Archaische Momente schaffen

Michael Sieger über Elektronik im Bad, die neue Architekturstudie Personal Sensory Spaces, klare Konzepte und das Glück, einen Longseller im Portfolio zu haben.

Ärgern Sie sich über mangelnde Hygiene in (halb-)öffentlichen Toiletten?
Es gibt, glaube ich, nichts Unangenehmeres als ein dreckiges, riechendes oder kaputtes WC. Vor über 15 Jahren haben wir uns schon mal mit dem Thema »Bahnhofsklo« sehr kritisch auseinandergesetzt und spannende Lösungen entwickelt. 

Wird sich da etwas durch Corona ändern?
Auf jeden Fall. Es ist davon auszugehen, dass es eine erhöhte Sensibilität in diesem Bereich geben wird. 

Warum sind Toiletten immer noch kritische Punkte, wenn es um gute Gestaltung geht?
Die Toilette beziehungsweise das Bad ist einer der komplexesten Räume der Gestaltung, Planung und späteren Realisierung in einem Haus, da hier viele unterschiedliche Anforderungen zusammenkommen. Zudem sind Architekten oft nicht gewillt, mehr Zeit als nötig in diese komplexe Planung zu investieren.

Das müssen Sie bitte kurz erklären.
Der Aufwand für Architekten ist bei komplexen Bauvorhaben oft so hoch, dass er sich selten rechnet. In Zukunft werden Premium-Bäder daher vor allem vorgefertigte Bäder sein. Jeder Stecker, jeder Elektroschalter ist per Werk auf den Millimeter genau dort, wo er sitzen soll. Schließlich geht es um garantierte, gleichmäßig hohe Qualität, beispielsweise mit einem detaillierten Fliesenplan. Derartiges werden wir mit acht Gewerken auf der Baustelle nie erreichen. Es gibt auch immer weniger gute Handwerker. Zudem lässt sich eine perfekt vorkonfigurierte Plattform leicht an Veränderungen vor Ort anpassen. Das geht bis zur Modernisierung, die über solche Systeme einfacher wird, bis hin zur Demontage und zum Recycling.

Damit wären wir beim Thema. Sie haben etwas Neues entwickelt: PSS, Personal Sensory Spaces, ein System für halböffentliche Toiletten, bei der Toilette und Waschplatz eine Einheit bilden. Was genau gab den Anstoß für dieses Konzept, das in der Summe nicht mehr Platz verbraucht als bisherige Lösungen?
Es ging um mehr Komfort und Intimität, um ganz persönliche Bedürfnisse – und darum, einen neuen Standard zu definieren. Schon 2005 sahen wir die Notwendigkeit, unseren Gästen einen solchen Rückzugspunkt anzubieten und unsere WC-Anlagen dementsprechend neu zu gestalten.

Besucher haben so einen Raum für sich, einen Moment Auszeit, nicht nur ein WC, sondern ein Bad/Spa-Feeling mit schönen Materialien, Duft, Musik, großem Spiegel, Marmorwänden und ein wenig Technik: eine berührungslose Armatur, ein Bildschirm im Spiegel, Lichtszenarien – ein multisensorischer Erlebnisort.

Personal Sensory Spaces. Copyright: sieger design

Klingt nach viel Technik …
Die Elektronik, die wir im Bad einsetzen wollen und werden, muss sich zurücknehmen – sich zum Beispiel auch von Kindern sicher anwenden lassen. Gerade im halböffentlichen und öffentlichen Bereich gibt es viele unterschiedliche Nutzer, so dass Lösungen entsprechend maximal verständlich sein sollten.

Was heißt das konkret?
Licht schaltet sich automatisch an, sobald man die Kabine betritt. Und es wird eine akustische Untermalung geben. Also Musik. Ansonsten haben wir viele mechanische Armaturen für Dornbracht gestaltet, keine berührungslosen. Technik kann, muss aber nicht sein. Je nach persönlicher Referenz lässt sich dies auch mit manuellen Lösungen erreichen. Grundsätzlich entscheidend sind ein sinnvoller Grundriss und eine qualifizierte Einteilung.

Sie erwähnten gerade Dornbracht. Ihre Zusammenarbeit begann vor über 30 Jahren mit der Designserie Domani. Was macht die Verbindung zu Dornbracht so besonders?
Mein Vater hat 1985 vorgelegt, inzwischen sind fast zwei Dutzend Serien entstanden. Das ist eine außergewöhnliche Zusammenarbeit, aufgrund der Intensität. Es vergeht kaum eine Woche, in der wir nicht im Hause Dornbracht sind – oder umgekehrt. Andreas Dornbracht ist einer der wenigen Kunden, mit denen wir uns duzen. Das ist schon mehr eine Freundschaft.

Viele denken dabei an die Tara …
… die ja eigentlich für Duravit entwickelt wurde. Damals schien eine Rohrauslaufarmatur nicht zu Dornbracht zu passen, aber die Nachfrage wurde immer größer, bis sie ins Sortiment aufgenommen wurde. Es dauerte nochmals fünf Jahre, bis sie durch die Decke ging. Sie ist seit über 20 Jahren ein Bestseller und eine wichtige Größe im Portfolio. Die Tara sorgte dafür, dass sich Dornbracht nur noch mit der Herstellung und Vermarktung von zeitgenössischem Design im Armaturenbereich beschäftigte.

Sie brachten die Moderne nach Iserlohn …
… gewissermaßen. Zeitgleich stolperte mein Bruder in einem Artikel über die Meiré-Brüder, die seither stark zum Erfolg beitrugen und das Level der Kommunikation auf Gucci- und Prada-Niveau hoben. Das sucht in der Sanitärbranche seinesgleichen.

Wie muss man sich das vorstellen: Die Zusammenarbeit von Dornbracht, Meire und Sieger Design?
Wir haben uns ergänzt und gepusht. Mir fehlt da natürlich die Objektivität, aber mir scheint, die Marke hat sich um die Weiterentwicklung des Bades am meisten verdient gemacht. Es geht um Gesunderhaltung durch Wasser, wir sprechen auch über Kunst. In unserem Kundenportfolio ist Dornbracht in dieser Hinsicht einmalig, bereit, neue Wege zu gehen, auch wenn es sich nicht abzeichnet, dass etwas gleich ein Umsatzrenner wird. Inzwischen ist Andreas Dornbracht fast genauso präzise wie wir und lässt für einen Millimeter oder zwei schon mal einen neuen Prototyp bauen.

MEM Refinement. Copyright: Dornbracht

Und der Wettbewerb?
Der hat natürlich entsprechend nachgezogen, wie in allen Branchen. Heute gibt es Dutzende Anbieter für saubere Armaturen. Wir haben aber den Anspruch, dass sich unsere gemeinsamen Produkte in den Proportionen, der Verarbeitung und den Details nochmals unterscheiden. In social media sieht man, wo die Produkte eingebaut werden, es gibt Beispiele, die die Kataloge zwangsläufig auch mal übertreffen, das sind von Architekten geplante, kreative Bäder.

Gutes Design nur zu wollen, reicht dafür wohl nicht.
Wir alle haben über den Tellerrand hinausgedacht. Da geht es nicht um den Deckungsbeitrag, sondern um die Frage, was wir eigentlich tun. Und was das Produkt bewirken soll. Menschen wollen ja keine Armatur kaufen, sondern Wasser nutzen. Daraus ist ein Prestige-Produkt geworden.

Um wirkliche Innovation zu schaffen, muss man sich mit den Inhalten auseinandersetzen: Was mache ich? Und wie hat man das früher gemacht? Das, was schließlich so selbstverständlich aussieht, hat meist einen langen Weg an Diskussionen und Tests hinter sich gebracht. Dementsprechend braucht es auch einen Partner, mit dem man über kleinste Winkel, Millimeter und technische Errungenschaften diskutieren kann.

Sehen Sie sich als Hausdesigner von Dornbracht?
Das sind wir sicherlich. Aber es ist schon ganz gut, dass wir nicht In-house arbeiten, weil wir so einen anderen Blick haben und, da wir auch für andere Unternehmen arbeiten, eine ganz andere Perspektive mitbringen. Das schützt davor, betriebsblind zu werden. Eigenlob stinkt, aber wir nehmen für uns schon in Anspruch, mit Dornbracht Meilensteine gesetzt zu haben.

Dornbracht zeichnet eine gewisse Geometrie aus.
Ich möchte mich nicht auf eine formale Sprache reduzieren lassen. Produktgestaltung reagiert auf die Zeit und antizipiert kommende Bedürfnisse. Es muss in der Zeit das Richtige getan und entwickelt werden. Dafür braucht es eine intensive Auseinandersetzung mit vielen Dingen, auch mit zeitgenössischer Kunst. Das hat so manchen unternehmerischen Horizont erweitert.

Was fehlt uns eigentlich noch im Bad? Manchmal fällt es schwer, sich Steigerungen vorzustellen …
Zeit fehlt. Die Zeit, alles wirklich zu nutzen. Mehr Auseinandersetzung mit den Dingen und der Frage, warum man das macht. Im Bad ist eigentlich alles gesundheitsrelevant. Da geht noch was. Wir werden Orte suchen, wo wir archaische Momente erleben – da könnte etwa in der Dusche ein Holzeimer mit kaltem Wasser stehen und wir gießen mit einer schönen Schöpfkelle Wasser über die Arme.