Kinzo
Die Grenzgänger
Aus dem KAP Magazin #6

Kinzo bespielt die unterschiedlichsten Räume stets mit dem gleichen Anspruch: Architektur und Ausstattung sollen verschmelzen.

Der Aufstieg war rasant: Von der Insideradresse ist das angesagte Berliner Design- und Architekturbüro in kurzer Zeit zum mehrfach preisgekrönten Aushängeschild der Designszene avanciert. Vor wenigen Wochen erst konnten die Macher Karim El-Ishmawi (37), Martin Jacobs (39) und Chris Middleton (36) – kurz JIM genannt – den bisherigen Höhepunkt ihrer kreativen Karriere feiern: In Herzogenaurach eröffnete der Sportartikelhersteller Adidas einen neuen Bürokomplex. Der über sieben Stockwerke hohe, mit viel Glas, in Grau und Weiß gehaltene Bau erinnert aus der Vogelperspektive an einen geschnürten Sportschuh und hat eine Gesamtfläche von fast 62.000 Quadratmeter – so viel wie acht Fußballplätze. Und Kinzo hat ihn maßgeschneidert eingerichtet.

»Das ist unser bislang größter Auftrag«, freut sich Chris Middleton. Zum ersten Mal konnten die Berliner in diesem Neubau mit ihren Interior-Ideen von Anfang an auf die Architektur der Räume eingehen. Sie tauchten ein in die Bürowelt, in die Prozesse und Abläufe des Unternehmens, forschten im Studio und experimentierten in der Werkstatt für ein Maximum an Identität und Erlebnis ihrer Produkte.

»Wir machen Design im Raum. Das heißt: Design hat dann einen Sinn, wenn die Leitidee bis ins Detail ausgearbeitet ist. Beispielsweise die Adidas-Bürowelt in den Möbeln ablesbar ist. Der Bereich der Architektur verschwimmt bei uns mit dem Bereich der Möbel«, erklärt Middleton. Kinzo denkt szenografisch, nutzt die Schnittstellen zur Architektur. Design ist demnach kein Programm, sondern ein Zustand, den Raum und Funktion erreichen müssen, um besser zu sein als andere.

»Wenn wir gestalten, ist alles aus einem Guss – das fängt bei den Papierkörben an und endet bei den Raumteilern, auch »Teamplayer« genannt. Anders als Hersteller, die in Serie produzieren, passt sich Kinzo wie ein Chamäleon mit seinem Produkt- und Möbeldesign dem Raum an. »Wir inszenieren Orte ganzheitlich, das macht Architektur und Möbel lebendig.«

»Wir inszenieren Orte ganzheitlich, das macht Architektur und Möbel lebendig.«

Mit seinem mehrfach ausgezeichneten futuristischen Gestaltungsansatz ist das 1998 gegründete Büro zu einem begehrten Designbüro aufgestiegen – auch für Kunden wie Tishman Speyer, Axel Springer, Audi, L’Oréal, Ernst & Young und eben Adidas. Kinzo-Design überrascht. So ist die Funktion nicht auf den ersten Blick erkennbar, die Objekte wirken wie multifunktionale Skulpturen. Eine der erfolgreichsten ist der mit dem red dot award 2008 ausgezeichnete Kinzo Air-Schreibtisch. Er hat das Zeug zum DesignKlassiker: Schrägen, gekippte Flächen, und scheinbar »schwebende« Bauteile verleihen der Gestaltung eine dynamische Leichtigkeit – eine spacige Aura.

Den Berlinern geht es bei ihren Entwürfen aber nicht nur um Haptik und Optik, sondern um nachhaltige Lösungen für die heute so technisierte Welt. Unternehmen sind nach ihrer Ansicht gut beraten, wenn sie in Arbeitsräume und -plätze investieren, den Büroalltag komfortabler, inspirierend, intelligent gestalten und Erlebniswelten schaffen.

Kinzo liefert mit seinen Ideen jedoch mehr als nur optimale Raumnutzung: Die Objekte erfüllen sämtliche Anforderungen an moderne Büro- und Konferenzmöbel. So schluckt beispielsweise beim Kinzo Air in der Mitte der Tischplatte eine großzügig dimensionierte, offene Rinne den unschönen Kabelsalat. Die zu kleinen und unpraktischen Klappen und Deckel, in denen bei herkömmlichen Bürosystemen Kabel und Stecker Platz finden sollen, verschwinden in einem Einzelschreibtisch, dessen Seitenteile in Origami-Art nach innen gefaltet sind. So lässt er sich an die Doppelarbeitstische heran schieben und zu kompakten Dreiergruppen kombinieren.

Der Dreiklang von Raum, Form und Funktion zieht sich von Anfang durch alle Projekte. Kinzo hat so seine Nische gefunden und spielt stets einen besonderen Trumpf aus: Martin Jacobs, Projekt-Direktor, schloss bereits vor seinem Architekturstudium die Prüfung zum Tischlermeister ab. »Auf diese Weise haben wir schon in der Entwurfsphase die praktische Umsetzung und die Kosten der Fertigung im Blickfeld«, betont El-Ishmawi.

Der Kinzo Air, im Auftrag vom Axel Springer Verlag für dessen Redaktionen entworfen, war der erste Ausflug, den das Trio ins Produktdesign gewagt hat. Denn gestartet sind die Architekten, die seit dem Grundstudium zusammenarbeiten, mit aufsehenerregender »Guerilla-Architektur«. Die spektakulärste, so Chris Middleton, war der Umbau einer ungenutzten Fußgängerunterführung am Alexanderplatz. Der öffentliche Raum verwandelte sich in eine Bar, die vorhandenen Rolltreppen wurden zu Laufstegen für die Besucher. »Wir haben Lücken für unsere Underground-Events gesucht, und die Brachflächen, alles Orte aus einer anderen Zeit, temporär neu belebt.«

Kinzo schafft neue, futuristisch anmutende Erlebniswelten, bespielt die unterschiedlichsten Räume stets mit dem gleichen Anspruch: Architektur und Ausstattung sollen ganzheitlich wirken. Das gilt auch für die Bühnenbilder für die Eröffnungsfeiern des weltweit bedeutendsten Technologieereignisses – der »Hannover Messe«, für die renommierte »CeBIT« und erstmalig im September für das Opening der »Internationalen Funkausstellung« in Berlin.

Seit 1998 steht das Berliner Büro, das in einem Plattenbau mit 3.000 Quadratmetern Dachterrasse am Alexanderplatz residiert, für interdisziplinäre Lösungen, außergewöhnliche DesignKonzepte und Service vom ersten Entwurf bis zur Abnahme. Die Kompetenz liegt auf der Schnittstelle von Konzeption und Umsetzung. Aus der Architektur kommend, ist die Herangehensweise von Kinzo konzeptioneller als die reiner »Umsetzer« wie MessebauFirmen, aber auch pragmatischer und stärker auf das Endprodukt gerichtet als die Praxis von Kommunikationsoder Eventagenturen.

Das so erfolgreiche Trio ist ein eingeschworenes Team, zu dritt segnen sie alle Projekte ab. Kinzo ist eben ein Gesamtkunstwerk. Woher kommt eigentlich der Name? »Er ist ein japanischer Vorname, der progressiv-futuristisch anmutet«, sagt Middleton. »Vor 15 Jahren haben wir unser Logo entworfen und es genreübergreifend auf all unsere Produkte geklebt.« Kinzo, das Label, signalisiert Mystisch-Geheimnisvolles wie von einem anderen Design-Stern.

»Vor 15 Jahren haben wir unser Logo entworfen und es genreübergreifend auf all unsere Produkte geklebt.«

10 Fragen an Karim El-Ishmawi, Martin Jacobs, Chris Middleton:

1. Wann haben Sie Ihr Büro gegründet und was war die größte Herausforderung dabei?

Unser Büro für Design und Architektur haben wir 2003 gegründet, das Label Kinzo haben wir aber schon 1998 für Eventdesign, Kurzfilme, imaginäre Werbekampagnen, einen Nachtklub und andere gestalterische Projekte ins Leben gerufen. Das Logo diente uns als Signatur und fasste die interdisziplinären Projekte zusammen. Die größte Herausforderung war, gleichzeitig einen Nachtklub und ein Designbüro zu führen.

2. Welche Vorbilder hatten/haben Sie?

Wir haben viele Vorbilder, deren Œuvre uns inspiriert. Darunter sind Filmarchitekten wie Ken Adam, Architekten wie Oscar Niemeyer oder Designer wie Dieter Rams, um nur einige zu nennen. Unsere Vorliebe gilt radikalvisionären Ansätzen mit emotionalem Wert und formaler Ästhetik.

3. Was ist die Kernphilosophie Ihres Büros?

Unsere Kernphilosophie lautet: Aufhebung der Grenzen zwischen Architektur und Design! Ganzheitliche Gestaltung in 2-D, 3-D und 4-D – unabhängig vom Maßstab.

4. Was wollen Sie anders machen als die anderen?

Wir wollen ein wenig mehr Utopie wagen. Und so die Zukunft aktiv mitgestalten.

5. Welche Anerkennung hat Sie gefreut – warum?

Der Deutsche Bauforschungsnachwuchspreis für eine von uns gestaltete Zukunftsvision für Berlin im Jahr 2046 hat uns sehr überrascht. Die Vision wurde in Form eines satirischen Films mit diversen Designansätzen für Produkte, Architektur und Städtebau präsentiert.

6. Was tun Sie in Sachen Eigen-PR?

Wir bleiben im Gespräch.

7. Warum lohnt es sich, trotz immer schmaler werdender Budgets im Bereich Bauen tätig zu sein?

Beim Bauen sieht man die virtuellen Entwurfsgedanken in die Tat umgesetzt. Das hat etwas Erhabenes.

8. Was sind Ihre drei wichtigsten Bauten?

Ein Raumschiff-Büro für eine digitale Medientochter der Axel Springer AG, die abstrahierte Banlieue-Architektur für einen begehbaren digitalen Parcours auf der Bühne der CeBIT-Eröffnung 2008 und die kleine, aber feine Modeboutique Maygreen in Hamburg Ottensen kann man gut als repräsentative Projekte sehen.

9. Wie sieht Ihr Traumauftrag aus?

Egal ob es sich um die Stadt der Zukunft, das kleine Haus am See oder den Arbeitsplatz von morgen handelt: Eine ganzheitliche Gestaltung vom Innenraum zum Außenraum, vom Produkt zur Architektur bis hin zum städtischen bzw. landschaftlichen Umfeld ist uns wichtig.

10. Wie würden Sie durch Ihre Arbeit das Umfeld in Städten verbessern wollen?

Wir sind für Nutzungsund Funktionsüberlagerung, dadurch entstehen spannende Bezüge und offene Kommunikation, die wir in neuartig skulpturalen Objekten zusammenführen. Wir möchten mit unseren Projekten ästhetische Höhepunkte schaffen, die das Leben lebenswerter machen.

von Dagmar Haas-Pilwat

Kinzo
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10178 Berlin
T +49 30 97 00 48 20
F +49 30 97 00 48 21
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kinzo-berlin.de

Abbildungen:
Kinzo Air 2008
Hannover Messe
Eröffnungsveranstaltung 2011