, Architekten, Bauingenieur, Techniker und Handwerker bis zum  Facility Management Zugriff haben. Und dass man Änderungen, die ja immer wieder während der Bauphase dazukommen, darstellen und kostenmäßig quantifizieren kann. Immer auch mit Blick auf Qualität und Zeitablauf.

Am Bau sind ja viele Gewerke beteiligt, das Geschehen ist also äußerst vielschichtig und zudem komplex. Im Buch gehen Sie auch auf die z.T. mangelnde Kommunikation zwischen den Beteiligten ein. Kann die Digitalisierung die Kommunikation im Bauwesen auf ein neues Niveau heben?

Genau! Es ist eines der zentralen Mittel, wie etwa BIM, um die Kommunikation im Baugeschehen grundlegend zu verbessern und damit Fehlerquellen auszuschließen. Im Baubereich sind ja viele Kleinunternehmer, Mittelständler und auch Start-Ups unterwegs, für die die Digitalisierung noch eine erhebliche Herausforderung darstellt. Hier übernehmen inzwischen die Großunternehmen eine Vorreiterrolle ein, weil sie über mehr Ressourcen, eigene Forschungsabteilungen und Know-how verfügen. Das wird sich positiv im Sinne eines Wissenstransfers auf die klein- und mittelständischen Unternehmen (KMU) auswirken. Wichtig ist vor allem, dass auch die KMU-Unternehmen die Scheu vor diesen Themen ablegen. Auch im Sinne der Generationenübergänge, weil der Nachwuchs ja mit einem ganz anderen Vorverständnis in den Beruf eintritt. Das macht z.B. den Handwerksbetrieb für Nachfolger attraktiver und erhöht zudem seine Wettbewerbsfähigkeit. Es ist doch schon heute keine Seltenheit mehr, dass der Handwerksmeister mit dem Laptop zur Baustelle kommt.

Ihr Buch beruht auch auf eigenen Forschungsansätzen. Sie haben Unternehmen in der Bauwirtschaft untersucht, viele Gespräche geführt. Wo stehen wir aus Ihrer Sicht heute im Digitalisierungsprozess?

Mit meiner Arbeit bin ich 2019 gestartet, vor allem in Großbetrieben. Es hat sich herausgestellt, dass es vor allem die Digitaloffices in den Unternehmen sind, die die Digitalisierung vorantreiben. Da war Vieles noch am Anfang, KI noch ziemlich weit weg. Die ersten Ansatzpunkte für KI lagen z.B. in der Objektidentifizierung, BIM-Erkennungsmöglichkeiten, in einer bestimmten Sensorik im Brückenbau, um Risiken früh zu erkennen, Stichwort „Selbstlernende Baustelle“, Robotik am Bau u.ä.m. Inzwischen ist Vieles schon in Bewegung und wird beim Bauen ausprobiert.

Sie gehen in Ihrem Buch ganz explizit auf „Wertakzente im Bauwesen 4.0“ ein. Welche ethischen Beobachtungen haben Sie im Umgang mit der Digitalisierung und KI gemacht?

Bei meinen Überlegungen steht im Zentrum, dass wir in einer Demokratie leben. Wir erleben heute schmerzhaft, dass das nicht selbstverständlich ist. Dafür müssen wir uns alle, auch in unserer täglichen Arbeit, einsetzen, egal in welcher Branche. Das Handwerk ist ja z.B. traditionell durch hohe Wertvorstellungen geprägt. Schließlich geht es hier um die Gestaltung unserer Lebenswelt. Technologie beinhaltet immer schon bestimmte Wertvorstellungen. Was impliziert das für unsere gesellschaftliche Verantwortung? Da setzt mein Buch an. Auch die KI ist kein Selbstläufer, sondern wird von Menschen programmiert und ausgestaltet. Es kommt doch immer darauf an, welche Interessen damit verfolgt werden. Das ist die entscheidende Frage. Werte sind hier als Orientierungsmaßstäbe und Leitplanken zentral. Dieser Grundgedanke muss in die Ausbildung fließen, ob beim Architekten, Handwerker oder Immobilienentwickler. In meinen Untersuchungen konnte ich feststellen, dass z.B. in den Hochschulen solche Fragen bereits in die Curricula einfließen.

Sie setzen sich dafür ein, dass sich das Bauwesen deutlich öffnet und weit über den eigenen Tellerrand schaut.

Die Bau- und Immobilienwirtschaft wirkt von außen betrachtet immer noch wie ein geschlossener Block. Das wird und kann die Digitalisierung verändern und damit dem Bauwesen eine neue Perspektive eröffnen. Stichwort: Diversität. Die Digitalisierung wird es z.B. Frauen viel leichter machen, in die Bauwelt einzusteigen. Das ist weit mehr als eine organisatorische Frage, es wird das Bild und das Denken der ganzen Branche neu prägen. Neue Arbeitsformen werden möglich. Stichwort: Home-Office. Die Digitalisierung wird die Branche insgesamt öffnen, es erfordert und ermöglicht Wissen zu teilen, sowohl für einen fächerübergreifende Dialog, als auch für die Kommunikation und das Miteinander innerhalb der Unternehmen. Das braucht Offenheit und Empathie für die ganze Entwicklung. Öffnung ist in der Baubranche mehr als überfällig, gesellschaftlich wie ökonomisch. Alles andere wäre rückständig. Auch die Integration von Flüchtlingen wird durch die Digitalisierung der Arbeitsvorgänge deutlich einfacher. Die wachsende Vielfalt im Zuge der Digitalisierung führt letztlich zu einer Stärkung des Bauwesens. So verstanden kann die Digitalisierung neben einem technologischen auch einen sozialen Schub bewirken.

Sie schreiben, um den digitalen Wandel verantwortlich zu gestalten, brauchen wir ein neues Bewusstsein und eine neue Denkkultur.

Bewusstsein und Aufklärung sind wichtige Voraussetzung, um Ängste abzubauen, Vertrauen zu schaffen. Jede neue Technologie hat ihre Chancen und Risiken, darüber muss offen gesprochen werden. Hier gilt es, gerade bei der Hochgeschwindigkeit, die etwa KI eigen ist, die Menschen mitzunehmen. Viele fühlen sich von der heutigen technischen Entwicklung abgehängt. Was also ist sinnvoll und was nachhaltig? Auch das ist eine Frage von Baukultur.

Ich möchte es positiv fassen. Klug angegangen, bringt die Digitalisierung einen riesigen Schwung in unsere Branche. Wenn jeder am Bau Beteiligte sich klar macht, wie er sich digital vernetzen und neu aufstellen kann, entstehen völlig neue Möglichkeiten des Miteinanders und des Bauens. Es werden neue, weitere Geschäftsmodelle entstehen. Das Bauen verbraucht heute noch rund 40% aller Ressourcen, allein schon deshalb müssen wir neue Wege gehen. Die Digitalisierung und KI können hier geeignete Werkzeuge für den Wandel bilden.

Auch für das Image der Baubranche kann sich auf diesem Wege einiges verbessern. Nicht zu Unrecht fragt man sich, warum die Branche den Umweltverbrauch nicht drastisch verringert, warum das nicht schneller in Gang kommt. Aus meiner Sicht fehlen die Vertreter innerhalb der Baubranche, die diesen notwendigen Dialog mit der Öffentlichkeit suchen und führen. Mit meinem Buch möchte ich zum weiteren Dialog anregen. Es richtet sich an alle, die sich mit dem Bauen im weitesten Sinne und mit den Herausforderungen von Digitalisierung und KI auseinandersetzen. Ich habe meine Argumente ganzheitlich angelegt, weil wir es hier mit einer so vielfältigen Branche zu tun haben, deren Arbeit, das Bauen, jeden von uns betrifft. Und ich sehe die Chance, dass das Bauwesen durch die Digitalisierung in der Mitte unserer Gesellschaft ankommt.

 

Das Gespräch mit Frau Weber-Lewerenz führte Andreas Grosz im März 2023.

Bianca Christina Weber-Lewerenz, Dipl.-Ing., Bauingenieurin. Seit 2007 im In- und Ausland als freischaffende Consultant in Großprojekten, Turnaround- und Claim Management tätig. Von 2008–2014 Leben und Arbeiten in Peking. Mit der von ihr gegründeten Exzellenzinitiative für nachhaltige, menschgeführte KI im Bauwesen bringt sie das Bauwesen seit 2020 in den allgemeinen Diskurs rund um die digitale Transformation und eine vertrauenswürdige, nachhaltige KI. Kooperation im Rahmen der Forschungsarbeit mit dem Institut für Nachhaltigkeit im Bauwesen (INaB) an der Fakultät Bauingenieurwesen an der RWTH Aachen. Ehrenamtliches Engagement als MINT-Mentorin. Mitglied bei den Women in AI & Robotics und Women in AI Ethics.

 

 

Wertakzente im Bauwesen 4.0.
Ethische Beobachtungen im Umgang mit der Digitalisierung und KI.
Springer Vieweg, Wiesbaden 2022,
ISBN 978-3-658-38237-7