FLUGHAFEN CHARLES DE GAULLE Paris
Kusch+Co

Start und Landung

Abheben, davonfliegen und in neue Welten entschwinden – das geht eigentlich von jedem Flughafen weltweit. Doch manchmal können die Orte, an denen eine Reise beginnt, auch einen (Neu-)Start im eigenen Leben markieren. So lassen sich auch vom Pariser Flughafen Charles de Gaulle, nicht nur funktionale oder gestalterische Geschichten erzählen, sondern vor allem Schicksale mit persönlichen Neuanfängen.

Für die meisten Menschen ist ein Flughafen der Ort, an dem sie ankommen oder zu Neuem starten. Von hier aus begeben sie sich auf Geschäftsreisen, befinden sich auf dem Weg zu geliebten Menschen oder lassen sich vom Fernweh treiben und an unbekannte Orte bringen. Es soll sogar Menschen geben, die sich auf Flughäfen lediglich aufhalten, um Flugzeugen beim Starten und Landen zuzusehen, um dabei ein bisschen von der weiten Welt zu spüren. Welchen Grund ein Aufenthalt am Flughafen auch hat, es handelt sich dabei stets um einen Transitraum, in dem sich Reisende bewegen und zumeist nur kurzfristig aufhalten – auch, wenn es sich dabei um einen der größten Flughäfen der Welt handelt.

Hier in Roissy-en-France – knapp 25 Kilometer vom Zentrum der französischen Hauptstadt entfernt – wurde Ende der 60er-Jahre mit dem Bau des ersten Terminals sowie der Landebahnen vom Aéroport Paris Charles de Gaulle begonnen, um die steigende Anzahl an Reisenden und damit an Flugzeugen aufzunehmen. Die Inbetriebnahme erfolgte schließlich nach sechsjähriger Bauzeit im März 1974.

Mit der Planung dieses Großprojekts wurde der damals erst 30-jährige Architekt Paul Andreu beauftragt, der 1968 gerade sein Diplom an der École des Beaux-Arts in Paris erhalten hatte. Mit diesem Bau konnte der Franzose den Grundstein seiner weltweiten Karriere, die noch rund 50 weitere Flughäfen hervorbringen sollte, legen.

– Der nach dem französischen General und Staatsmann Charles de Gaulle benannte Flughafen gehört mit über 60 Millionen Passagieren nicht nur zu den größten Flughäfen weltweit, sondern versteht sich auch als Drehkreuz der Air France und mit über 75.000 Beschäftigten als einer der wichtigsten Wirtschaftsstandorte der Île-de-France. –

Seine Visionen für den neuen Flughafen nach Paris-Orly waren dabei nicht nur vielfältig, sondern für die Zeit vor allem neuartig: So wurden die Start- und Landebahnen parallel zueinander gebaut, um deren gleichzeitige Nutzung zu gewährleisten. Im Gegensatz zu den meisten Flughäfen der 60er-Jahre, die als Terminal lediglich mit einer großen Halle aufwarten konnten, plante Andreu ein speziell auf die Bedürfnisse der Fluggäste ausgelegtes Abfertigungsgebäude. Doch nicht nur diese funktionalen Überlegungen waren innovativ, auch die Architektur passte sich dem damals vorherrschenden Zeitgeist an: Sieben sogenannte Satelliten wurden um ein rundes Zentralgebäude kreisförmig angeordnet. Zu den auf dem Vorfeld befindlichen „Außenstationen“ kommen die Passagiere auch heute noch durch Tunnel oder weit spannende Rolltreppen. Diese futuristisch anmutende Gestaltung vermittelt – trotz Modernisierung und Neukonzeption der Inneneinrichtung – das Gefühl, sich auf eine Reise durch Zeit und Raum zu begeben. Mittlerweile wurden diese Gebäude durch die Terminals 2 und 3 zwar erweitert, das Herzstück jedoch bleibt das im Volksmund auch als „Beton-Camembert“ bezeichnete Terminal 1.

– Die Architektur des Pariser Flughafens präsentierte sich von Beginn an visionär und innovativ. Das hat sich auch mit der Neuausstattung durch zeitgemäße Sitzgelegenheiten nicht geändert: So ist zum Beispiel die Energieversorgung durch integrierte Steckdosen in der Tragkonstruktion der Wartebänke „7500 Terminal” von Kusch+Co stets gewährleistet. –

Doch nicht nur die Ausführung des Flughafens war für die 60er- und 70er-Jahre zukunftsweisend, Paul Andreu ging bereits in seinem Entwurfsprozess ungewöhnliche Wege: Er organisierte in der Planungsphase Workshops sowie Gesprächsabende und lud dazu Gestalter und Künstler aus unterschiedlichen Disziplinen genauso wie Musiker und Psychologen ein, um einen Diskurs über die Funktionen, die Atmosphäre und natürlich über die Gestaltung zu führen und dadurch das bestmögliche Ergebnis zu erhalten. Unter den Experten: Der junge Schweizer Schriftentwerfer Adrian Frutiger, der mit seiner 1957 erschienenen Erfolgsschrift „Univers“ die Beschilderung entwickeln sollte. Doch für die schnelle Wahrnehmung auf Wegweisern schien ihm diese Schrift zu geometrisch und geschlossen, also griff er auf einen sieben Jahre alten Sans-Serif Entwurf namens „Concorde“ zurück, entwickelte diesen weiter und der neue Schnitt „Roissy“ entstand. Seine stetige Überarbeitung brachte 1975 schließlich die nach ihm benannte Schriftart „Frutiger“ hervor. In der fachsprachlichen Kategorisierung serifenlose Linear-Antiqua genannt, hat sie sich bis heute als Informationsschrift an Flughäfen, öffentlichen Gebäuden, Kliniken und Universitäten etabliert. Der Grund hierfür ist vor allem ihre erstaunliche Lesbarkeit aus weiter Entfernung sowie aus den verschiedensten Blickwinkeln. So ist es beispielsweise auch möglich, einen zehn Zentimeter großen Buchstaben noch aus 20 Metern zu erkennen – also bestens geeignet für Bauten mit viel Publikumsverkehr.

– Als der Flughafen im März 1974 eingeweiht wird, kann Adrian Frutiger mit seinem gut lesbaren Leitsystem neue Maßstäbe setzen: Für die Beschilderung entwarf der Schriftgestalter aus „Concorde“ die Schriftart „Roissy“ – eine frühe Form der „Frutiger“. –

14 Jahre später, bahnte sich 1988 am Pariser Flughafen Charles de Gaulle ein weiterer Neubeginn der besonderen Art an: Mehran Karimi Nasseri, im Iran geboren, strandete hier als Flüchtling und nannte insgesamt 18 Jahre lang diesen dafür wohl ungewöhnlichsten Ort sein Zuhause. Da Nasseri selbst immer wieder unterschiedliche Angaben zu seiner Herkunft und Geschichte gibt, ist es nicht einfach, seinen Lebensweg nachzuzeichnen. Er selbst erzählt Reportern gerne folgende Geschichte: Nach einem Studium in England wurde er wegen Protesten gegen das iranische Schah-Regime unter Mohammad Reza Pahlavi 1977 verhaftet und später aus seinem Heimatland ausgewiesen. Nach einer längeren Odyssee durch mehrere europäische Staaten wurde ihm in Belgien der Flüchtlingsstatus zuerkannt. Also flog er 1988 nach Paris in der Absicht, nach London zu reisen. Da ihm in Paris jedoch seine Reisedokumente gestohlen wurden, konnte er weder seinen Status als Flüchtling noch seine Identität beweisen. Daher wurde in London seine Einreise abgelehnt und Nasseri nach Paris zurückgeschickt, wo ihm allerdings ebenfalls die Einreise verwehrt wurde. Ohne Chance, sich auszuweisen, richtete er sich in den folgenden Jahren im Terminal 1 des Flughafens ein, wo er von August 1988 bis August 2006 lebte, bis er angeblich wegen einer nicht näher genannten Erkrankung ins Hospital gebracht werden musste.

Ende 2004 lief in Deutschland Steven Spielbergs Film „Terminal“ an, der auf dem Schicksal Nasseris beruht und mit Tom Hanks in der Hauptrolle glänzte. Für seine Geschichte erhielt Nasseri damals 275.000 US-Dollar, lehnte es jedoch standhaft ab, seine langjährige Heimat – das Terminal 1 – zu verlassen. Nach Presseberichten soll er nach seinem Klinikaufenthalt im März 2007 nun in ein Pariser Obdachlosenheim gezogen sein.

Die bewegte Geschichte des Pariser Flughafens hat aber mit Gewissheit nicht nur Paul Andreu, Adrian Frutiger oder Mehran Karimi Nasseri einen (Neu-)Start beschert, es gibt sicherlich noch eine Vielzahl weiterer persönlicher, einzigartiger und vielleicht auch skurriler Schicksale, die hier ihren Start- oder Endpunkt gefunden haben …

 

Flughafen Charles de Gaulle in Zahlen

Adresse: 26 Kilometer nordöstlich von Paris
Betreiber: Aéroports de Paris (ADP) > www.parisaeroport.fr
Architekt: Paul Andreu Architecte Paris > www.paul-andreu.com
Fertigstellung: 1974
Fläche: 3.500 Hektar
Terminals: 3
Fotos: Paul Andreu Architecte Paris | Paul Maurer | Devin Lindsay, Elise Milani | Henk Gianotten | Corgi Books | DreamWorks, LLC | Kusch+Co

Autor: Sabine Marinescu