J. Mayer H.
Der Maßstab macht den Unterschied
Aus dem KAP Magazin #8

Standort: Berlin
Gründungsjahr: 1996
Inhaber: Jürgen Mayer H.
Schwerpunkte: Architecture, Design, Research
Mitarbeiter: ca. 20
www.jmayerh.de

Manchen Gebäuden gelingt sie einfach, die Quadratur des Kreises: städtebaulich angenehm konservativ und dennoch architektonisch innovativ zu sein – dies gilt beispielsweise für ein aufsehenerregendes neues Wohnhaus in Berlin-Mitte, entworfen von Jürgen Mayer H.

Es ist eine »Neuinterpretation des klassischen Berliner Wohnhauses« – allerdings der besonderen Art. Denn obwohl der Typus des an den Blockrand schließenden Mietshauses in Berlin gut eingeführt ist, ist es die Fassadengestaltung, die völlig aus dem spröden Berliner Rahmen fällt: Eine vielfach gewölbte, vor eine Glasfassade gehängte Schicht aus dreidimensional gefrästen Aluminium-Lamellen dient bei dem Wohnhaus in der Johannisstraße unweit der »Kalkscheune« zur Verschattung. Diese Schicht lenkt geschickt Tageslicht in die Innenräume und lässt das Haus im braven Berliner Blockrand dennoch wie einen extraterrestrischen Zyklop wirken. Die seltsam geschmolzen wirkenden weichen Formen, ein Markenzeichen des Architekten, finden sich auch bei seinem neuesten Werk, einer »OLS House« genannten Villa bei Stuttgart. Dieses ungewöhnliche, luxuriöse Einfamilienhaus mit 500 Quadratmetern Fläche liegt auf einem Hanggrundstück mit weitem Blick in ein Tal. Die Bauherren wünschten sich einen Neubau, der diesen Ausblick auch im Inneren erlebbar macht. Die fließenden Räume, die Jürgen Mayer H. dem Haus eingeschrieben hat, öffnen sich visuell entsprechend zum Tal hin mit raumhohen Fenstern. Zusätzlich sind alle Böden mit einem spiegelglatten Estrich versehen, der dem Haus seine coole James-Bond-Ästhetik gibt.

© Fotos: DavidFranck

Für einen Architekten seiner Generation ist Jürgen Mayer H. auch außerhalb der deutschen Landesgrenzen ungewöhnlich erfolgreich: in Spanien, Dänemark und Georgien konnte der Wahlberliner bereits bauen – und auch im benachbarten Belgien. Ausgerechnet in der Provinzstadt Hasselt hat er einen spektakulären Justizpalast entworfen, der nicht nur wegen seiner prominenten Lage am Bahnhofsplatz sofort zum neuen Wahrzeichen der Stadt avancierte. Mit 13 Etagen ist er von der gesamten City aus gut sichtbar, auch weil seine skulptural-baumhafte Form auf ungewöhnliche Art drei unterschiedliche Volumen miteinander verschmelzen lässt. Als Inspiration für seinen Entwurf dienten Mayer H. die Haselnussbäume im Stadtwappen von Hasselt und die mittelalterliche Tradition, Gericht unter Bäumen abzuhalten. Vom Panoramarestaurant in der Spitze des Justiz-Turmes in 64 Metern Höhe kann man auf die ganze Stadt blicken – nur hier sieht man ihr neues bauliches Merkzeichen dann nicht.
Das Büro J. Mayer H. Architekten beschäftigt heute fast zwei Dutzend Mitarbeiter, die sich neben Architekturauch mit Kunst- und Design-Projekten beschäftigen. Im Büro in der Knesebeckstraße in Berlin-Charlottenburg arbeitet man in einer Altberliner Wohnung mit Vorliebe an der Schnittstelle zwischen diesen Bereichen.

»Meine künstlerischen Arbeiten habe ich nie unabhängig von der Architektur gesehen«, sagt Jürgen Mayer H. etwa, der einst Bildende Kunst studieren wollte, bevor er sich mehr für dreidimensionale Objekte interessierte und schließlich für ein Architekturstudium entschied. Der Hauptunterschied zwischen Kunst und Architektur liegt für ihn nur im Maßstab – und der Geschwindigkeit: In der freien Kunst lassen sich Ideen schneller umsetzen als in der Baukunst.

»Meine künstlerischen Arbeiten habe ich nie unabhängig von der Architektur gesehen«

Jürgen Mayer H. (Jahrgang 1965) ist der Maßstab seiner Aufgaben weniger wichtig, als dass Architekt und Auftraggeber die Neugier am Abenteuer Architektur teilen.

Um Mayer H.’s ungewöhnliche Raumideen und eigenwillige Formensprache umzusetzen, bedarf es einer produktiven Komplizenschaft. Der organische Formenkanon, für den Mayer H. heute weltberühmt ist, wurde einst von dem deutsch-jüdischen Meister der 1920er-Jahre-Architektur, Erich Mendelsohn, inspiriert. Dessen Kaufhaus Schocken in Stuttgart von 1928 hat Mayer H. einst dazu gebracht, Architektur studieren zu wollen. Mendelsohn war der Meister der einmalig eleganten geschwungenen Fassaden mit horizontalen Fensterbändern – die damals noch völlig ohne Computerprogramm entworfen und baubar gemacht wurden. Selbst sehen hat Mayer H. dieses Meisterwerk leider nicht mehr können, denn es wurde 1960 ohne Not abgerissen. Aber auch für Mayer H.’s Baukunst spielt die mediale Vermittlung eine zentrale Rolle. Denn kaum einer wird sein Erstlingswerk aus eigener Anschauung kennen. Des Architekten erster großer Auftrag steht in seiner schwäbischen Heimat: Mit dem 2001 eröffneten »Stadthaus« in Ostfildern wurde Jürgen Mayer H. bekannt.

Es zeigt exemplarisch sein Interesse am Potenzial von Materialien, die, Zitat, »gezielt ungewöhnlich eingesetzt werden, um Sehgewohnheiten in Frage zu stellen, und so Irritationen auslösen«.

Eine Holzkonstruktion aus vorgefertigten Elementen für die Mensa in Karlsruhe wurde mit einer vollflächig gummiartigen Kunststoffschicht aus Polyurethan überzogen, geboren aus dem Gedanken der Kostenersparnis und des Witterungsschutzes für das Holz. Dieser PolyurethanÜberzug wurde bis dahin nur für Dachabdeckungen und Brückensanierungen verwendet und ermöglicht formal das »Verschleifen« von Wand, Decke und Fußboden, so das ein »elastischer Raum mit kontinuierlichen Oberflächen« geschaffen wird, beschreibt der Architekt.

Wie Kumulus-Wolken ist sind hingegen die Silhouetten des der »Danfoss Universe«-Gebäudes geformt, das die der Architekt 2007 in einem Technikpark in Nordborg/Dänemark gebaut hat. Die wechselnden Ausstellungen sollen Jugendlichen digitale Technologien auf spielerische Weise nahe bringen und in eine wortwörtliche »Entdeckungslandschaft« entführen.

Noch exotischer muten die Formen von Mayer H.s Bauten in Georgien an. Ausgerechnet in diesem Land gibt es die höchste Konzentration von Gebäuden mit der Mayer H.’schen Architekturästhetik: eine Grenzstation, ein Flughafenterminal, eine Polizeistation und ein Bürgerhaus, das an mittelalterliche Wehrtürme erinnert. An der georgisch-türkischen Grenze sticht sein gekurvter Bau einer Grenzkontrollstation aus dem ländlichen Kontext hervor. Wie ein gebautes Willkommenszeichen für das aufstrebende »neue Georgien« bietet der exaltierte Neubau weite Terrassen mit Aussicht auf das nahe Schwarze Meer.

Des Baumeisters Opus Magnum bleibt einstweilen jedoch seine Wolkenpromenade in Sevilla. Die »Metropol Parasol« genannten hölzernen Riesensonnenschirme über der Plaza de la Encarnación in der spanischen Stadt basieren auf einem orthogonalen Steckraster aus Holzelementen. Etwa 3.000 Kubikmeter finnische Fichte wurden in den sechs Riesenstützen und dem Dach verbaut, das wiederum wie die Mensa in Karlsruhe mit cremefarbenem Polyurethan überzogen wurde. Das Wolkendach, eine riesige urbane Skulptur, wurde zum neuen Wahrzeichen der Stadt: in bis zu 28 Meter Höhe kann man auf den Schirmen vom PanoramaRundgang auf die Dächer der Altstadt schauen – und träumen.

Von Ulf Meyer