Lebensqualität ist ein Wirtschaftsfaktor
KoDorf-Geschäftsführer Frederik Fischer über das Ende von Fertighaussiedlungen und gemeinwohlorientiertes Leben auf dem Land.
Nach der Land- nun die Stadtflucht? Könnten die ländlichen Räume einen solchen Wechsel überhaupt verkraften?
In einem idealen Szenario erleben wir keine extremen Pendelbewegungen, sondern eine Rückkehr zu einer gesunden Balance zwischen Stadt und Land. Es gibt aber tatsächlich die Möglichkeit, dass der Wegzug aus der Stadt in deutlich größerem Umfang passiert, als bislang angenommen. Schon vor Corona zeigten sich in Umfragen wiederholt, dass die Mehrheit der Deutschen lieber in Dörfern und Kleinstädten wohnen würde. Bislang schränkte die enge Verbindung zwischen Wohnort und Arbeitsplatz viele (insbesondere Doppelverdiener-)Haushalte in ihrer Mobilität ein. Genau das bricht durch Corona und Homeoffice nun aber auf. Was wir gerade erleben, könnte tatsächlich nur die Spitze des Eisberges sein.
Gibt es Strategien und Konzepte, die das Leben in den Stadt-Land-Zwischenräumen und Übergängen verbessern können?
In vielen Kommunen findet ein Umdenken statt. Die Fehler der Vergangenheit werden als solche erkannt und das Selbstbewusstsein kehrt zurück. Mit diesem Selbstbewusstsein einher gehen häufig Konzeptvergaben und eigene Projektentwicklungen. Lebensqualität wird völlig zurecht als Wirtschaftsfaktor verstanden. Das bedeutet in Konsequenz Abkehr von Fertighaussiedlungen und Investorenmodellen und Unterstützung für gemeinwohlorientierte Wohnformen und lebendige Ortskerne. Es bedeutet auch Investitionen in Kultur und Coworking. Beides muss zusammengedacht werden, um einerseits neue Bewohner*innen anzuziehen und andererseits auch den Menschen vor Ort bewusst zu machen, dass alle von einem solchen Transformationsprozess profitieren.
Co-Working, gemeinschaftliches Wohnen über Baugruppen oder Baugenossenschaften klingen nach Stadt. Den ländlichen Raum bringt man nach wie vor mit dem Traum vom Eigenheim in Verbindung. Und zeichnet damit das Bild endlos zersiedelter Landschaften. Ist das ein Thema für Architekten, Stadt- und Raumplaner? Oder für Hochschulen und junge Leute, die neues Leben und Denken in ländliche Räume tragen wollen?
Ich selbst bin kein Architekt, arbeite aber in unseren Projekten eng mit Architekten zusammen. Was alle eint, die sich für genossenschaftliches und/oder partizipatives Bauen engagieren, ist die Erkenntnis, dass heutzutage fast nur noch in diesen Modellen die Art von Architektur entsteht, wegen der man einmal mit dem Studium begonnen hat. Kein Studienanfänger träumt davon, nach dem Baukastenprinzip zu planen und auf Grundlage der Renditeerwartung von Investoren an die Gestaltung zu gehen. Uns ist in den letzten Jahren auf dramatische Weise Baukultur verloren gegangen. Die gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und ökologischen Konsequenzen beginnen wir in meiner Wahrnehmung erst langsam in Gänze in ihrer ganzen Dramatik zu reflektieren.
Gern wird im baukulturellen Kontext von regionaler Architektur als Basis lokaler Identität gesprochen. Wie sieht es damit in der Realität?
Es braucht ganz allgemein neue Ansätze für das Bauen in ländlichen Räumen. Klassische Einfamilienhaus-Siedlungen bilden längst nicht alle Wohnbedürfnisse ab. Ökologisch und sozial nachhaltig sind sie erst recht nicht. Was heute gebaut wird, sind die städtebaulichen Schandflecken der kommenden Jahrzehnte – wenn es gut läuft. Für vieles was heute gebaut wird, müssten sich die Projektentwickler schon in der Planungsphase schämen.
Wohnen – Leben – Arbeiten auf dem Lande. Immer nur gedacht im Kontext der naheliegenden Metropole oder auch als eigenständige regionale Lebensform? Wie lässt sich die Entwicklung denken?
Ländliche Räume sind nicht zuletzt auch Gestaltungsräume, in denen Menschen Selbstwirksamkeit und Sinn erfahren. Ich bin der festen Überzeugung, dass die wirklich spannenden Zukunftsentwürfe momentan eher in den ländlichen Räumen zu finden sind. Dank Corona und Homeoffice erleben wir vielleicht tatsächlich eine dezentrale Verteilung von Fachkräften, Jobs und Chancen.
Der ländliche Raum spielt ja für die Bewältigung der Klimakrise eine erhebliche Rolle. Besteht durch eine wie auch immer geartete Stadt-Land-Bewegung nicht die Gefahr einer Verstädterung des (idealisierten) ländlichen Raumes? Wie ließe sich diese Entwicklung konzeptionell begleiten und positiv beeinflussen?
Das Wachstum der ländlichen Räume muss dringend politisch so gesteuert werden, dass das Gemeinwohl und damit notwendigerweise auch der Klimaschutz im Mittelpunkt stehen. Bei der Regionalentwicklung ist es hilfreich, wenn Kommunen eine (möglichst nachhaltige) Vision formulieren. Jeder Entwicklungsschritt kann dann mit dieser Vision verglichen werden. Das erleichtert Entscheidungen und Abwägungsprozesse und hilft auch dabei, sozial-ökologische Akteure auf sich aufmerksam zu machen.
Es mag Orte geben, in denen Einfamilienhaussiedlungen immer noch das Mittel der Wahl sind. Im Idealfall steht die Entscheidung für oder gegen eine solche Zersiedlung aber am Ende eines gründlichen Abwägungsprozesses, in dem auch Alternativen geprüft werden. Diese können in nachverdichteten Ortskernen bestehen, gemeinschaftlichen Wohnmodellen oder Konzeptvergaben, die etwa ökologisches Bauen vorschreiben. Auch neue Fördermodelle sind dringend notwendig, um die immer wieder geforderte Umnutzung von Leerstand Wirklichkeit werden zu lassen.
Aktuelle Projekte:
Summer of Pioneers Homberg
Summer of Pioneers Altena
KoDorf Wiesenburg
KoDorf Erndtebrück
Ausgezeichnet im Wettbewerb „Kultur- und Kreativpiloten“ der Bundesregierung 2020
Ausgezeichnet im Wettbewerb „Menschen und Erfolge“ des Bundesinnenministeriums 2019