Ohne Bücher könnte ich nicht leben

Verlegerin Dr. Marcella Prior-Callwey über eine jahrzehntelange Leidenschaft.

Petra Winter, Chefredakteurin der Zeitschrift »Madame«, hat kürzlich einen interessanten Satz gesagt. »Social Media ist wie Fast Food.« Kurzfristig macht es sehr zufrieden, es macht Spaß, es ist praktisch und beides gehört fest zu unserem Lebensstil. Langfristig und in hohen Dosen macht beides weder gesund noch glücklich.

Bücher sind meine Leidenschaft, ohne sie könnte ich nicht leben. Viele von ihnen begleiten mich schon Jahrzehnte, sie sind mit mir umgezogen von München nach Berlin, nach Oxford, nach London und zurück. Bei fast allen gedruckten Büchern (Erzählungen), die ich besitze, weiß ich genau, wann und wo ich sie gelesen habe. Schnitzlers »Schachnovelle« auf einem Campingplatz im Death Valley, »Inseln im Strom« in den Weihnachtsferien 1991 zuhause auf dem Sofa, Harry Potter Band 2 noch in der Buchhandlung Dussmann in Berlin – und so weiter. Ich lese Bücher durchaus auch auf dem iPad oder Kindle, ich finde das sehr praktisch, aber ich stelle fest, dass sie dann nicht richtig mir gehören, sie entgleiten mir, meine Erinnerung verschwimmt.

Ich habe vor vielen Jahren einen Vortrag von Frank Schirrmacher gehört, der mich sehr beeindruckt hat. Er hat ein sehr düsteres Bild einer digitalen, vernetzten und überwachten Welt gezeichnet, noch vor dem Zeitalter der Daten sammelnden Apps. Er sagte damals, zukünftig werden alle unsere Daten gesammelt. Natürlich auch beim digitalen Lesen, beim Surfen, beim Fernsehen, beim Einkaufen, beim Arbeiten. Nur das analoge Lesen wird weiter wirklich nur uns gehören, vielleicht irgendwann als letztes unabhängiges Gut. Das ist natürlich eine sehr fatalistische Sichtweise, aber ein interessanter Gedanke.

Gedruckte Bücher sind für mich aus einem anderen Grund lebensnotwendig. Und zwar deshalb, weil sie einen Anfang und ein Ende haben. In meiner sehr digitalen Welt, in der wir ständig von einem zum nächsten jagen, in Zeiten von unendlichen Google Suchergebnissen, unaufhörlich weiter scrollbaren Seiten, Social Media Feeds, Newslettern, Pushnachrichten, erfüllt mich ein Roman, ein Kochbuch, ein Sachbuch, das sich auf 200 Seiten beschränken muss, und mir zwischen seinen beiden Buchdeckeln alles Wichtige erzählen und alles andere weglassen muss, das ich am Ende zuklappe, ins Regal stelle, oder auch weiterschenke, über das ich danach spreche, oder mich still daran freue, mit großem Glück, Ruhe und Zufriedenheit.

Natürlich gilt das auch für die Themen mit denen ich mich beruflich beschäftige, Architektur, Design und Gestaltung. Natürlich nutzen wir alle Datenbanken, natürlich informieren wir uns über Portale und über die verschiedensten Dienste, aber wirkliche Inspiration finde ich offline auf Architekturspaziergängen zwischen den Seiten.

Buchempfehlungen von …

Aysin Ipekci

Ilka und Andreas Ruby (Hrsg.): Materials Book. Ruby Press, 2020
Ein Fachbuch mit fesselnden Essays und Studien zu Strategien und verantwortlichem Handeln in der Baubranche.

Ottfried Preußler: Krabat. dtv,2018, (Erstveröffentlichung 1971)
Ein Kinderbuch für Erwachsene.

Ömür İklim Demir: Muhtelif Evhamlar Kitabı. Yapı Kredi Yayınları, İstanbul, 2015.
Deutsche Übersetzung: Das Buch der entbehrlichen Gedanken.
Übersetzung von Gabriela Senti und Mathias Müller Senti. binooki, Berlin, 2018.
Ein außergewöhnlicher Erzählband urbanen Lebens im Wechselbad von Melancholie, Humor und Scharfsinn.

Aysin Ipekci
2000-2003 nach Abschluss des Architekturstudiums an der RTWH Aachen erste Berufsjahre in Köln, Istanbul und Tokio. 2003–05 als Dozentin der FH Düsseldorf zuständig für den Aufbau des internationalen Programms der Gastprofessoren. 2005-2012 wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Bergischen Universität. 2007 Gründung von STUDYO ARCHITECTs. Seit Januar 2010 Mitglied im Bund Deutscher Architekten BDA und Vorstandstätigkeit im BDA Köln. Seit 2012 Mitglied im AKJAA, Arbeitskreis Junger Architektinnen und Architekten. Regelmäßige Preisrichtertätigkeiten, seit 2017 Jurymitglied in der Sparte Architektur für den »Förderpreis des Landes Nordrhein-Westfalen für junge Künstlerinnen und Künstler« verliehen durch das Ministerium für Kultur in NRW. Veröffentlichungen, kuratorische Tätigkeit. 2020 Professur in Vertretung »Entwerfen und Konstruieren« an der Detmolder Schule für Architektur und Innenarchitektur. Veröffentlichungen, kuratorische Tätigkeit.

Monika Lepel

Karl-Heinz Land: Erde 5.0: Die Zukunft provozieren, Future Vision Press, 2018.
Ohne Angst nach vorne schauen: Mut machend, inspirierend, radikal. Unbedingt lesen und in zehn Jahren mit der Gegenwart vergleichen.

Felwine Sarr: Afrotopia, Matthes & Seitz, 2019.
Ein inspirierendes Musterbeispiel der Selbstbehauptung und Zurückeroberung. Eine Fernreise fürs Hirn mit überraschenden Formulierungen.

Hanns-Josef Ortheil: Die Erfindung des Lebens, btb, 2011.
Eine weite Reise durch ein ganzes Leben, das Rheinland, Italien, die Musik und die Liebe zum Leben auch in schwierigen Zeiten. Mein Lieblings-Ortheil. Feine Sprache.

Monika Lepel
Seit 1994 führt Monika Lepel mit Reinhard Lepel das Büro LEPEL & LEPEL. Bei L&L arbeiten Architekt*innen und Innenarchitekt*innen gleichberechtigt und gleich stark. »Beziehungen bauen« ist das zentrale Thema. Räume für die Wissensgesellschaft und Arbeitswelten wie für Microsoft, Google oder REWE digital bilden den Schwerpunkt. Die Arbeiten wurden vielfach ausgezeichnet: German Design Award, Red Dot Award, ICONIC Award, Deutscher Innenarchitekturpreis.

Karin Loosen

Wenn ich mich in Hamburg- Ottensen umschaue, setzt die Krise viel Eigeninitiative und Kreativität frei: kleine Buchläden entwickeln einen Lieferservice, Restaurants verkaufen Gutscheine für die Zeit nach der Krise – und der Wunsch kleine Läden zu unterstützen wächst. Die müssen sich allerdings auf Online-Handel einstellen, dann haben sie eine Chance.

Lucy Bellamy: Von Null auf Garten. Eugen Ulmer, 2018.

Jörg Pfenningschmidt, Jonas Reif: Hier wächst nichts. Notizen aus unseren Gärten. Eugen Ulmer, 2019.

Meike Winnemuth: Bin im Garten. Ein Jahr wachsen und wachsen lassen. Penguin, 2019.

Zur Beruhigung der Nerven gleich drei gute Gartenbücher.

Christian Sauer: Draußen gehe. Inspiration und Gelassenheit im Dialog mit der Natur. Verlag Hermann Schmidt, 2019.
Lesestoff von einem meiner absoluten Kreativ-Lieblingsverlag aus Mainz.

Bianca Bosker: Das große Weinmaleins. Wie ich von besessenen Sommelier alles über Wein lernte. Piper, 2019.
Weil es ganz ohne Alkohol im Moment ja auch nicht geht …

Stanley Kubrick: Barry Lyndon, 1975
Schließlich ein Film-Tipp: Unglaubliche Kameraeinstellungen, passt irgendwie sehr gut zum Stillstand gerade, eine Aneinanderreihung von barocken Stillleben während des Siebenjährigen Krieges, unglaublich langsam erzählt – und in Teilen bei Kerzenlicht gedreht.

Karin Loosen
Karin Loosen, geboren 1965 in Koblenz-Moselweiß, ist Architektin und Stadtplanerin. Sie studierte Architektur an der Technischen Hochschule Darmstadt. Seit 1996 führt sie zusammen mit Rudolf Rüschoff und Thomas Winkler das Hamburger Architekturbüro LRW Architekten und Stadtplaner mit den Schwerpunkten Wohnungs- und Städtebau, 2018 kam Kilian Jonak als vierter Partner dazu. Als Preisrichterin ist sie in zahlreichen Wettbewerbsverfahren tätig.
Karin Loosen war von 2008 bis 2012 1. Vorsitzende des Bund Deutscher Architekten und Architektinnen BDA der Freien und Hansestadt Hamburg e. V.. 2014 wurde sie zur Präsidentin der Hamburgischen Architektenkammer gewählt und ist damit die erste Frau in diesem Amt seit der Kammergründung im November 1965. Sie ist Vorstandsmitglied der Bundesarchitektenkammer, Beiratsmitglied der HafenCity Hamburg GmbH und seit Mai 2017 stellvertretende Vorsitzende des Beirates der Bundesstiftung Baukultur. Seit Mai 2019 ist sie Mitglied der Stadtgestaltungskommission München.

Patrick Lüth

Yvon Chouinard: Let My People Go Surfing. The Education of a Reluctant Businessman. Penguin, 2006.
Yvon Chouinard erzählt unterhaltsam, wie er aus seiner Lebensphilosophie ein erfolgreiches Unternehmen formte. Nicht zuletzt dadurch, dass er seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern viele Freiheiten zugestand. Diesen Weg finde ich sehr inspirierend, vermutlich auch deswegen, weil das Vertrauen in die Eigenverantwortung und in die Kreativität jedes einzelnen ebenso zur zentralen Philosophie von Snøhetta gehört.

Andreas Nierhaus: Los Angeles Modernism Revisited: Häuser von Neutra, Schindler, Ain und Zeitgenossen, Park Books, 2020.
Andreas Nierhaus und David Schreyer werfen einen erfrischenden, neuen Blick auf die Architekturklassiker der kalifornischen Moderne – eine Perspektive, die auch interessante Aspekte für die Arbeit heute aufzeigen. Und  David Schreyers Fotografien faszinieren und inspirieren mich.

Patrick Lüth
Der Architekt Patrick Lüth leitet seit 2011 das Snøhetta Studio in Innsbruck. 2005 begann er nach seinem Architekturstudium in Innsbruck als Praktikant im Büro in Oslo. Dort war er an zahlreichen internationalen Architektur-Wettbewerben und an einigen der spektakulärsten Design-Einreichungen von Snøhetta beteiligt.
Das Studio Innsbruck baute er zu einem Büro mir rund 30 Mitarbeitenden aus. Er zeichnet unter anderem verantwortlich für die Swarovski-Projekte »Kristallwelten Evolution« und Manufaktur, ein innovativer Bau für Produktion und kreative Zusammenarbeit, für die Design-Studie für ein neues Museumsquartier in Bozen, den Masterplan für ein neues Stadtquartier in Budapest, die Konversion des Areals einer alten Tabakfabrik in Verona sowie für Hotel- und Tourismusprojekte.