Berlinische Galerie Berlin
Kusch+Co

Berlin, auf ein Neues!

Mitten in Kreuzberg, in einem alten Glaslager aus den 60er-Jahren, hat die Berlinische Galerie ihr Zuhause. Die Geschichte des Museums spiegelt dabei auch die Geschichte Berlins: Sie ist geprägt von Brüchen, Umbrüchen und Erneuerungen. Unter der Leitung von Thomas Köhler konnte sich die Institution mittlerweile als feste Größe in der Berliner Kulturlandschaft etablieren – mit steigenden Besucherzahlen! Im Sommer 2014 dann der Schock: Wegen einer defekten Sprinkleranlage muss das Haus für mehrere Monate schließen. Ein Neustart. Schon wieder.

– Die Berlinische Galerie widmet sich in Berlin entstandener Kunst von 1870 bis heute, sowohl mit einem regionalen und internationalen Schwerpunkt als auch mit einem interdisziplinären Ansatz: Fotografie, Architektur und Grafik gehören ebenfalls zur Sammlung. –

Herr Köhler, wie haben Sie diese Hiobsbotschaft aufgenommen?

Zunächst hat mich das schon ein paar schlaflose Nächte gekostet. Doch bald stand fest, dass die Arbeiten nicht bei laufendem Betrieb durchgeführt werden können, da der ganze Staub und Schmutz die Kunst zu sehr gefährden würden. Also haben wir uns entschlossen, ein paar Monate komplett zu schließen. Und sobald dies klar war, haben wir uns vielmehr darüber Gedanken gemacht, wie wir diese Zeit sinnvoll überbrücken können.

Welche Herausforderungen bringt so eine mehrmonatige Zwangspause mit sich?

Am wichtigsten ist natürlich, im Gespräch zu bleiben und dafür zu sorgen, dass es immer wieder Nachrichten gibt, die das Haus verbreiten kann. Dementsprechend haben wir für die Zeit der Schließung eine Kommunikationsstrategie entwickelt. Hier spielen unsere Website und Social-Media-Kanäle eine große Rolle, aber auch Projekte wie das „Küchenmonument“ – eine temporäre Architektur von raumlaborberlin, die für Veranstaltungen vor dem Museum aufgebaut, oder vielmehr aufgeblasen, wird. Eine sehr beeindruckende Installation! Außerdem nutzen wir Themen für die Kommunikation, die normalerweise eher im Hintergrund bleiben: Forschung und Digitalisierung zum Beispiel, es geht also um die Arbeit hinter den Museumskulissen.

Thomas Köhler, Direktor der Berlinischen Galerie

„Ich glaube, es ist sehr wichtig, dass wir als Museum nicht abweisend oder elitär erscheinen, sondern dass wir eine möglichst offene Kommunikationsplattform sind.“

Mit Projekten wie dem „Küchenmonument“ tritt das Museum vor die eigene Haustür. Werden Sie diesen Ansatz, der ja eigentlich aus der Not geboren wurde, nach der Pause weiterverfolgen?

Die Eroberung des Außenraums werden wir sicher weiter betreiben! Tatsächlich hat sich gezeigt, wie gut unser Umfeld funktioniert. Man ist damals schon ein Wagnis eingegangen, als man die Berlinische Galerie in einem reinen Wohngebiet eingerichtet hat. Unser Programm im Freien hat nun mit einem Mal ganz andere Leute angelockt. Es war geradezu rührend zu sehen, wie niedrig die Schwellenangst war. Viele Menschen kamen vorbei und haben einfach mitgemacht, mitgekocht, mitgegessen oder mitgebaut. Ich glaube, es ist sehr wichtig, dass wir als Museum nicht abweisend oder elitär erscheinen, sondern dass wir eine möglichst offene Kommunikationsplattform sind.

– Während der Sanierungspause diente unter anderem die begehbare Installation „Küchenmonument“ – entwickelt von raumlaborberlin – vor dem Museum für Veranstaltungen, um hier gemeinschaftlich zu kochen, zu diskutieren und Vorträgen zu lauschen. –

Die erste Ausstellung nach der Wiedereröffnung im Frühjahr 2015 war eine Schau zur Architektur im Berlin der 60er-Jahre. Weshalb haben Sie dieses Thema gewählt?

Die Berlinische Galerie ist nicht nur ein Kunstmuseum, sie ist auch für den Bereich der Architektur zuständig. Und dieser Teil der Sammlung verdient durchaus mehr Aufmerksamkeit, zumal unsere Bestände einfach unglaublich sind. Die Kuratorin Ursula Müller hat eine sehr gute Spürnase bewiesen und viel interessantes Material entdeckt. So eine Ausstellung hat schließlich nicht nur mit gebauter Form beziehungsweise Architektur zu tun, sondern auch mit dem kulturellen Gedächtnis einer Stadt. Viele der 60er-Jahre-Bauten – insbesondere im Ostteil Berlins – sind ja schon wieder verschwunden. Für die Berlinische Galerie ist diese Ausstellung außerdem insofern eine Art Neuanfang, als es die größte Architekturausstellung war, die wir je aus unseren Beständen zusammengestellt haben. Und dieser Bereich soll auch in Zukunft immer wieder mit größeren Ausstellungen auftreten.

– Auch nach der Wiedereröffnung im Frühjahr 2015 lassen sich im Foyer, Café, den Büros und Depots der Berlinischen Galerie wieder die Sitzmöbel aus dem „Programm 1100 Trio, Modell 1164/2” mit gepolsterten Sitzschalen, von Kusch+Co finden, auf denen sich die Besucher Platz für eine Verschnaufpause gönnen können. –

In den Tiefen der Sammlung warten sicher noch viele unentdeckte Schätze. Welchen möchten Sie selbst einmal ins Licht der Ausstellungsräume heben?

Vom späten 19. Jahrhundert bis in die 30er-Jahre des 20. Jahrhunderts hinein gab es in Berlin eine Firma für Glasmosaiken: Puhl & Wagner. Jene hat viele öffentliche Aufträge bekommen und für diese Mosaikentwürfe damals angesagte bildende Künstler angefragt. Diesen Bestand würde ich mir sehr gerne einmal genauer ansehen. Ich könnte mir auch vorstellen, dass daraus eine Kombinationsausstellung entsteht: einerseits die Mosaikarbeiten – die Bauornamentik, wenn man so will –, andererseits die entsprechenden Werke der bildenden Künstler. So ließe sich gut zeigen, wie umfassend die Querverbindungen im Berlin jener Zeit tatsächlich waren.

Vielen Dank für das Gespräch!

Thomas Köhler, Jahrgang 1966, schloss 1994 sein Studium der Kunstgeschichte, Klassischen Archäologie und Romanistik in Frankfurt am Main ab und promovierte 2003 zum Dr. phil. an der Universität Darmstadt. Er war wissenschaftlicher Mitarbeiter am Museum für Moderne Kunst in Frankfurt am Main, „curator in residence“ am Whitney Museum of American Art in New York, Programmdirektor der documenta X in Kassel, kommissarischer Leiter des Kunstmuseums Wolfsburg und leitete ab 2008 die Sammlungen sowie das Ausstellungsprogramm der Berlinischen Galerie als ihr stellvertretender Direktor. Seit 2010 ist er Direktor der Berlinischen Galerie.

Berlinische Galerie in Zahlen

Adresse: Alte Jakobstr. 124-128, 10969 Berlin
Auftraggeber: Berlinische Galerie > www.berlinischegalerie.de
Gründungsjahr: 1975
Ausstellungsfläche: 4.600 Quadratmeter
Fotos: Nina Straßgütl | Harry Schnitger | Kusch+Co | raumlaborberlin/Amin Akhtar | raumlaborberlin

Autor: Myriam Guedey