Die Bauindustrie steht vor einem massiven Wandel

Professor Achim Menges über die Chancen von Forschung in der Architektur

Prof. Dipl.-Ing. Achim Menges,
Director Institute for Computational Design and Construction, Stuttgart

Sie führen das Institute for Computational Design in Stuttgart. Was treibt Sie, wenn Sie neuen Konstruktionen nachgehen? Sehen Sie sich als Entdecker, als Forscher?

Ich sehe mich als Architekt und Forscher. Wir sollten nicht vergessen, dass die Architektur als akademische Disziplin an Universitäten verortet ist. Da gehört nach meinem Verständnis die Forschung zentral dazu. Ich empfinde sie als Privileg und Bereicherung!

Maison Fibre
17th International Architecture Exhibition – La Biennale di Venezia 2021

Werden Ihre Anregungen denn aufgegriffen? Wie gelingt der Transfer von der Forschung in die breite Anwendung?

Der Wissenstransfer auf der methodischen und technischen Ebene wird durchaus aufgegriffen, beispielsweise in einer Vielzahl von Industriekooperationen und Spin-Off-Firmen. Gemeinsam mit Experten aus den Sozialwissenschaften kümmern wir uns zunehmend auch um die nicht-technischen Barrieren, die einer breiteren Annahme der technischen Möglichkeiten im Wege stehen.

Eine solche Barriere liegt manchmal auch in der Begrifflichkeit. Alle sprechen von Nachhaltigkeit. Wäre Suffizienz nicht der genauere Ausdruck: Reduktion der Materialmengen ohne Einbußen bei der Leistung? Was schwebt Ihnen da vor?

Ich denke, es geht darum, dass das Bauschaffen, wie wir es kennen, nicht zukunftsfähig ist, da es einen massiven Energie- und Ressourcenverbrauch verursacht, erheblich zu CO2 Emissionen beiträgt und die Hälfte des globalen Müllaufkommens verursacht. Besonders wichtig ist dabei zu beachten, dass die meisten Studien zeigen, dass sich die erheblichen Umweltfolgen des Bauens zunehmend vom Gebäudebetrieb auf die Bauerstellung verschieben, so dass diese perspektivisch die Mehrheit des Energie- und Ressourcenverbrauchs in der Gesamtbilanz ausmacht.

Urbach Tower
Gartenschau Remstal, 2019

Ihr Ansatz?

Hier greifen wir an und untersuchen, wie digitale Technologien ein konstruktives Umdenken ermöglichen, ohne dass wir ein erhebliches Mehr an Material in Kauf nehmen.

Ein anderer Begriff wäre Cradle-to-Cradle (C2C). Wie schätzen Sie die Entwicklung ein? Gibt es ein Projekt, das da vorbildlich wäre?

Selbstverständlich müssen wir den gesamten Lebenszyklus betrachten und ein hohes Maß an Zirkularität anstreben. Das ist ein wichtiger Bestandteil, der auch durch digitale Technologien anders und umfassender gedacht werden kann.

livMatS Pavilion
Botanischer Garten Freiburg, 2021

Anders gefragt: Zwei Jahrzehnte Materialhype liegen hinter uns – passt das überhaupt noch in eine Welt, die reversibel denkt und nachhaltig? Gibt es nachhaltige Materialien überhaupt?

Natürlich gibt es nachhaltige Materialien, sowohl solche, die extrem leistungsfähig und dauerhaft sind, als auch solche, die natürlich nachwachsen, und das am besten in relativ kurzen Erntezyklen. Hier ist jeweils ein genaues Hinschauen erforderlich.

Blicken wir auf die die Bauindustrie: Trotz Vorfertigung scheint manche Baustelle noch immer wie im Mittelalter organisiert.

In meinen Augen steht die Bauindustrie vor einem massiven Wandel, denn sie steckt trotz wirtschaftlicher Konjunktur in einer erheblichen Produktivitäts- und Umweltkrise. Dies ist auch ein Ausdruck des Mangels an Forschung und Entwicklung, sowohl in der privatwirtschaftlichen Bauindustrie als auch im akademischen Kontext.

BUGA Wood Pavilion
Bundesgartenschau Heilbronn, 2019

Und wo liegt dann der Schlüssel für eine Wende beim Bauen? Es mangelt ja nicht an Intelligenz. Sind es die Rahmenbedingungen? Die Akteure?

Es mangelt vor allem an Forschung, gerade auch im Rückblick: Führen wir uns noch einmal vor Augen, dass das Bauschaffen 40 Prozent des weltweiten Energie- und Ressourcenverbrauch verursacht, erheblich zu CO2 Emissionen beiträgt und 50 Prozent des globalen Müllaufkommens produziert. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft investiert gerade einmal ein Prozent ihres Etats in alle dem Bauen zuzuordnenden Disziplinen, also von der Architektur, dem Städtebau bis hin zum Bauingenieurswesen, Bauwerkstoffen und anderen Bereichen, was einem Siebtel des Fachdurchschnitts entspricht.

Das liegt …

… nicht an einer Priorisierung, sondern vor allem am Mangel an Forschungsvorhaben. Wir haben zwei Generationen im Bauwesen weniger geforscht als in allen anderen Disziplinen, was wohl maßgeblich zu den vorgenannten Krisen beigetragen hat. Der Schlüssel muss also zweierlei umfassen: langfristige Grundlagenforschung einerseits, und kurzfristig das entschlossene Adressieren der nicht-technischen Barrieren, die jedem technologisch möglichem Wandel im Bauwesen im Wege stehen.

Institute for Computational Design
and Construction, Stuttgart

www.icd.uni-stuttgart.de