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ZIRKULÄRES BAUEN: BAUEN NEU DENKEN

ALLE GUTEN DINGE SIND VIER.
Der letzte von vier KAP-Newslettern zum ZIRKULÄREN BAUEN.
Das war und ist ein spannender Ritt durch nahezu alle Facetten des Zirkulären Bauens. Spannend, die Beiträge und Einlassungen, die sich allesamt dafür engagieren, dass unsere verbauten Ressourcen eine Wiederverwendung erfahren. Wie und welche Wege und Möglichkeiten es hier und heute bereits gibt, das zeigen die insgesamt 4 Folgen mit rd. 20 Beiträgen. Wir bedanken uns bei allen Teilnehmer:innen, die sich mit Herz, Sachverstand und Hingabe der Kreislaufwirtschaft verschrieben haben. Die Umsetzung mag herausfordernd sein, mit allen Ecken und Kanten. Und doch bieten sich schon heute enorme Chancen, die Transformation hin zu einer nachhaltigeren Bauweise aktiv zu gestalten.
Die Vorarbeit ist längst geleistet. Viele kluge Köpfe aus unterschiedlichen Bereichen haben dazu beigetragen. Wir müssen es nur tun!
Lesen Sie heute die Beiträge von Manuel Ehlers, Triodos Bank N.V.; Verena Brehm, Oliver Seidel, Felix Rebers, Cityförster architecture + urbanism; Sebastian Schels, Ratisbona Handelsimmobilien; Marcel Gröpler, Lindner Group und Ephraim Wille, Laarakkers, Rückbau & Recycling.
Das Redaktionsteam
Gerhard G. Feldmeyer
Architekt, Climate Responsible Strategies, Botschafter Madaster Foundation
Andreas Grosz
Initiator und Leiter KAP Forum für Architektur & Stadtentwicklung
Tobias Groß
Partner+Gestalter KAP Forum, Gründer und Leiter Studio für Gestaltung, Köln
Die Autor:innen
Kim Le Roux, Margit Sichrovsky, Wiebke Ahues, LXSY Architektur | Thomas Bader, Leipfinger Bader GmbH | Baubüro in situ AG+denkstatt sàrl | Dr. Patrick Bergmann, Madaster Germany | Dominik Campanella, Concular | Manuel Ehlers, Triodos Bank | Gerhard G. Feldmeyer | Marcel Gröpler, Lindner Group | Roberto Martinez, Franz Kaldewei GmbH & Co. KG | Prof. Dr. (Univ. Florenz) Elisabeth Merk, Stadtbaurätin Landeshauptstadt München | Philipp Müller, Wicona by Hydro | Michael Scharpf, Holcim Deutschland GmbH | Verena Brehm, Oliver Seidel, Felix Rebers, Cityförster | Sebastian Schels, Ratisbona | Markus Steppler, Derix Group | Prof. Dr. Patrick Teuffel, Circular Structural Design | Simone Walser, STRABAG Real Estate GmbH | Ephraim Wille, Laarakkers | Anastasiya Vitusevych, EDGE Technologies | Marcel Winter & Benedikt Bührle, CMID

Manuel Ehlers
Teamleiter Nachhaltige Immobilien, Triodos Bank N.V.
Fotos: © Manuel Ehlers, Triodos Bank
Nachhaltigkeit und Baufinanzierung
Es wird zu viel gebaut. Und das, was gebaut wird, entsteht mit viel zu großem CO2-Rucksack und steht nicht im Einklang mit unseren Klimazielen. Gleichzeitig fehlt Wohnraum in den Ballungszentren, was die Forderung nach Bürokratieabbau für schnelleren Neubau immer lauter werden lässt. Wenn heute neu gebaut wird, ist es in der Regel nicht nur langwierig, sondern auch viel zu teuer mit einem Niveau weit oberhalb der ortsüblichen Vergleichsmieten. Die gestiegenen Finanzierungskosten und der Fachkräftemangel potenzieren das Problem, das sich mit den Werkzeugen der Bauwirtschaft aus den letzten Jahrzehnten nicht zu lösen scheint. Es steht eine grundlegende Transformation vor der Tür, eine echte Chance, Dinge anders zu planen und umzusetzen. Gerade jetzt, wie zuletzt im Wahlkampf in Deutschland oder auch in der Weltpolitik, scheint das Thema Nachhaltigkeit keine Rolle mehr zu spielen. Aber ist das wirklich so? Ist den Banken von einem auf den anderen Tag das Thema Nachhaltigkeit egal, nur weil Reportingpflichten gelockert werden sollen?
Die EU-Taxonomieverordnung hat Nachhaltigkeitskriterien in den Fokus der Baufinanzierung gerückt. Banken achten zunehmend auf ESG-Kriterien („Environmental, Social, Governance“), die Umweltverträglichkeit, soziale Verantwortung und nachhaltige Unternehmensführung bewerten. Diese Standards sind zu wichtigen Entscheidungskriterien bei der Kreditvergabe geworden. Das wird sich auch nicht ändern. Denn diese Kriterien fördern eine langfristige Perspektive und reduzieren nachweislich Kreditrisiken. Das ist nicht nur ökologisch sinnvoll, sondern auch ökonomisch vorteilhaft.
EU-Taxonomie und ESG-Kriterien: Neue Standards in der Baufinanzierung
CO2-Bepreisung als finanzieller Hebel
Ein weiterer Faktor, der die Kreditrisiken maßgeblich beeinflusst, ist die schrittweise Erhöhung des CO2-Preises auf 55 Euro pro Tonne im Jahr 2025. Um die tatsächlichen Klimafolgekosten angemessen zu berücksichtigen, empfiehlt das Umweltbundesamt jedoch bereits heute einen CO2-Schattenpreis von 300 Euro pro Tonne. Unter Berücksichtigung dieser zukünftigen Kosten wird unökologisches, CO2-intensives Bauen immer unattraktiver, da solche Immobilien aus Bankensicht zu „Stranding Assets“ werden. Für Projekte, die nicht im Einklang mit den Klimazielen betrieben werden können, wird es in Zukunft schlicht kein Geld mehr geben.
Dass Regulierung ein wirksames Instrument sein kann, um nachhaltiges Bauen zu forcieren, zeigt ein Blick nach Dänemark. Dort wird keine Baugenehmigung mehr erteilt, wenn die gesamten Lebenszykluskosten (CO2) einen bestimmten Wert überschreiten (Reduction Roadmap). Dieser Wert liegt für 2025 bereits bei nur noch 5,8 kg CO2e pro m² und Jahr. Diese Entwicklung zeigt, dass die Regulierung in anderen Ländern bereits strengere Nachhaltigkeitskriterien vorgibt, die als Orientierung für Deutschland dienen können. Eine konsequente Ausrichtung an der CO2-Bilanz könnte den Bausektor langfristig effizienter und klimafreundlicher machen. Und dieser Initiative der ‚Reduction Roadmak‘ hat sich übrigens ein Großteil der Branche selbst angeschlossen, weil sie die Zeichen der Zeit und die Notwendigkeit auch aus betriebswirtschaftlicher Sicht verstanden hat.
Regulatorische Entwicklungen in Dänemark als Vorbild
Life Cycle Analysis und nachhaltige Planung
Die Bundesarchitektenkammer hat im Mai 2023 empfohlen, die Treibhausgasbilanz und den Gebäuderessourcenpass verbindlich in die Bauordnungen aufzunehmen. Lebenszyklusorientiertes Planen und Bauen – mit Fokus auf Life Cycle Analysis (LCA) und Life Cycle Costing (LCC) – wird zu einem Schlüssel für nachhaltiges Bauen und dessen Finanzierung. LCA und LCC ermöglichen die Analyse und Optimierung der langfristigen Umwelt- und Kostenbilanzen von Bauprojekten, was insbesondere bei der Planung und Umsetzung von nachhaltigen Neubauten und Sanierungsprojekten von entscheidender Bedeutung ist. Die Branche geht also voran und fordert sinnvolle Auflagen und eine kluge Regulierung. Und es zeigt sich: Wer mutig vorangeht und auf regionale Wertschöpfung und nachwachsende Rohstoffe setzt, kann auch im Neubau bezahlbare Mietwohnungen mit Quadratmetermieten unter 12 Euro ermöglichen – wie die von uns finanzierten Projekte belegen.
Klimaschutzinitiativen geraten derzeit weltweit zunehmend unter Druck. Die Entscheidung der USA, aus dem Pariser Klimaabkommen auszusteigen, sowie der Rückzug einiger internationaler Banken aus der Net-Zero-Banking-Allianz verdeutlichen die wachsenden Herausforderungen für den Klimaschutz. Die Klimaziele rücken immer mehr in den Hintergrund, obwohl die Notwendigkeit ambitionierter Klimaschutzmaßnahmen heute größer ist denn je.
Umso mehr muss die Konsequenz sein, jetzt noch ehrgeizigere Ziele zu verfolgen und die Finanzierungsaktivitäten konsequent darauf auszurichten.
Tagespolitischer Bezug: Klimaziele unter Druck
Die Rolle der Finanzbranche
Die Finanzwirtschaft muss ihrer Verantwortung gerecht werden und verstärkt in nachhaltige Bauprojekte investieren. Da laut Zensus 2022 in Deutschland rund 1,9 Millionen Wohnungen leer stehen werden, bietet die Sanierung dieser Objekte ein erhebliches Potenzial zur Schaffung von Wohnraum. Zusätzlich könnten durch die Umnutzung nicht mehr benötigter Büroflächen bis 2025 rund 235.000 Wohnungen in innerstädtischen Lagen entstehen. Weiteres Potenzial bietet die Aufstockung bestehender Gebäude: Studien zufolge könnten so bis zu 1,1 Millionen zusätzliche Wohnungen entstehen. Umnutzungen wie Aufstockungen oder die Umwandlung von Büro- in Wohngebäude sollten daher bevorzugt gefördert werden, um Leerstand und Flächenversiegelung zu reduzieren. Hervorzuheben ist, dass die Umnutzung oder Sanierung von Bestandsgebäuden aus ökologischer Sicht die nachhaltigste Lösung darstellt, da Emissionen, die bei Abriss und Neubau entstehen, vermieden werden. Zudem ermöglichen solche Maßnahmen in der Regel günstigere Mieten, da die Kosten für Neubauten oft höher sind. Banken sind gefordert, neue Finanzierungskonzepte zu entwickeln, die die Kreislaufwirtschaft und das Gemeinwohl fördern. Innovative Finanzierungsmodelle wie Green Bonds oder Kredite mit Nachhaltigkeitsprämien können dazu beitragen, das Interesse an zirkulärem Bauen weiter zu steigern.
„Die Klimakrise wird auf der Baustelle entschieden“ – dies sollten wir uns alle verdeutlichen. Die Art und Weise, wie wir bauen, beeinflusst maßgeblich unsere Umwelt und das Erreichen der Klimaziele.
Zirkuläre Projekte bergen häufig Innovationsrisiken, da neue Technologien oder der Umgang mit wiederverwendeten Baustoffen für viele Planer oder ausführende Unternehmen oft noch unerprobt sind. Um Investoren für solche Projekte zu gewinnen, sind finanzielle Anreize von großer Bedeutung. Steuererleichterungen, wie z.B. der Wegfall der Mehrwertsteuer auf gebrauchte Bauteile, können helfen, die notwendige Unterstützung für die Umsetzung von Kreislaufprojekten zu geben. Vor dem Hintergrund des politischen Rollbacks – wie der Rücknahme von Umweltmaßnahmen und der Lockerung von Vorschriften – ist es wichtig, innovative Finanzierungsmodelle, z.B. für die Finanzierung von Bauteilen, zu entwickeln, die Antworten auf die veränderte Praxis des Zirkulären Bauens geben. Nur so kann der Übergang zu einer nachhaltigeren Bauwirtschaft langfristig gesichert werden.
Regulatorische und gesellschaftliche Anforderungen
Kooperation als Schlüssel zum Erfolg
Um die Rahmenbedingungen für nachhaltiges Bauen zu verbessern und die Mammutaufgabe der Bestandsoptimierung hin zum klimaneutralen Betrieb zu bewältigen, bedarf es einer Allianz aus Regulatoren, Planern, Bauherren und Finanzinstituten. Die Bereitstellung von bezahlbarem Wohnraum und sozialer Infrastruktur muss Vorrang haben, ökologische Notwendigkeiten dürfen nicht gegen soziale Bedürfnisse ausgespielt werden. Zirkuläres Planen und Bauen wird zur Voraussetzung für Wirtschaftlichkeit, Werterhalt und langfristige Finanzierbarkeit. Ein systematischer Wissenstransfer zwischen den beteiligten Akteuren kann sicherstellen, dass innovative Ansätze effektiv umgesetzt werden.
Die wichtigste Frage für die Zukunft lautet: Wofür wird es noch Geld geben? Die Antwort ist klar: Nachhaltigkeit und Gemeinwohl sind nicht nur ökologisch, sondern auch ökonomisch alternativlos. Die Transformation des Bausektors hin zu zirkulären Prinzipien wird zur zentralen Aufgabe für alle Akteure. Während Deutschland noch mit der Umsetzung ambitionierter Klimaziele ringt, zeigen unsere Nachbarländer, dass nachhaltiges Bauen bereits konsequent umgesetzt werden kann. Dänemark hat mit seiner „Reduction Roadmap“ strenge Vorgaben eingeführt, die den CO2-Fußabdruck von Neubauten drastisch reduzieren und damit zirkuläre Praktiken fördern. Auch in den Niederlanden und Skandinavien setzen innovative Konzepte für Kreislaufwirtschaft und emissionsarmes Bauen Maßstäbe. Deutschland muss jetzt aufholen und von diesen Vorbildern lernen. Es braucht eine entschlossene Politik, die regulatorische Weichen stellt und nachhaltige Investitionen fördert. Die Finanzwirtschaft muss innovative Lösungen anbieten, um nachhaltige Projekte gezielt zu fördern. Nur so kann der Bausektor klimaneutral, sozial gerecht und wirtschaftlich tragfähig gestaltet werden.
Fazit: Zirkuläres Bauen als Zukunftsmodell
Manuel Ehlers studierte Wirtschaftsingenieurwesen mit den Schwerpunkten Bauingenieurwesen und Projektentwicklung an der Bauhaus-Universität Weimar und der Technischen Universität Berlin. Er arbeitete als Projektentwickler für HOCHTIEF, Investa Real Estate und OFB in Berlin, bevor er 2016 für die Triodos Bank den Bereich Nachhaltige Immobilien in Deutschland aufbaute. In dieser Funktion hat er in den vergangenen Jahren den Nachhaltigkeitsbegriff im Immobilienkontext mit klarem Fokus auf Klimaschutz und soziale Inklusion geprägt und geschärft.
Manuel Ehlers ist Mitglied im Immobilienbeirat der Deutschen Gesellschaft für nachhaltiges Bauen, im Zukunftsbeirat Projektentwicklung der EBZ Business School, im Fachbeirat des Verbands für Bauen im Bestand und engagiert sich am Runden Tisch Liegenschaftspolitik im Berliner Abgeordnetenhaus.

Felix Rebers, Verena Brehm, Oliver Seidel
Cityförster architecture + urbanism
Foto: © CITYFÖRSTER
Zirkularität im Maßstab von Quartier und Stadt.
Die Klimakrise verlangt entschlossenes Handeln. Der CO₂-Ausstoß muss drastisch und schnell reduziert werden. Es ist bekannt, dass der Bausektor erheblich zur Erderwärmung beiträgt – durch hohe Treibhausgasemissionen, massiven Ressourcenverbrauch und enorme Abfallmengen. Dennoch dominiert nach wie vor eine lineare Wirtschaftsweise, in der Materialien verbraucht und entsorgt werden, anstatt sie im Kreislauf zu halten.
Hoffnungsvoll stimmt uns, dass zirkuläres Bauen an Bedeutung gewinnt und das Thema zunehmend ins Bewusstsein der Fachöffentlichkeit rückt. Unternehmen wie Concular oder Madaster erleichtern und fördern die Beschaffung von gebrauchten Materialien und Bauteilen, ein Meilenstein für die Skalierung des zirkulären Bauens. Auf Gebäudeebene sind spannende Prototypen entstanden, wie unser Recyclinghaus in Hannover-Kronsberg, das weitgehend aus gebrauchten Materialien in recyclinggerechter Bauweise besteht.


Recyclinghaus Hannover als Prototyp zirkulären Bauens
von CITYFÖRSTER architecture+urbanism
Abbildung links © Olaf Mahlstedt, Abbildung rechts © Gundlach
Mit Blick auf den CO2-Footprint könnten die Bau- und Planungsdisziplinen allerdings noch mehr leisten. Das Umweltbundesamt errechnet einen durchschnittlichen CO2-Fußabdruck pro Kopf in Deutschland (2024) von 10,3 Tonnen. Davon entfallen 23% der Treibhausgasemissionen auf das Wohnen, 6% auf Strom, 21% auf Mobilität, 15% auf Ernährung, 24% auf Konsum (Herstellung von Möbeln, Textilien etc. und Dienstleistungen) sowie 11% auf öffentliche Infrastruktur. Die niederländische Berechnung schlüsselt noch einmal anders auf; hier wird berechnet, dass nur 3% des jährlichen CO2–Fußabdrucks je Haushalt (2024) auf die Errichtung von Gebäuden entfallen.
Mit anderen Worten: Ein großer Anteil der Treibhausgasemissionen ließe sich durch Maßnahmen auf der Ebene von Städtebau, Freiraum-, Verkehrsplanung wirkungsvoll reduzieren. Hier liegt ein bisher unterschätzter Hebel zum Erreichen der Klimaziele und ein untergenutztes Potenzial zur Integration von Zirkularitätsprinzipien in der Planung. Wir sollten über die Wiederverwendung von Baumaterialien auf Gebäudeebene hinaus verstärkt weitere Systemebenen in den Blick nehmen wie Energie, Wasser, Nahrung, Biodiversität, Mobilität und das Gemeinschaftliche. In diesem weiter gefassten Verständnis sind Stadt, Quartier, Nachbarschaft vergleichbar mit Ökosystemen, in denen diverse Elemente symbiotisch vernetzt sind. Wir sagen: Stadt ist Wald! Die damit verbundene Komplexität ist bei der Steuerung, also jeglicher strategischer und raum-gestalterischer Planung zu berücksichtigen.
Skalieren

Ganzheitliches Kreislaufdenken als städtisches System
mit CYC-Hubs als architektonische Schnittstelle im Quartier.
Abbildung © CITYFÖRSTER
In unserem Forschungsprojekt „Carbon-Based-Urbanism“ rücken wir das CO2-Problem in den Mittelpunkt und betrachten die Wechselbeziehungen zwischen Gebäude- und Stadtmaßstab. Wir untersuchen vier Quartierstypen und quantifizieren das spezifische Treibhausgaspotential anhand verschiedener Kategorien. Erst die städtebauliche Konzeption gewährleistet nachhaltige Mobilität, kurze Wege, Nutzungsmischung (funktional und sozial), lokale Nahrungsmittelproduktion, multifunktionale Freiräume, Sharing-Angebote für mehr (Energie-, Ressourcen-, Flächen-)Suffizienz und für einen nachhaltigeren Konsum – Strukturen und Architekturen, die zukunftsgewandte Lebensweisen mit einem reduzierten CO2-Fußabdruck fördern und vielleicht sogar attraktiv machen.
Das zirkuläre Bauen muss in Zukunft in der zirkulär organsierten Stadt stattfinden.
Auf der städtebaulichen Ebene können rechtliche und politische Festlegungen Verbindlichkeiten erzeugen und das Umsetzen von Zirkularität vorbereiten. In unserem Projekt Cradle-to-Cradle Gewerbepark LuneDelta in Bremerhaven konnten beispielsweise im Bebauungsplan Kreislaufzonen ausgewiesen werden, die verbindlich Bereiche auf privaten Grundstücken für das Wassermanagement und mikroklimatische Anforderungen festlegen und diese in das übergeordnete Wasser- und Klimamanagement integrieren.

Das LuneDelta wurde im Kreislauf entworfen
und verankert Kreislaufzonen bereits im Bebauungsplan.
Abbildung © CITYFÖRSTER
Für unsere Rahmenplanung für den Hafen-Ost in Flensburg als Suffizienz orientiertes Quartier lagen politisch beschlossene Entwicklungsleitlinien als Planungsgrundlage vor. Dieser konzeptionelle Konsens hat den Planungsprozess erheblich vereinfacht.

Rahmenplanung Hafen-Ost in Flensburg
als Suffizienz orientiertes Quartier.
Abbildungen © CITYFÖRSTER
In rechtlicher Hinsicht könnte ein kreatives und experimentelles Weiterdenken von Gesetzen, Verordnungen und Organisationsstrukturen das zirkuläre Planen und Bauen fördern. Was wäre zum Beispiel, wenn für Baufelder nicht mehr Baumassen, sondern CO2-Budgets die Obergrenze der Bebaubarkeit definieren würden? Mit gebrauchten Bauteilen, die nicht in die CO2 Bilanzierung eingerechnet werden, ließe sich mehr verwertbare Fläche auf dem Grundstücken erstellen.
Neben rechtlichen und politischen Rahmenbedingungen sind auch konkrete Stadtbausteine wie CYC-Hubs, Gründungszentren, Allmenden oder Kreislaufzonen wichtige Entwicklungstreiber für Zirkularität. Eine Kultur des Teilens und koproduktive Gemeinschaften können durch Commons gefördert werden.
Ein Beispiel ist unsere städtebaulich-freiräumliche Planung für das Ecovillage in Hannover, ein Modellquartier für suffiziente Lebensweisen, in dem eine Allmende als gemeinsamer Freiraum geplant wurde. Diese dient nicht nur der urbanen Nahrungsmittelproduktion, sondern auch als bedeutende Kreislaufzone für das Regenwassermanagement und als gemeinschaftlicher Begegnungsraum.
Entwicklungstreiber

Die Allmende im Ecovillage ist Kreislaufzone
und Gemeinschaftsort.
Abbildung © CITYFÖRSTER
Als CYC-Hubs bezeichnen wir Infrastrukturen eines zirkulären Quartiers. Als Kreislaufschnittstelle und nicht-kommerzielle Quartiersmitte fungieren sie als Mobilstationen, Quartiersgaragen, Energiestationen, FabLabs, Baustofflager und Gründungszentren. Sie bilden das notwendige Ökosystem für zirkuläres Bauen und schaffen Räume für spezialisierte Handwerksbetriebe, Wissensplattformen und Start-ups. Diese Strukturen fördern Netzwerke, Synergieeffekte und Sichtbarkeit in der Stadt und bringen Akteur:innen zusammen.

CYC-Hubs bilden die Kreislaufschnittstellen im Quartier.
Abbildung © CITYFÖRSTER
Damit Zirkularität nicht nur Theorie bleibt, braucht es ein nachhaltiges Quartiersmanagement, das die praktische Umsetzung sicherstellt. Entwicklungsgesellschaften spielen dabei eine zentrale Rolle. Sie können die bedarfsgerechte Entwicklung von Flächen steuern und als Vermittlerin zwischen den Akteur:innen agieren. Die zirkuläre Stadt muss kontinuierlich orchestriert werden. Im Cradle-to-Cradle Gewerbepark LuneDelta setzt beispielsweise eine Entwicklungsgesellschaft das Konzept aktiv um. Mit Unterstützung eines Aufsichtsrats, der Geschäftsführung und eines Expert:innenrats wird dort die Entwicklung des Gewerbegebiets gesteuert – inklusive Rückbau und Wiederverwendung.
Handlungsaufforderung
Die Transformation der Bauwirtschaft hin zur Zirkularität braucht eine weitsichtige und integrale Planung von Gebäude UND Stadt, gefördert durch interdisziplinäre und ämterübergreifende Kooperation. Die zirkuläre Stadt braucht neue Stadtbausteine, innovative Betriebs- und Investitionsmodellen, engagierte Akteur:innen, finanzielle Förderung sowie verbindliche politische und rechtliche Rahmenbedingungen. Zirkuläres Bauen muss eingebunden werden in zirkulär organisierte Stadtteile, Quartiere und Nachbarschaften. So gelingt die Ressourcenwende (und vieles mehr).
Verena Brehm, Gründungspartnerin und Professorin an der Universität Kassel. Sie entwirft, lehrt und forscht zu Suffizienz und Zirkularität im Quartiersmaßstab.
Oliver Seidel, Gründungspartner. Verantwortet die städtebaulichen Entwürfe sowie strategischen Stadtentwicklungsprojekte.
Felix Rebers, Assoziierter Partner. Verantwortlich für die strategische Unternehmensentwicklung.
CITYFÖRSTER architecture + urbanism wurde 2005 gegründet und ist eine international agierende, interdisziplinäre Partnerschaft von Architekt*innen, Ingenieur*innen und Stadtplaner*innen mit Mitarbeiter*innen aus über zehn Nationen. Wir sind spezialisiert auf strategische Planung, internationale Entwicklungsprojekte und experimentelles, ressourcen- und recyclinggerechtes Bauen. Unsere Themen sind neue Arbeitswelten und Wohnformen, nachhaltiger Tourismus, öffentliche Räume, innovative Mobilitätskonzepte sowie Zirkularität.

Sebastian Schels
Geschäftsführender Gesellschafter des Immobilienentwicklers RATISBONA Handelsimmobilien
Foto: © RATISBONA, Fotograf: Simon Gehr
Zeit für Lösungen: 5 Punkte für gelingende Zirkularität in der Bauwirtschaft.
Zirkularität im Bausektor ist längst kein Fremdwort mehr – zwischen Theorie und gelebter Praxis klafft hingegen oft eine Lücke. Sowohl in der Bauwirtschaft als auch in vielen anderen Sektoren sind wir noch weit davon entfernt ganzheitlich zirkulär zu denken und zu handeln. Innovationen gibt es viele, ihre Skalierung steht noch aus.
Bei RATISBONA entwickeln und bauen wir Handelsimmobilien nach dem Cradle-to-Cradle-Prinzip und haben uns entschlossen, Zirkularität konsequent in den Bau von Lebensmittelmärkten zu integrieren. Zirkularität bedeutet für uns dabei, konsequent auf regenerative Ressourcen zu setzen und alle Wertstoffe dauerhaft im Kreislauf der gebauten Umwelt zu halten. Mit jedem Projekt sammeln wir dabei wertvolle Erfahrungen und versuchen diese bestmöglich skalieren zu lassen.
Dabei kann ich hier fünf Beobachtungen teilen – aus der Praxis, für die Praxis.
Unternehmen, die Zirkularität als Kern ihrer Strategie verankern, erkennen: Der Wandel beginnt an der Spitze. Von Eigentümern und Führungskräften sollte die Vision und initiale Durchsetzungskraft ausgehen, um zirkuläre Prozesse konsequent umzusetzen.
Klare Führungsentscheidungen treiben den Wandel voran und verhindern, dass sich das Tagesgeschäft in Details verliert. Eine entschlossene Führungsebene setzt dabei den Rahmen, innerhalb dessen nachhaltige Innovationen gedeihen können.
Eine Führung, die zirkuläre Prinzipien lebt, fördert eine unternehmensweite Kultur des Wandels. So entsteht ein dynamisches Umfeld, in dem Innovationen und langfristiger Erfolg Hand in Hand gehen.
Zirkularität ist also weit mehr als ein strategischer Ansatz – sie ist Chef:innensache und erfordert entschlossenes Handeln von der Unternehmensspitze.
Zirkularität als Unternehmensstrategie: Eine Führungsaufgabe
Zirkularität fördert eine ganzheitliche Denk- und Arbeitsweise
Zirkuläres Bauen priorisiert richtig. Ausgangsbasis ist nicht ein Bauen, um Zertifikate zu erhalten oder ein alleiniger Fokus auf KI-optimiert-treibhausreduzierten Beton, sondern eine ganzheitliche Denkweise in technologischen und biologischen Kreisläufen.
So haben wir uns bei RATISBONA sechs zentrale Fokuspunkte gesetzt – Materialgesundheit, Luftqualität, Rückbaufähigkeit, Wasserkreisläufe, Biodiversität und regenerative Energien –, die es uns ermöglichen, den gesamten Lebenszyklus eines Bauwerks zu bereichern und zu optimieren.
Ein ganzheitlicher Denkansatz stärkt darüber hinaus die Innovationskraft, indem er Disziplinen miteinander vernetzt und kreative Lösungen hervorbringt, die sowohl ökologischen als auch ökonomischen Mehrwert generieren.
Unternehmen, die Zirkularität fest in ihre Strategie integrieren, verbessern ihre Integrität, sowohl im Inneren als auch im Außen. Damit hebeln sie ihre Unternehmenskultur nachhaltig. Der Pioniergeist, ein gemeinsames Why, die Bereitschaft für Innovation und Veränderung, das macht was mit den Menschen und ihrem Umgang). Man kommt einfach besser miteinander aus und schafft eine Atmosphäre des Vertrauens. Unsere Geschäftspartner haben sich ohne explizite Aufforderung in den Innovationsprozess eingebracht. Angenehme Konsequenzen: eine verbesserte Planung im Vorfeld sowie gemeinsame Problemlösungskompetenz während des gesamten Prozesses.
Vertrauen und Wertschätzung stärken das Engagement im Unternehmen und im Projekt – ein wesentlicher Motor für eine zukunftsorientierte Unternehmenskultur. Wer glaubwürdige Lösungen bietet, gewinnt das Vertrauen von Investoren, Mietern und Endkunden.
Dieser Kulturwandel ist womöglich der wirksamste Transformationshebel, man stelle sich nur vor, welche Sprünge nach vorne wir weltweit machen könnten, wenn wir uns gegenseitig vertrauen. Wohl denen, die das leben!
Zirkularität schafft neue Werte und verbessert die Unternehmens- und Projektkultur
Zirkularität schafft Wettbewerbsvorteile
Unternehmen, die Zirkularität konsequent umsetzen, werden sich entscheidende Marktvorteile sichern. Bei RATISBONA reduzieren wir jetzt schon die Gestehungskosten um 5–7% gegenüber der herkömmlichen Bauweise. Unter anderem durch effizienteren Materialeinsatz, einfachere Konstruktionsweisen und Zeitvorteilen in der Fertigung.
Neue Umsatzpotenziale erschließen sich aus der immanenten Innovationskraft. Die Entwicklung neuer Bauweisen und Materialien eröffnet zusätzliche Geschäftsfelder und Differenzierungsmöglichkeiten. Gebäude werden zu Wertstofflagern – urbane Minen in zunehmend anfälligen Rohstoffmärkten.
Eine Auswertung der Porsche Consulting auf Datenbasis des Statistischen Bundesamts stellt fest, dass die Baubranche mit der traditionellen Bauweise seit 30 Jahren auf demselben Produktivitätsniveau arbeitet. Zum Vergleich: das verarbeitende Gewerbe erzielte im gleichen Zeitraum einen Produktivitätsfortschritt von über 90%!
Zirkuläres Bauen und neue innovative Verfahren werden sich zukünftig positiv auf die Produktivität auswirken.
Im Grunde sind die bisherigen Punkte keine Breaking News, denn seit Jahren wird in der Baubranche, als auch in anderen Sektoren, an zirkulären Lösungen gearbeitet. Das schafft Wissen, Erfahrungswerte und Innovationen. Auch wenn es im allgemeinen wirtschaftlichen Klagelied untergeht: wir sind weltweit ganz vorne dabei auf dem Gebiet der Kreislaufwirtschaft: im Innovationsindikator 2024 von BDI, Roland Berger, Fraunhofer ISI und dem Leibniz-Zentrum liegt Deutschland im globalen Innovationswettlauf auf Rang 1!
Mehr Energie in Zirkularität bedeutet also auch gesamtwirtschaftlich unsere Stärken zu stärken.
Natürlich sollten wir die gegenwärtige Multikrisenwelt mitsamt der Krise in der Baubranche nicht nur durch eine rosarote zirkuläre Brille sehen. Zirkularität ist kein Selbstläufer. Winston Churchill soll gesagt haben: „Never let a good crisis go to waste.”
Von echtem Leadership werden echte Lösungen erwartet, kulturell, politisch und ökonomisch. Zirkularität bietet diese und um ehrlich zu sein: wir haben auch keine andere Wahl. Stabilität entsteht durch Kreisläufe, das lehrt uns die Evolution seit 4,5 Milliarden Jahren.
Zirkularität bedeutet Stärken stärken
Sebastian Schels ist geschäftsführender Gesellschafter des Immobilienentwicklers RATISBONA Handelsimmobilien mit Sitz in Regensburg. Seit der Firmengründung 1987 wurden mehr als 1.200 Objekte realisiert. Mit einem Team von über 140 Überzeugungstätern und Überzeugungstäterinnen in Deutschland, Spanien und Portugal setzt sich der CEO – für ihn steht es für Chief Environmental Officer – für eine gelingende Bauwende ein. Umwelt- und Klimaschutz sowie das Cradle to Cradle Designkonzept sind daher fest im Unternehmensleitbild verankert. Ziel des Ökobaupioniers es, durch reale Umsetzungsbeispiele kreislauffähiges Bauen konsequent zur Massenmarktfähigkeit zu bringen. Dabei kooperiert das Unternehmen mit namhaften Ketten wie Netto, Rewe, Edeka, Aldi, Lidl oder Penny.

Marcel Gröpler, Dipl.-Ing. (FH)
Leitung Green Building, Lindner Group
Foto: © Lindner Group
Zirkuläres Bauen 2.0
Wie kreislauffähiges Bauen mit passenden Geschäftsmodellen in die Praxis gebracht wird
Die Auswirkungen und die Bedeutung des Bau- und Immobiliensektors hinsichtlich des hohen Ressourcenverbrauchs, der CO2-Emissionen und des Abfallaufkommens sind seit langem bekannt. Auch über die Dringlichkeit, vom Wissen zum Handeln zu kommen, sind sich alle Akteure einig. Dennoch fehlt es nach wie vor an durchgängigen Lösungsansätzen, an einem gemeinsamen Weg, den Bausektor ressourcen- und materialeffizienter zu gestalten. Mit dem European Green Deal und nationalen Regelungen ist ein erster wichtiger Schritt getan, um mit gesetzlichen Vorgaben die notwendigen Transformationsmaßnahmen anzugehen – allen voran den Wandel von der linearen zur zirkulären Wirtschaft. Spätestens seit Lieferengpässen, Rohstoffverknappung und Kostensteigerungen sind nicht nur ökologische, sondern auch ökonomische Aspekte wichtige Treiber für Unternehmen.
Schon vor den dramatischen Entwicklungen auf dem Weltmarkt war die Kreislaufwirtschaft ein wichtiger Bestandteil der Unternehmensstrategie der Lindner Group. Wir haben erkannt, dass die Materialien bzw. Rohstoffe entscheidend sind, da sie durchschnittlich 40 bis 50 Prozent des ökologischen Fußabdrucks ausmachen. Daraus entwickelte sich die Idee, keine Primärrohstoffe mehr zu verwenden, sondern Sekundärrohstoffe. Und das geht am besten, wenn wir sie in Kreisläufen führen.
Geschlossene Stoffkreisläufe spielen daher bei der Entwicklung, Herstellung und Ausführung von Produkten und Bauleistungen eine zentrale Rolle. Bei der Produktgestaltung setzt Lindner seit 2016 auf den Produktstandard Cradle to Cradle Certified® und hat inzwischen verschiedene Boden-, Decken- und Wandsysteme erfolgreich zertifizieren lassen.
Dieser Ansatz spart nicht nur Energie und Rohstoffe bei der Neuproduktion, sondern verlängert auch die Lebensdauer der Produkte im Gebrauch. Denn in der Praxis, z.B. im gewerblichen Bürobau, wird nicht das gesamte Potenzial der Produkte ausgeschöpft. Beispiel Doppelboden: Die Nutzungsdauer einer NORTEC Calciumsulfatplatte liegt bei gut 50 Jahren. Bei Bestandssanierungen oder Mietflächen mit kurzen Nutzungszeiten und häufigen Umbauten wird diese technische Lebensdauer jedoch nie erreicht. Gut erhaltene Bauprodukte landen (zu oft) im Schuttcontainer.
Um dem entgegenzuwirken, hat Lindner verschiedene Serviceangebote sowie zirkuläre Geschäftsmodelle entwickelt: Rücknahme gebrauchter Produkte, Neukauf mit Rückgabevereinbarung sowie Mietmodelle für Decken-, Wand- und Bodensysteme.
Geschlossene Materialkreisläufe als Schlüssel zu ressourceneffizientem Bauen
• Best Practice: Zweites Leben für Doppelboden
Bestes Beispiel für die Wiederverwendung von Ausbausystemen ist der Doppelboden LOOP: Bereits verwendete Doppelbodenplatten werden nicht wie üblich im Container entsorgt, sondern im Lindner-Werk aufbereitet und als ReUsed-Produkte einem neuen Nutzungszyklus zugeführt. Die Vorteile: gleiche Qualität hinsichtlich Bauphysik, Gebrauchseigenschaften, Gewährleistung und Flexibilität in der Anwendung – aber mit einer Rückgabevereinbarung über 70 % CO2-Einsparung und 93 % Wassereinsparung im Herstellungsprozess gegenüber einem Neuprodukt. Dies hat für den Bauherrn positive Auswirkungen bei der Gebäudezertifizierung und im Hinblick auf die EU-Taxonomie.
• „Zurück zum Hersteller“ – Garantie für zirkuläres Bauen
Nach intensiver Betrachtung und Prüfung aller Aspekte – rechtlich, ökobilanziell und auch wirtschaftlich – lautet unser Fazit: Die Rücknahme und Aufbereitung von Bodenplatten rechnet sich nicht nur für uns als Hersteller, sondern auch für Architekten und Bauherren, die nach effektiven Lösungen in Bezug auf CO2-Einsparung und ESG-konformes Bauen suchen.
Dabei gibt es zunächst einen großen Knackpunkt: Wie kommt man überhaupt an die verbauten Produkte? Wo finden Sanierungen statt, bei denen eine Wiederverwendung von Produkten sinnvoll und machbar wäre? Und wie sieht es bei Neubauprojekten in 20 oder 30 Jahren aus? Hier ist Lindner nicht nur stark in der Projektrecherche und Kundenkommunikation unterwegs, um auf diese Möglichkeit aufmerksam zu machen, sondern bietet auch zirkuläre Geschäftsmodelle für Neuprojekte an: Unter LinLoop können Systemprodukte von Lindner gemietet oder mit Rückgabevereinbarung gekauft werden.
• Kauf mit Rückgabevereinbarung
Ergänzend zu einem klassischen Kauf- und Werkvertrag wird zwischen den Vertragspartnern eine verpflichtende Vereinbarung zur Rückgabe bzw. Rücknahme geschlossen. Nach 10 bis 30 Jahren werden die Produkte an Lindner zurückgegeben – der Kunde erhält einen Restwert, der im Regelfall die Rückbaukosten deckt. Den Rückbau übernimmt Lindner, genauso wie die Rückführung ins Werk. Optional werden während der Nutzung eine jährliche Wartung und zusätzliche Serviceleistungen angeboten.
• Miete von Ausbauprodukten
Für kürzere Nutzungszeiten und bei Wunsch nach mehr Flexibilität offeriert Lindner Mietmodelle mit einem Zeitfenster zwischen fünf und zehn Jahren. In diesem Fall bleibt Lindner der Eigentümer der Produkte und stellt z. B. Gebäudeeigentümern oder Vermietern von Büroflächen reversible Ausbauprodukte zur Miete zur Verfügung. Das Mietangebot beinhaltet Montage, Demontage sowie eine jährliche Inspektion. Umbauten sind möglich, die Miete wird entsprechend angepasst. Ebenso besteht die Möglichkeit eines neuen Mietvertrages nach Ablauf des Grundmietvertrags.
Neben der Rücknahme und Miete von Ausbauprodukten bietet Lindner weitere Angebote und Services, um Produkte so lange wie möglich in Nutzung zu halten: Angefangen bei Reparatur und Wartungsleistungen in der Erstnutzung, über die 1 : 1 Wiederverwendung von z. B. Glastrennwandsystemen im gleichen oder in einem anderen Gebäude bis hin zur Verwertung von Restmaterialien – entweder als Rohstoff innerhalb des eigenen Produktionsprozesses oder in einem externen Material- oder Stoffkreislauf.
Hier arbeitet Lindner auch an einem eigenen Verfahren: Ab 2025 nimmt die Lindner NORIT neben vollständigen Gipskarton- bzw. Gipsfaserplatten auch Restmaterialien aus Produktionsprozessen sowie Zuschnitte und Rückbauabfälle zurück. Diese werden im NORIT-Werk in Dettelbach zu 100 % energiearm aufbereitet und thermisch reaktiviert. Ziel ist es, jährlich mehr als 50.000 t verwertbaren Gips in den Produktionskreislauf zurückzuführen und daraus gut 44.000 t abbindefähigen Gips zurückzugewinnen. Durch die Einsparung von Primärrohstoffen (inkl. Transport), dem Wegfall der Abfallentsorgung sowie der hohen Energieeffizienz des Verfahrens beläuft sich die Treibhausgasminderung jährlich auf 5.270 t CO2-Äquivalente.
Schatzsuche mit digitalen Werkzeugen: Die Bedeutung von Materialpässen und digitalen Informationen
Wie bereits erwähnt, ist eine der ersten Hürden in der Wieder- und Weiterverwendung von Produkten das Wissen und die Dokumentation über deren Nutzung und Verbleib in Bestandsprojekten ebenso wie der Einbau in Neuprojekten. Ein wichtiger Aspekt im zirkulären Bauen ist daher auch die Bereitstellung von Informationen über die verwendeten Materialien und die Produktidentität. Dies kann durch Materialpässe oder digitale Informationen wie z. B. digitale Zwillinge und BIM-Modelle erfolgen. Einfache Lösungen wie Barcode-Systeme an den verbauten Systemen wären ebenfalls möglich. Die Herausforderung liegt darin, die notwendigen Informationen zu sammeln und bereitzustellen, um die Zirkularität zu ermöglichen.
Re-Use Kreisläufe im Detail
Die Zukunft des Bauens ist zirkulär und digital
Unser Fazit: Die Kombination von kreislauffähigen Produkten und Konzepten mit digitalen Lösungen sowie einer transparenten, offenen Dokumentation über verbaute Produkte ist der Schlüssel zu einer nachhaltigeren, klima- und ressourcenschonenderen Bauwirtschaft. Das Thema zirkuläre Bauprodukte hat den Markt bereits erreicht, und die Nachfrage nach aufbereiteten Produkten ist sogar größer als unsere derzeitige Kapazität – Stichwort „Wie kommt man überhaupt an die verbauten Produkte, um diese aufzubereiten?“ Das Interesse steigt rasant, und es ist vorstellbar, dass in fünf Jahren bis zu 50 Prozent der Leistung mit zirkulären Lösungen abgedeckt werden könnten. Wir arbeiten daran.
Als Bauingenieur sammelte Marcel Gröpler über Jahre Erfahrungen im Baustellen-Controlling und in der Bauleitung, bevor er ab 2011 die Leitung der Fachabteilung Green Building der Lindner Group übernahm. Seit Anfang 2025 ist Marcel Gröpler für die GiB Gesellschaft für innovative Bautechnologie tätig und baut hier ebenfalls einen Fachbereich für Nachhaltiges Bauen auf. Er steht dabei weiterhin der Lindner Group projektbezogen beratend zur Seite.

Ephraim Wille
Kalkulator und Bodenmanager, Laarakkers Rückbau & Recycling Gmb
Foto: © Ephraim Wille
Status quo – zirkulär-selektiver Rückbau: Herausforderungen und Lösungen für eine nachhaltige Bauwirtschaft.
Nachhaltiges Bauen und Kreislaufwirtschaft gewinnen in der heutigen Bauwirtschaft zunehmend an Bedeutung. Damit der gesamte Kreislauf effizient funktioniert, muss der spätere Rückbau bereits beim Neubau durch eine gezielte Auswahl von Materialien und Verbindungsarten berücksichtigt werden.
Dies bedeutet, dass Bauteile und Materialien nach der Nutzung so zurückgewonnen und wiederverwendet werden, dass sie nicht nur die Umwelt schonen, sondern auch wirtschaftlich sinnvoll bleiben. Obwohl in den letzten Jahren verschiedene zirkuläre Konzepte im Gebäudebereich kontinuierlich weiterentwickelt wurden, stellt der zirkuläre selektive Rückbau, insbesondere bei komplexeren Baustoffen, nach wie vor eine große Herausforderung dar und wird in der Praxis bisher nur begrenzt angewendet. Um den (Teil-) Rückbau bestmöglich nach dem aktuellen Stand der Technik und mit einem optimierten Preis-Leistungs-Verhältnis in den Kreislauf zu integrieren, ist es entscheidend, bereits auf der Baustelle Monochargen zu bilden und mineralische Baustoffe wie Beton, Ziegel, Porenbeton und Kalksandstein gezielt zu selektieren.
Um einen umfassenden Rückbau von Bestandsgebäuden kreislaufgerecht zu gestalten, ist eine gezielte Trennung der Baustoffe / Materialien unabdingbar. Ein Ansatz ist die Wiederverwendung von Bauteilen (ReUse), die in neue Bauvorhaben einfließen oder in Rücknahmesysteme überführt werden können. Ein weitaus größerer Hebel ist die Erzeugung von Monochargen, also sortenreinen Materialfraktionen, die eine hochwertigere stoffliche Verwertung ermöglichen, die Ressourcenschonung weiter optimieren und Rohstoffe regional verfügbar halten.
Ein fundiertes Ressourcenkataster für bestehende Gebäude – analog zum Schadstoffkataster – ist ein entscheidender Faktor für eine erfolgreiche Kreislaufwirtschaft in der Rückbaubranche. Während die Trennung von Baumischfraktionen wie Glas, Kunststoffe, Metalle, Holz und Gips u.a. durch die Gewerbeabfallverordnung bereits weitgehend etabliert ist, muss der Fokus verstärkt auf konstruktive mineralische Baustoffe gelegt werden. Insbesondere Beton, Ziegel, Kalksandstein, Keramik sowie Bims- und Porenbeton bieten bei sortenreiner Trennung ein erhebliches Potenzial für hochwertige Sekundärrohstoffe wie Betonrecyclat oder Vollziegel/Ziegelgranulat und leisten einen direkten Beitrag zur Ressourcenschonung.
Doch wie sieht die Realität aus? Auf der Baustelle ist eine vollständige sortenreine Trennung in der Regel nicht realisierbar, da bauliche Gegebenheiten, wirtschaftliche Faktoren, Platz und Zeit eine entscheidende Rolle spielen. Durch gezielte Rückbau- und Sortiermaßnahmen kann jedoch bereits auf der Baustelle mit geringem Aufwand ein höherer Anteil an getrennten Stoffströmen erzeugt und damit die Effizienz des Recyclings deutlich gesteigert werden.
Eine frühzeitige Berücksichtigung im Planungsprozess und eine optimierte Baustellenlogistik sind entscheidende Faktoren, um bereits heute die Kreislauffähigkeit im Rückbau nachhaltig zu erhöhen und einen wichtigen Beitrag zur Ressourcenschonung zu leisten.
Für die Monochargenherstellung auf der Baustelle ist die Minimierung zukünftiger Verbundbaustoffe essentiell. Je höher die Materialkomplexität, desto aufwendiger ist die sortenreine Trennung beim Rückbau und die anschließende hochwertige Verwertung.
Monochargen als Schlüssel zur kreislauffähigen Rückbaupraxis
Kombibaustoffe und ihre Herausforderungen beim Rückbau:
Eine der größten Herausforderungen des zirkulären Rückbaus liegt in der Trennbarkeit und Wiederverwendbarkeit der Baustoffe. Während klassische Baustoffe wie Ziegel, Holz oder Stahl relativ einfach getrennt und wiederverwertet werden können, stellt der Rückbau moderner Verbundbaustoffe eine zunehmende Herausforderung dar. Ein Beispiel hierfür ist Carbonbeton, der Bewehrungsmatten aus Kohlenstoff mit Beton verbindet und aufgrund seiner Eigenschaften den Ressourcenverbrauch bei der Herstellung im Vergleich zu Stahlbeton deutlich reduziert. Allerdings lassen sich die einzelnen Komponenten beim Rückbau auf der Baustelle (im Vergleich zu Stahlbeton) nur schwer trennen. Zudem besteht die Gefahr, dass in Zukunft neue Baustoffe, die heute noch als unbedenklich gelten, mit mineralischen Baustoffen kombiniert werden. Dies könnte in Zukunft zu aufwändigen Arbeits- und Schutzmaßnahmen führen (ähnlich wie bei Asbest). Darüber hinaus wird die bereits angespannte Deponiekapazität nicht entlastet, sondern durch die zusätzliche Inanspruchnahme begrenzter Deponieressourcen weiter verschärft.
Für den zirkulären Rückbau werden Baustoffe benötigt, die eine einfache Trennung auf der Baustelle und eine effiziente Demontage ermöglichen. Die Integration in ein genormtes Baukastensystem kann diesen Prozess optimieren. Darüber hinaus müssen die Materialien den aktuellen technischen Anforderungen entsprechen und ein ressourcenschonendes Recycling gewährleisten.
Die Bauwirtschaft braucht Materialien, die gezielt für eine zirkuläre Wertschöpfung konzipiert sind. Die Entwicklung modularer oder steckbarer Baustoffe stellt hier einen entscheidenden Fortschritt dar. Solche Baustoffe ermöglichen eine einfache Trennung der einzelnen Komponenten, so dass diese effizient ausgetauscht oder wiederverwendet werden können. Dies reduziert nicht nur Abfall und Entsorgungskosten, sondern erhöht auch die Effizienz bei Sanierung und Rückbau.
Ein Beispiel sind vorgefertigte Bauelemente mit Klick- oder Steckmechanismen, die eine werkzeuglose Montage und Demontage ermöglichen. Dadurch können Bauteile wie Wände, Fassaden oder Dämmungen ohne aufwendige Trennverfahren demontiert werden. Dies ist insbesondere bei Sanierungsmaßnahmen von Vorteil, da gezielte Anpassungen ohne zerstörende Eingriffe möglich sind.
Darüber hinaus gewinnen mechanische Verbindungssysteme an Bedeutung, die eine nahezu zerstörungsfreie Demontage ermöglichen. Mechanische Verbindungen, die ohne Klebstoffe oder andere irreversible Befestigungsmethoden auskommen, bieten hier ein großes Potenzial. Insbesondere im Fassadenbau sowie bei Trenn- und Innenwänden könnten diese Systeme eine nachhaltige Alternative zu konventionellen Bauweisen darstellen.
Einfache, rückbaubare & innovative Baustoffe: Die Lösung für eine zirkuläre Bauweise
Fazit:
Die Herausforderungen des zirkulären Rückbaus sind komplex, aber nicht unlösbar; pragmatische Lösungen sind gefragt. Um eine echte Kreislaufwirtschaft im Bauwesen zu erreichen, ist es entscheidend, auf unkomplizierte, rückbaubare Baustoffe zu setzen, die modular und ohne aufwändige Trennprozesse wiederverwendet oder recycelt werden können.
In der Regel bieten Monochargen im Gebäudebestand bereits heute mit relativ geringem Aufwand einen signifikanten Beitrag zur Ressourcenschonung, indem sie eine hochwertige Verwertung ermöglichen. Kombinierte Baustoffe, die nur schwer trennbar sind, erfordern die Entwicklung innovativer Verfahren für ein hochwertiges Recycling am Ende des Lebenszyklus.
Um die Vision des nachhaltigen Bauens erfolgreich umzusetzen, ist eine verstärkte Kooperation zwischen Bauherren, Architekten, Bauunternehmern, Herstellern und Kommunen unerlässlich. Nur durch diese interdisziplinäre Zusammenarbeit kann der Bauprozess langfristig ressourcenschonend und zukunftsfähig gestaltet werden.
Ephraim Wille absolvierte sein Masterstudium in Geowissenschaften (Schwerpunkt: Mineralogie) an der Ruhr-Universität Bochum. Er ist seit rd. 17 Jahren im Baugewerbe tätig, davon 13 Jahre als Gutachter. Beim mittelständischen Unternehmen Laarakkers Rückbau & Recycling GmbH arbeitet E. Wille seit knapp vier Jahren als Kalkulator und Bodenmanager und bringt seit etwa einem Jahr aktiv den zirkulären Rück- und Tiefbau in die Laarakkers-Gruppe ein. Darüber hinaus engagiert er sich als Dozent im Studiengang Nachhaltiger Rück- und Erdbau an der Bergischen Universität Wuppertal.
Zirkuläres Bauen
Mit Beiträgen von
1. Gerhard G. Feldmeyer
Architect, Climate Responsible Strategies, Botschafter Madaster Foundation
2. baubüro in situ AG, Basel + denkstatt sàrl, Basel
3. Philipp Müller
Senior Sustainability Specialist bei Wicona
4. Markus Steppler
Geschäftsführer, Derix Gruppe
5. Simone Walser
Head of Innovation Management bei STRABAG Real Estate
Mit Beiträgen von
1. Kim Le Roux, Margit Sichrovsky & Wiebke Ahues
Architektinnen BDA & Partnerinnen LXSY, Berlin
2. Dr. Patrick Bergmann, Geschäftsführer
Madaster Germany GmbH
3. Prof. Dr. (Univ. of Florence) Elisabeth Merk
Stadtbaurätin von München
4. Thomas Bader
Geschäftsführer Leipfinger-Bader
5. Anastasiya Vitusevych
Senior Concept Development Manager, EDGE Technologies
Mit Beiträgen von
1. Dominik Campanella
Co-Founder und Geschäftsführer von Concular
2. Roberto Martinez
Strategic Sales, Commercial Business, Member of the Executive Board, Kaldewei, Ahlen
3. Patrick Teuffel
Gründer von CIRCULAR STRUCTURAL DESIGN und Professor für Innovation and Sustainability Strategies an der SRH Berlin School of Technology and Architecture
4. Michael Scharpf
Leiter Nachhaltiges Bauen, Holcim Deutschland GmbH
5. Marcel Winter & Benedikt Bührle
Architekten und Co-Founder von CMID – Component & Material Identity