Miele House Shanghai
Kusch+Co
Das Alte und das Neue
Seit Anfang der 90er-Jahre erlebt China einen nie da gewesenen Bauboom. Jenem fielen allerdings auch große Teile des alten Shanghais zum Opfer – bis schließlich ein Umdenken einsetzte: Heute erstrahlen viele historische Gebäude der Stadt wieder in neuem Glanz. Nicht ganz unschuldig daran sind zwei Architekten aus Venedig, die vor 15 Jahren einen Neuanfang in Shanghai wagten. Sie restaurierten auch das Miele House – ein Ausstellungsraum in einer Shanghaier Stadtvilla aus den 30er-Jahren, gebaut vom chinesischen Architekten Fan Wenzhao, nun modernisiert von Kokaistudios und ausgestattet mit Sitzmöbeln von Kusch+Co.
Würde Fan Wenzhao heute durch die Straßen Shanghais schlendern, würde er seine Heimatstadt wohl nur an wenigen Stellen wiedererkennen: In den 20er-Jahren prägten flache Lilong-Bauten, Gärten, Tempel, Teehäuser und einige europäisch anmutende Bauten an der Uferpromenade das Stadtbild. Heute ist Shanghai zu einer pulsierenden Mega-City herangewachsen – reich an Einwohnern, Einkaufszentren und Wolkenkratzern.
– Der Ausstellungsbereich ist als Raum im Raum gestaltet, um die historischen Oberflächen zu schützen – eine futuristische Interpretation von Wohnraum, in dem alle Hausgeräte unsichtbar integriert sind. –
Fan Wenzhao war seinerzeit einer der ersten chinesischen Architekten, die sich fern der Heimat ausbilden ließen. Nachdem er von seinem Studium an der Pennsylvania University wieder nach Shanghai zurückkehrte, verband er traditionelle chinesische mit modernen westlichen Elementen. So auch bei der Stadtvilla Shimen Yi Lu 82, die Wenzhao in den 30er-Jahren baute – ein elegantes, dreistöckiges Gebäude aus Beton, mit geschwungenen Dachsparren und Details, die an einen chinesischen Palast erinnern.
Nicht weit davon entfernt hat das Architekturbüro Kokaistudios im Nachbarbezirk Xuhui seinen Sitz. Die beiden Inhaber, Andrea Destefanis und Filippo Gabbiani, stammen aus Italien. Sie haben ihr Büro 2000 in Venedig gegründet – einer Stadt, die von ihrer Geschichte, von den jahrhundertalten Gebäuden und den Straßen aus Wasser lebt. Zwei Jahre nach der Bürotaufe erhalten Destefanis und Gabbiani jedoch einen Anruf aus China mit der Frage, ob sie nicht die Sanierung eines der alten Konzessionsgebäude an der berühmten Uferpromenade Bund in Shanghai übernehmen möchten? Sie zögern nicht.
Die Italiener reißen ihre Zelte in Venedig ab und ziehen mit dem noch jungen Büro nach China – in ein Land, das mit seinen denkmalgeschützten Bauten bis dato nicht lange fackelte, sie lieber abriss statt zu sanieren und auch sonst eine völlig andere Haltung zum Bauen hatte. „Als wir ankamen, waren die Unterschiede in jedem Teil des Planungsprozesses enorm. Ganz besonders die Geschwindigkeit, mit der gebaut wurde“, erinnert sich Andrea Destefanis, „mittlerweile gleicht sich vieles an, aber das Tempo ist immer noch atemberaubend.“
– Als Inspiration für das Ornament des Kupfergitters vor der Fassade dienten Originalelemente der Stadtvilla sowie Details eines der ersten Miele-Produkte. –
In nur zwei Jahren setzt Kokaistudios das anspruchsvolle Projekt um, plant vom Nutzungskonzept bis hin zur Eröffnungsfeier alles. Neu ist für die Auftraggeber die Art, wie die Italiener arbeiten: Sie restaurieren behutsam und kombinieren das Historische mit zeitgenössischem Design. „Bund 18“ wird ein voller Erfolg, die Adresse eine der angesagtesten im opulenten Nachtleben der Stadt, ausgezeichnet durch die UNESCO – ein Leuchtturm für den Umgang mit Shanghais Altbauten, der weit über die Stadt hinausstrahlt.
Andrea Destefanis,
Kokaistudios, Shanghai
„Wir mussten die baulichen, historischen und sozialen Werte dieses Kulturdenkmals berücksichtigen und gleichzeitig einer Marke mit ihren ganzeigenen Werten gerecht werden.“
2010 entdeckt schließlich der Hausgeräte-Hersteller Miele in Shanghais Innenstadt ein leerstehendes, marodes Gebäude, das gut geeignet scheint für einen geplanten Ausstellungsraum in China. Es ist Wenzhaos Stadtvilla mit den geschwungenen Dachsparren. Miele beauftragt Kokaistudios mit der Instandsetzung und dem Innenausbau – ein Spagat für die Architekten, sagt Destefanis: „Wir mussten die baulichen, historischen und sozialen Werte dieses Kulturdenkmals berücksichtigen und gleichzeitig einer Marke mit ihren ganzeigenen Werten gerecht werden.“ Kokaistudios macht sich an die Arbeit und auf die Suche nach Werten, die beide teilen. Und jene sind bald gefunden: auf der einen Seite ein Gebäude, das traditionelle chinesische Elemente mit innovativem Betonbau verbindet, auf der anderen Seite ein Unternehmen mit hundertjähriger Geschichte, das auf neueste Technologien setzt. Es entsteht ein Zusammenspiel von Alt und Neu, Tradition und Innovation.
– Auch im Innenraum begegnen sich Gegensätze, die sich ergänzen: Vergangenheit und Zukunft, Tradition und Innovation. Modernität bringt vor allem „Programm 3000 Njord” zum Ausdruck – ein Sitzmöbel, das perfekt auf die vorherrschenden Grundtöne abgestimmt ist. –
Die Architekten restaurieren und modernisieren die alte Stadtvilla, reparieren das imposante Dach, legen die Originalfassade frei, dämmen das Gebäude mit Vakuumgläsern in den historischen Fensterrahmen. Alle Elemente, die sie neu hinzufügen, so wie das Kupfergitter vor der Fassade oder die multifunktionale Box im Ausstellungsraum, wahren dabei einen respektvollen Abstand zu den historischen Oberflächen und berühren sie nicht. Im Inneren wird die Villa wieder als Wohnraum zum Leben erweckt und vollständig sowie hochwertig mit Wohnzimmer, Schlafzimmer und Küche eingerichtet. Besucher des Miele House gewinnen den Eindruck, bei einer modernen Shanghaier Familie zu Gast zu sein. Die feinfühlige Synthese von Alt und Neu ist Kokaistudios einmal mehr gelungen.
Und wie denken die Architekten rückblickend über ihren Neuanfang in Shanghai? „Nach dem Erfolg von ‚Bund 18’ haben wir beschlossen, noch etwas länger zu bleiben. 15 Jahre und über 200 Projekte später sind wir immer noch hier“, sagt Andrea Destefanis. Ein Glück für die wunderschönen Altbauten der Stadt.
Würde Fan Wenzhao heute durch die Straßen Shanghais schlendern und das elegante Haus mit den geschwungenen Dachsparren entdecken, es würde ihm sicher gefallen, ein Stück von seinem Shanghai darin wieder zu erkennen.
Miele House in Zahlen
Adresse: No. 82, Shi Men Yi Road, Jing’An District, Shanghai
Auftraggeber: Miele & Cie. KG | www.miele.cn
Architekt: Kokaistudios | www.kokaistudios.com
Fertigstellung: 2010
Fotos: Charlie Xia | Kusch+Co | Andrew Rowat
Autor: Myriam Guedey