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ZIRKULÄRES BAUEN: BAUEN NEU DENKEN

Die Zukunft des Bauens liegt in der nachhaltigen Nutzung von Ressourcen und der Kreislaufwirtschaft. Ziel ist es, den gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes, von der Produktion der Baustoffe bis hin zur Wiederverwertung, im Einklang mit ökologischen Prinzipien zu gestalten. Wir müssen Bauprozesse optimieren, Abfälle minimieren und Rohstoffe effizient wiederverwenden. Die Umsetzung ist herausfordernd und doch bieten sich heute enorme Chancen, die Transformation hin zu einer nachhaltigeren Bauweise aktiv zu gestalten.
Die Vorarbeit ist längst geleistet. Viele kluge Köpfe aus unterschiedlichen Bereichen haben dazu beigetragen. Teil 2 der KAP-Newsletterfolge mit Beiträgen von 1. Kim Le Roux, Margit Sichrovsky & Wiebke Ahues, LXSY Architekten | 2. Dr. Patrick Bergmann, Madaster | 3. Prof. Dr. (Univ. of Florence) Elisabeth Merk, Stadtbaurätin München | 4. Thomas Bader, Leipfinger-Bader | 5. Anastasiya Vitusevych, EDGE Technologies.
Gehen wir es an – Zukunft gestalten!
Das Redaktionsteam
Gerhard G. Feldmeyer
Architekt, Climate Responsible Strategies, Botschafter Madaster Foundation
Andreas Grosz
Initiator und Leiter KAP Forum für Architektur & Stadtentwicklung
Tobias Groß
Partner+Gestalter KAP Forum, Gründer und Leiter Studio für Gestaltung, Köln
Die Autor:innen
Kim Le Roux, Margit Sichrovsky, Wiebke Ahues, LXSY Architektur | Thomas Bader, Leipfinger Bader GmbH | Baubüro in situ AG+denkstatt sàrl | Benedikt Bührle+Marcel Winter, CMID | Dr. Patrick Bergmann, Madaster Germany | Dominik Campanella, Concular | Manuel Ehlers, Tridos Bank | Gerhard G. Feldmeyer | Marcel Gröpler für Lindner Group | Roberto Martinez, Franz Kaldewei GmbH & Co. KG | Prof. Dr. (Univ. of Florence) Elisabeth Merk, Stadtbaurätin der Landeshauptstadt München | Philipp Müller, Wicona by Hydro | Michael Scharpf, Holcim Deutschland GmbH | Ina Scharrenbach, Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Digitalisierung des Landes Nordrhein-Westfalen | Sebastian Schels, Ratisbona | Markus Steppler, Derix Group | Prof. Dr. Patrick Teuffel, Circular Structural Design | Simone Walser, STRABAG Real Estate GmbH | Ephraim Wille, Laarakkers | Anastasiya Vitusevych – EDGE Technologies

Kim Le Roux, Margit Sichrovsky & Wiebke Ahues
Architektinnen BDA & Partnerinnen LXSY, Berlin
Foto: © Foto-Hanna-Wiedemann
form follows availability
Architektur ist für uns die Ambition, in der gebauten Umwelt Lösungen für die drängendsten sozialen, gesellschaftlichen, ökonomischen und ökologischen Herausforderungen unserer Zeit zu finden. Dabei geht es uns über das bloße Schaffen von Räumen hinaus. Unser Anliegen ist es, einen positiven Einfluss auf die Gesellschaft, Kultur und Umwelt zu nehmen. Als Architekturschaffende stellen wir uns die Frage, wie wir als Gesellschaft in Zukunft zusammenleben und arbeiten möchten. In ressourcenschonendem, zirkulärem Planen und Bauen sehen wir eine Schlüsselrolle für den notwendigen Wandel in unserem Feld.
Das Umdenken im Bausektor hin zu einem kreislaufgerechten Wirtschaften ist längst keine Option mehr, sondern eine zwingende Notwendigkeit. Um die globalen Klimaziele zu erreichen, Ressourcen zu schonen und Abfall zu vermeiden, ist zirkuläres Bauen kein „nice-to-have“, sondern eine fundamentale Voraussetzung. Es geht dabei nicht nur um die Wiederverwendung von Gebäuden oder deren Teilen, sondern auch um die Rückführung von Materialien in den Baukreislauf anstelle ihrer Entsorgung. Angesichts der enormen Abfallmengen, die die Bauindustrie verursacht, ist diese Herangehensweise unabdingbar.
Zirkuläres Entwerfen bedeutet, flexibel auf bestehende Ressourcen einzugehen und den Entwurfsprozess ständig zu hinterfragen und anzupassen. Statt ausschließlich auf neu produzierte Materialien zurückzugreifen, müssen wir mit den vorhandenen Ressourcen arbeiten. Dies erfordert eine Anpassung der Bau- und Planungsprozesse sowie die vorausschauende Berücksichtigung von Reparierbarkeit und Wiederverwendbarkeit. Jedes bestehende Gebäude verstehen wir als Materiallager, das einen wertvollen Beitrag zur Ressourcennutzung leisten kann.
Unser Ziel ist es, das Bauen von morgen aktiv mitzugestalten und neue Narrative für eine positive Zukunft zu entwickeln. Die Transformation der Baubranche braucht neue, zirkuläre Prozesse, die nicht mehr linear, sondern vernetzt verlaufen. Planung, Materialbeschaffung und Lagerung, Prototyping, Bau, Nutzung und Rückbau müssen in Iterationen erfolgen, die alle miteinander verbunden sind. Hierbei sind neben den technischen und gestalterischen Aspekten auch Logistik und Gewährleistung zentrale Herausforderungen. Gemeinsam mit Auftraggebenden, Unternehmen und Handwerker:innen finden wir neue Wege innerhalb der bestehenden Rahmenbedingungen und entwickeln gemeinsam neue Prozesse, wo nötig.
Kreislaufgerechtes Bauen
Von linear zu zirkulär
Ein zirkulärer Planungsprozess erfordert eine Methodik, die den gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes berücksichtigt. Anstatt Planung als linearen Vorgang zu verstehen, müssen wiederkehrende Schleifen zwischen Konzept, Entwurf, Detaillierung und dem Testen von Re-Use-Materialien etabliert werden. Wichtige Faktoren sind dabei robuste Gestaltungskonzepte und die langfristige Dokumentation der verwendeten Baustoffe. Digitale Werkzeuge ermöglichen eine datenbasierte Arbeitsweise und eine präzise Dokumentation, sowie eine niedrigschwellige Kommunikation über urbane Minen und Materiabedarfe.
Form follows availability – Bauen mit vorhandenen Ressourcen
Die Nutzung von Materialien aus urbaner Mine oder Industrieabfällen erfordert flexible Planungsansätze. Sekundärbaustoffe sind oft nicht standardisiert verfügbar, weshalb Architekturschaffende Konzepte entwickeln müssen, die sich an die vorhandenen Materialien anpassen. Exzellentes Design, dass funktionalen Aspekten ebenso berücksichtigt wie berührende Raumerlebnisse schafft, ist dabei die Voraussetzung für eine Akzeptanz neuer Bauweisen. Herausforderungen bestehen zudem in der öffentlichen Vergabe, Zertifizierung und Gewährleistung wiederverwendeter Bauteile. Während Forschungen zur Wiederverwendung von Stahl-, Beton- und Holzelementen voranschreiten, gibt es einen großen Bedarf Prozesse zu etablieren, damit mehr Praxisbeispiele realisiert werden und dem Thema mehr Sichtbarkeit geben.
Form follows disassembly – Bauen für Wiederverwendung
Materialien müssen so eingesetzt werden, dass sie sortenrein und leicht demontierbar bleiben. Dies erfordert innovative Lösungen in Tragwerksplanung, Bauphysik sowie Brand- und Schallschutz. Die langfristige Demontierbarkeit ist noch nicht umfassend erforscht, doch erste erfolgreiche Projekte zeigen, dass vorausschauende Planung dies ermöglicht. Eine enge Zusammenarbeit mit Herstellern und Handwerksbetrieben ist essenziell. Langfristig sollten Produzierende Verantwortung übernehmen und Rücknahmeoptionen für Materialien und Bauteile anbieten. Einige Unternehmen haben bereits ihre Geschäftsmodelle entsprechend angepasst.
Rethinking standards – Bestehende Normen hinterfragen
Die rechtlichen Rahmenbedingungen für zirkuläres Bauen sind noch in der Entwicklung. Bis zur verbindlichen Standardisierung ist ein flexibler Umgang mit bestehenden Normen erforderlich. Technische Richtlinien sollen eine funktionale und zum Teil pragmatischere Bauweise ermöglichen. Ein partnerschaftlicher Umgang Auftraggebende Auftragnehmende ist die Voraussetzung für gelingende Experimente. Auch Komfortstandards, wie erhöhter Schallschutz im Wohnungsbau und scharfe Anforderungen an Schwingungen im Holzbau, müssen hinterfragt werden, da sie oft mit hohem Ressourcenverbrauch einhergehen. Darüber hinaus ist die gesamte Gesellschaft gefordert, Suffizienz neu zu bewerten: Wie viel Raum pro Person ist wirklich nötig? Wie können Bestandsgebäude wertgeschätzt und weitergenutzt werden?
Drei Prinzipien prägen das zirkuläre Bauen
Ästhetik und Baukultur im Wandel
Zirkuläres Bauen ist eine Chance, eine Baukultur zu schaffen, die in besonderer inhaltlicher Tiefe durch Materialgeschichten und Erinnerungswerte überzeugt. Der achtsame Umgang mit vorhandenen Materialien eröffnet neue gestalterische Möglichkeiten. Nachhaltigkeit wird künftig als Bestandteil exzellenten Designs wahrgenommen werden. Die Suche nach wiederverwendbaren Materialien kann zum innovativen Entwurfstreiber werden. Wiederverwendete Bauteile tragen zudem eine eigene Geschichte, die aktiv in die Gestaltung neuer Gebäude einfließen kann, um ihnen eine einzigartige Identität zu verleihen.
Unser Projekt Impact Hub Berlin im CRCLR-House ist ein Beispiel dafür, wie zirkuläres Bauen in der Praxis erfolgreich realisiert wird. Mit mehr als 70% wiederverwendeter, nachwachsender und recycelter Materialien wurde hier ein Modell für eine nachhaltige und zukunftsfähige Architektur geschaffen. Dieses Projekt beweist, dass nachhaltiges Bauen nicht nur möglich ist, sondern auch gestalterisch und funktional überzeugt. Es zeigt, wie das Bauen von morgen im Einklang mit den planetaren Grenzen und in Übereinstimmung mit einem zirkulären Wirtschaftsansatz gestaltet werden kann.
Eine Blaupause für die Zukunft: Impact Hub Berlin at CRCLR-House
LXSY beschäftigen sich mit dem zirkulären Planen und Bauen und setzen sich aktiv ein für die Transformation hin zur einer klimagerechten Baubranche, die Ressourcen schont und Müll vermeidet. Kim Le Roux, Margit Sichrovsky, Wiebke Ahues und ihr Team gestalten das Bauen von morgen positiv mit und setzen als Botschafter:innen der Bauwende neue Standards für die Zukunft der Architektur. Seit 2015 beweisen die Architekt:innen in preisgekrönten Projekten, dass exzellentes Design und nachhaltiges Planen und Bauen innerhalb von planetaren Grenzen keinen Widerspruch darstellen. Sie transformieren Bestand und sind Pionier:innen für das kreislaufgerechte Bauen. Dabei betrachten sie den gesamten Lebenszyklus eines Bauwerks, setzen Materialien von gestern ein und berücksichtigen bereits heute die Reparierbarkeit und Wiederverwendung von morgen.
www.lxsy.de

Dr. Patrick Bergmann, Geschäftsführer, Madaster Germany GmbH
Fotos: © Dr. Patrick Bergmann
Digitale Bauteilinformationen als Schlüssel für eine funktionierende Kreislaufwirtschaft
Die Bauindustrie steht an einem Wendepunkt. Die Notwendigkeit, Ressourcen effizienter zu nutzen, Gebäude nachhaltiger zu gestalten und den CO₂-Fußabdruck drastisch zu reduzieren, wächst stetig. Digitale Bauteilinformationen sind dabei der Schlüssel zu einer funktionierenden Kreislaufwirtschaft: Sie schaffen Transparenz entlang der gesamten Wertschöpfungskette, erleichtern die Wiederverwendung von Bauteilen und Materialien und heben die Bauwirtschaft auf eine neue Stufe der Nachhaltigkeit.
Die detaillierte Erfassung und Dokumentation von Material- und Bauteildaten ermöglicht es, den gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes zu analysieren. Wichtige Informationen wie Zusammensetzung, Trennbarkeit, Recyclingfähigkeit und Herkunft der Materialien werden so zugänglich gemacht. Nur durch diese Transparenz lassen sich nachhaltige Entscheidungen in der Planungs-, Bau- und Rückbauphase treffen.
Während bei Neubauten zunehmend Prinzipien der Kreislaufwirtschaft berücksichtigt werden, stellt sich die Frage, wie Bestandsgebäude nachhaltiger gestaltet werden können. Ein gutes Beispiel liefert der niederländische Energienetzbetreiber Liander, der bestehende Bürogebäude durch nachhaltige Sanierung und innovative Energiekonzepte zu energiepositiven Gebäuden transformierte. Eine solche Vorgehensweise ist jedoch nur möglich, wenn sämtliche Materialien digital erfasst und dokumentiert werden. Madaster Germany ermöglicht genau dies – eine nahtlose Integration von Gebäudedaten in digitale Materialkataster, wodurch Bestandsgebäude als wertvolle Rohstofflager betrachtet und gezielt weiterentwickelt werden können.
In der Bauplanung werden außerdem nach wie vor oft generische Datensätze genutzt, die zwar erste Orientierungshilfen bieten, aber für eine präzise Umweltanalyse nicht ausreichen. Hier kommen produktspezifische Datensätze ins Spiel, die einen größeren Mehrwert bieten. Sie enthalten detaillierte Informationen über Herstellungsverfahren, CO₂-Emissionen und Recyclingmöglichkeiten und ermöglichen so eine fundierte Planung. Beispielsweise kann dank einer Ökobilanz (LCA) bereits in der frühen Phase eines Bauprojekts die CO₂-Bilanz optimiert und planungsbegleitend eine nachhaltigere Materialauswahl getroffen werden.
Innovative Ansätze wie Industrial ReUse, bei dem Baumaterialien durch die Hersteller – also die Industrie – gezielt für neue Bauprojekte wiederverwendet werden, zeigen bereits heute, dass sich durch digitale Materialerfassung enorme Einsparpotenziale realisieren und auch ökonomische Erlöse erzielen lassen. Die digitale Erfassung von Bauteilen ermöglicht es somit ganze Gebäudestrukturen ressourcenschonend zu sanieren, anstatt sie abzureißen.
(K)eine Frage des Neubaus?
Mehr als nur hilfreiche Tools
Mit dem Gebäuderessourcenpass, den Madaster seit mehreren Jahren bereitstellt, können alle relevanten Material- und Bauteildaten systematisch erfasst werden, um Gebäude als wertvolle Rohstofflager zu dokumentieren. Nach wie vor wird die Materialdokumentation in vielen Bauprojekten manuell durchgeführt – häufig in Excel-Listen. Diese Methode ist nicht nur fehleranfällig, sondern auch äußerst ineffizient. Der Gebäuderessourcenpass vereinfacht diesen Prozess, indem er digitale Datensätze strukturiert speichert und einfach abrufbar macht. Plattformen wie Madaster ermöglichen es Bauherren und Planern, die Materialinformationen direkt über das Building Information Modeling (BIM) zu extrahieren. So lassen sich Sanierungen oder Rückbauprojekte nicht nur nachhaltiger, sondern auch wirtschaftlicher gestalten.
BIM etabliert sich zunehmend als digitales Rückgrat der Baubranche: Durch den Einsatz dieser Technologie lassen sich alle Phasen eines Bauprojekts digital erfassen – von der Materialbeschaffung über die Bauausführung bis hin zur späteren Wiederverwendung der Materialien. Madaster Germany nutzt BIM explizit, um Gebäude in digitale Rohstoffbanken zu verwandeln, die eine ressourcenschonende Bauweise ermöglichen.
Die Bauwirtschaft sieht sich zudem steigenden regulatorischen Anforderungen gegenüber. Die neue EU-Verordnung für das Ökodesign nachhaltiger Produkte (ESPR) verpflichtet Hersteller zunehmend dazu, digitale Produktpässe (DPP) für ihre Materialien bereitzustellen. Diese enthalten detaillierte Informationen über Hersteller, Materialzusammensetzung, CO₂-Bilanz und Recyclingmöglichkeiten. Unternehmen, die frühzeitig auf diese Standards setzen, sichern sich langfristig Wettbewerbsvorteile. Die EU-weite verpflichtende Einführung von Produktpässen im Bausektor ist bereits für 2026 geplant. Madaster unterstützt Unternehmen mit einer neuen Plattform-Funktion, um ihnen zu helfen sich rechtzeitig auf die Umstellung vorzubereiten. Dank spezifischer Software wird die Nachverfolgung und Optimierung der Nachhaltigkeit von Gebäuden in allen Phasen erleichtert, indem die Daten einfach in konforme Berichte (wie ESG, CSRD, EU-Taxonomie, DGNB, BREEAM, LEED, Ökobilanzierung usw.) umgewandelt werden.
Trotz der offensichtlichen Vorteile digitaler Bauteilinformationen gibt es noch Herausforderungen, die es zu bewältigen gilt. Die größte Hürde ist die fehlende Standardisierung in der Branche. Unterschiedliche Softwarelösungen und Datenformate erschweren die Integration von digitalen Materialinformationen. Hinzu kommt, dass viele Hersteller bislang noch nicht bereit oder in der Lage sind, produktspezifische Datensätze offenzulegen. Madaster Germany setzt genau hier an, indem es nicht nur eine einheitliche Datenstruktur bereitstellt, sondern auch die Verknüpfung von Daten mit bestehenden Standards und Regularien erleichtert.
Mit der zunehmenden Regulierung, insbesondere durch die EU-Taxonomie-Verordnung, wächst der wirtschaftliche Druck auf Unternehmen, nachhaltiger zu bauen. Projekte wie „The Cradle“ in Düsseldorf oder das Kreisarchiv Viersen zeigen, dass Kreislaufwirtschaft langfristig nicht nur ökologische, sondern auch finanzielle Vorteile bietet.
Die digitale Transformation eröffnet der Bauwirtschaft immense Chancen. Wer heute in digitale Bauteilinformationen investiert, sichert sich langfristig Vorteile – sowohl ökonomisch als auch ökologisch. Ein Materialkataster wie Madaster ist ein wichtiger Baustein für diese Transformation und ermöglichen es Unternehmen, ihre Gebäude fit für die Zukunft zu machen. Digitale Bauteilinformationen sind deshalb unerlässlich, um eine funktionierende Kreislaufwirtschaft im Bausektor zu etablieren.
Zwischen Hürden, Regulatorik und Chancen
Dr. Patrick Bergmann ist seit 2020 Geschäftsführer der Madaster Germany GmbH. Madaster ist die globale Online-Plattform, die den zirkulären Einsatz von Produkten und Materialien in der Bauwirtschaft ermöglicht. – Nach dem Studium der Politik und Verwaltungswissenschaft an der Universität Konstanz und Urban Environmental Management an der Wageningen University sowie einem Forschungsaufenthalt an der University of Virginia schrieb er seine Dissertation zum Thema „Life Cyle Management in the Built Environment“ am Lehrstuhl für Nachhaltigkeitsmanagement und Betriebliche Umweltökonomie an der Technischen Universität Dresden. Anschließend war er im Bereich Immobilien- und Unternehmensbewertung bei PwC in Berlin und Brüssel tätig.

Prof. Dr. (Univ. of Florence) Elisabeth Merk
Stadtbaurätin von München
Foto: © Ilona Stelzl
München setzt auf Zirkuläres Bauen.
Die bayerische Landeshauptstadt München gehört zu den stärksten Wirtschaftsstandorten in Deutschland und Europa. München hat derzeit über 1,5 Mio. Einwohner*innen und wächst weiter intensiv, so dass Bauen und Wohnen zentrale Themen der Stadtpolitik sind. Gleichzeitig hat sich München ambitioniert dem Klimaschutz verschrieben – bis 2035 soll die Stadt klimaneutral sein, die Stadtverwaltung bereits bis 2030. Seit 2022 ist München Zero Waste City. Um die Abfallquote im Bau- und Gebäudebetrieb zu verringern, etabliert München im städtischen Bausektor zirkuläres Bauen und das Recycling von Baustoffen, z.B. im integrierten Quartiersansatz für klimaneutrale und klimaresiliente Quartiere. Die Prinzipien der Kreislaufwirtschaft will München in allen Bereichen umsetzen und hat sie deswegen als einen von sieben Handlungsspielräumen der Stadt in der Klimasatzung verankert. Zur Beförderung der Umsetzung wurde eine Circular Economy Koordinierungsstelle geschaffen, unter deren Führung unter anderem über das EU-finanzierte Projekt CirCoFin lokale Material- und Bauteilbörsen entwickelt werden.
Auf städtischer Ebene wurde 2021 der aktuelle ökologische Kriterienkatalog beschlossen. Die Landeshauptstadt München verbindet den Verkauf oder die Vergabe städtischer Flächen in Erbpacht mit Vorschlägen und Vorgaben für die geplanten Bauvorhaben. Der Ökologische Kriterienkatalog enthält Mindestvorgaben, Empfehlungen und Hinweise zur Gebäudeplanung, zu Baustoffen, Wärmeschutz, Haustechnik, Stellplätzen, Außenanlagen, Artenschutz und zur Abfallentsorgung. Eine weitere Fortschreibung, die sich näher mit dem Thema der Zirkularität auseinandersetzt, ist derzeit in Bearbeitung.
Erfahrungen im zirkulären Bauen möchte die Landeshauptstadt in konkreten Pilotprojekten sammeln und daraus verbindliche Vorgaben für die Stadtentwicklung erarbeiten. Im Mai 2022 wurde das Referat für Stadtplanung und Bauordnung vom Stadtrat damit beauftragt, Pilotprojekte für geförderte und preisgedämpfte Wohnungsbauten auf städtischen Grundstücken im Sinne des Zero Waste Gedankens und des zirkulären Bauens umzusetzen. Ziel der Pilotprojekte ist es, die Kreislaufwirtschaft im Bausektor möglichst in der Breite zu verankern. Für zwei Neubauvorhaben im Baugebiet „Lerchenauer Feld“ wurden hierfür bereits die Weichen gestellt. Die Umsetzung des ersten Pilotprojekts erfolgt gemeinsam mit der Münchner Wohnen (städtische Wohnungsbaugesellschaft) und legt den Fokus auf ressourcenschonendes Design, während ein zweites, genossenschaftliches Vorhaben weitere Aspekte des zirkulären Bauens erproben soll.
Das EU-Projekt „URGE: Circular Building Cities“ in Neufreimann stellt ein EU-weites Pilotprojekt dar. Im Norden Münchens liegt das circa 50 Hektar große Gelände des ehemaligen Militärgeländes “Bayernkaserne”. Bis 2030 sollen dort 5.500 neue Wohnungen mit gedeckelten Mieten für circa 15.000 Menschen entstehen, außerdem Schulen, Sportanlagen, ein Stadtpark und alles, was ein dicht bebautes modernes Stadtviertel lebenswert macht. 2019 beschloss der Münchner Stadtrat dafür ein innovatives Recyclingkonzept mit dem Fokus auf Grauer Energie. Im Pilotprojekt lässt das Kommunalreferat beim Abriss der alten Kasernengebäude Bauschutt direkt vor Ort sortieren und wiederaufbereiten, so dass große Teile davon als Recycling-Beton in den Neubauten Verwendung finden. Anfallendes Erdreich wird zudem getestet und für den Gartenbau oder die Landwirtschaft verwendet. Das Baustoff-Recycling vermeidet auch hohe Entsorgungskosten. So kann die Stadtverwaltung zeigen, dass die Kreislaufwirtschaft ökologischen und wirtschaftlichen Nutzen schafft.
Ein weiteres Vorreiter-Projekt ist „Creating NEBourhoods Together, Circular Neuperlach“. Ziel ist es hierbei, Wissen über Räume, Nutzungsmöglichkeiten, Konstruktionen und Materialien von Nicht-Wohngebäuden in Neuperlach zu generieren, um deren möglichen Beitrag zu einer Transformation des Quartiers im Sinne der Zirkularität darzustellen. Es wird eine Methodik entwickelt, die die unterschiedlichen Interessensgruppen aus Immobilienwirtschaft, Stadtverwaltung, Planung, und Zivilgesellschaft einbindet und gleichzeitig unternehmerische Chancen bietet. Die Beteiligten werden mit relevanten Netzwerken verbunden. Eine Ausstellung vermittelt die Perspektiven und die Notwendigkeit der Zirkularität in Nutzung, Planung und Bauen einem breiten Publikum. In einer „Circularity Roadmap“ werden die Ergebnisse zusammengefasst, um langfristig zirkuläre Gebäude und damit verbundene Praktiken in Neuperlach zu etablieren und auf andere Stadtteile und Städte in Deutschland und Europa übertragbar zu machen.
Auch in den Sanierungsgebieten der Stadt ist das Thema Bestandserhalt und Kreislaufwirtschaft von zentraler Bedeutung. Ein Beispiel dafür ist das Projekt Lätare-Kirche im Sanierungsgebiet Neuperlach Nord. Das Gemeindezentrum der evangelisch-lutherischen-Lätare-Gemeinde ist instandsetzungsbedürftig und architektonisch nicht mehr zeitgemäß. Im Zuge der programmatischen und baulichen Weiterentwicklung des Standorts mit dem Ziel, das Gemeindezentrum für kirchliche Funktionen zu erhalten und durch zusätzliche Nutzungen (Bildung, Kultur, Soziales) zu ergänzen, soll im Jahr 2025 unter Berücksichtigung von Nachhaltigkeitskriterien ein architektonisch-freiraumplanerischer Realisierungswettbewerb durch das Kirchengemeindeamt zur Neuordnung des Areals ausgelobt werden. Thematisch sollen dabei die Bereiche Klimaanpassung, die energetische Sanierung der Gebäude sowie die sozialgerechte Sanierung eine wesentliche Rolle spielen. Der Bestandserhalt sowie die Umsetzung zirkulären Bauens im Falle von notwendigen Rückbauten (Wiederverwendung von Baumaterialien) sind als grundsätzliche Vorgaben im Rahmen der Wettbewerbsauslobung vorgesehen.
München integriert den Gedanken der Zirkularität und der klimagerechten Bauweise in die Entwicklung von neuen Stadtvierteln. Ziel des neuen Wohnstandorts Freiham Nord im Münchner Westen, in dem über 25.000 Menschen leben und fast 15.000 arbeiten werden, ist eine nachhaltige Stadtentwicklung, die den ökonomischen, ökologischen und sozialen Anforderungen gleichermaßen gerecht wird. Der erste von zwei Realisierungsabschnitten wird seit 2016 baulich umgesetzt. Für den zweiten Realisierungsabschnitt wurde im April 2018 ein internationaler Wettbewerb entschieden. Bei der Vergabe von städtischen Grundstücken wird angestrebt, 50 % der Gebäude in Holzbau- bzw. Holzhybridbauweise zu realisieren. Im Zuge der Rahmenplanung wurde die Eignung von Baufeldern für eine Holz- bzw. Holzhybridbauweise, soweit in dieser Planungsphase möglich, untersucht. Mit dem Bau von Quartiersgaragen (Mobilitätshäuser und -Regale) anstelle der herkömmlichen Tiefgaragen soll zum Einem Wohnen vom Parken entkoppelt und zum anderen durch die entfallende Versiegelung und Unterbauung der Innenhöfe die Freiflächengestaltung und -qualität, insbesondere durch die Pflanzung von Großbäumen deutlich verbessert werden. Zudem sollen die Mobilitätshäuser, die Möglichkeit einer späteren Umnutzung durch Teilrückbau berücksichtigen, dadurch Graue Energie einsparen und einen Beitrag zur Zirkularität leisten.
München geht mit großen Schritten in Richtung einer klimaneutralen Stadt und setzt auf zirkuläres Bauen als einen zentralen Baustein in diesem Prozess. Die Kombination aus innovativen Projekten, integrativen Quartiersansätzen und der Etablierung umweltfreundlicher Mindeststandards bietet vielversprechende Lösungen für die Herausforderungen der urbanen Entwicklung. Durch die konsequente Umsetzung dieser Strategien kann München nicht nur seine Klimaziele erreichen, sondern auch lebendige, nachhaltige und zukunftsfähige Stadtteile schaffen, die den Bedürfnissen ihrer Bewohner gerecht werden.
Prof. Dr. (Univ. Florenz) Elisabeth Merk, Architektin, ist seit 2007 Stadtbaurätin von München. Nach freiberuflicher Tätigkeit und einem weiterführenden Studium in Florenz war sie 1995-2000 in München und Regensburg verantwortlich für Stadtgestaltung, städtebauliche Denkmalpflege und Sonderprojekte. 2000-2005 leitete sie das Stadtplanungsamt in Halle/Saale. Elisabeth Merk war 2005-2007 Professorin an der HfT Stuttgart und ist dort seit 2009 Honorarprofessorin. 2020 hat sie eine Honorarprofessur an der Technischen Universität München erhalten. Von 2015 bis 2022 war sie Präsidentin der Deutschen Akademie für Städtebau und Landesplanung. Sie ist Beisitzerin im Bau- und Verkehrsausschuss des Dt. Städtetages und Mitglied des Bau- und Planungsausschusses des Bayer. Städtetages, des UNESCO Netzwerkes Conservation of Modern Architecture and Integrated Territorial Urban Conservation, des ICOMOS, des Deutschen Werkbundes, des Kuratoriums für nationale Stadtentwicklungspolitik sowie im Beirat der Bundesstiftung Baukultur.

Thomas Bader
Geschäftsführer Leipfinger-Bader
Foto: © Marina Geckeler
Bauen neu zu denken erfordert Mut.
Den Mut, Visionen zu haben und diesen Visionen auch nachzugehen. Denn obgleich Tradition in der Baubranche zu Recht ein hohes Gut ist, braucht es doch neue Wege, um zu neuen Zielen zu gelangen. Innovationstreiber sind in Deutschland seit jeher der Mittelstand und die Familienunternehmer. Doch welche Art von Innovation führt das Bauwesen einerseits aus der gegenwärtigen Krise – und macht es zugleich dauerhaft zukunftsfähig?
Um hier Antworten zu finden, muss man auf die gesellschaftlichen Fragen unserer Zeit schauen. Da ist zum einen das Thema bezahlbarer Wohnraum. Noch immer fehlen in Deutschland mindestens 500.000 Wohnungen. Der Bedarf zu bauen ist also da – und er ist groß. Das andere Thema ist aber der ökologische Fußabdruck. Denn im Zentrum des zukunftsfähigen Bauens steht vor allem der Umgang mit endlichen Ressourcen.
Genau hier setzt zirkuläres Bauen an: Ressourcen wieder verfügbar zu machen, die zuvor bereits genutzt werden konnten. Auf dieser Ebene müssen wir uns fragen: Welche und wie viele Ressourcen sind für die Baustoff-Herstellung nötig? Gibt es Möglichkeiten, die endlichen Rohstoffe sinnvoll zu ersetzen – oder lässt sich zumindest ein Kreislauf etablieren? Diesen Fragen sind wir innerhalb der Unternehmensgruppe Leipfinger-Bader nachgegangen. Und zwar nicht ohne Risiko, denn in Deutschland stehen sowohl Überregulierung und Bürokratie als auch unzureichende Fördermöglichkeiten dem Mut zu neuen Wegen deutlich entgegen.
Es ist der „Cradle to Cradle“-Gedanke, der den Kern des zirkulären Bauens bildet: Wiege zu Wiege statt Wiege zu Bahre. Ein für uns entscheidender Schritt war hier die Entwicklung und Inbetriebnahme unserer Ziegel-Recyclinganlage, denn etwa zehn Millionen Tonnen des jährlich bundesweit anfallenden Bauschutts gehen auf Abbruchziegel oder ziegelreiche Stoffgemische zurück. Dank der Recyclinganlage konnten wir 2020 als erster Ziegelhersteller in Deutschland einen geschlossenen Wertstoffkreislauf „in den eigenen Reihen“ etablieren.
Tatsächlich sind Bauabfälle hierzulande der mengenmäßig wohl bedeutendste Rohstoffstrom. Wie wichtig Recycling in der Baustoffindustrie ist, zeigt auch die Rechtslage: Gemäß EU-Verordnung 305/2011 ist es vorgegeben, Bauwerke so zu gestalten, dass die natürlichen Ressourcen nachhaltig genutzt werden können. Insbesondere muss gewährleistet sein, dass das Bauwerk nach dem Abriss wiederverwertet oder recycelt werden kann. In Deutschland findet dies Umsetzung im Kreislaufwirtschaftsgesetz von 2012. Die tatsächliche Wiederverwendung von Bauabfällen ist bisher jedoch stark eingeschränkt. Ein Großteil der anfallenden Stoffströme findet Verwendung als Verfüllung oder Straßenunterbau, während hochwertige Recyclingbaustoffe nur selten hergestellt werden. Also Weiterverwendung, ja, aber echte Wiederverwendung? Nein. Da muss man ansetzen.
Allerdings kann und wird Recycling nie die alleinige Lösung des Ressourcenproblems sein können. Denn auch, wenn derlei Maßnahmen weiter ausgebaut werden, stellt sich die Frage: Wie viel Material lässt sich überhaupt aus Rückbau gewinnen – und wie viel Neubau brauchen wir? Hier klafft eine enorme Lücke. Eine mindestens ebenso bedeutsame Facette für zukunftsfähiges Bauen ist daher das Vorantreiben der Forschung und Entwicklung im Bereich der verwendeten Materialien und Baustoffe.
Des einen Abfall ist des anderen Schatz
Entwicklung vorantreiben heißt auf Zukunft bauen
Pioniergeist im Rahmen der Baustoffentwicklung beweist etwa der „Kaltziegel“, dessen Basis sortenreine Ziegelreste bilden – also ein Ziegel-Recycling-Produkt. Neben besonders feinkörnigen Fraktionen aus unserer Recyclinganlage, fallen diese beispielsweise auch als „Pre-Consumer Waste“ beim Schleifen von Planziegeln an, welcher so ebenfalls wieder in den Kreislauf eingebracht wird. Versetzt mit einer speziellen Bindemittel-Mischung werden die Ziegelkörnungen dann in einem eigens entwickelten Pressverfahren verfestigt und anschließend an der Luft bei Umgebungstemperatur getrocknet. Ein Brennvorgang entfällt mit dieser Fertigungsweise komplett – daher der Name „Kaltziegel“. Das spart nicht nur Energie, sondern senkt auch Emissionen in der Herstellung. Ein doppelter Erfolg, denn im Bausektor ist der CO2-Ausstoß nach wie vor immens.
Wir müssen also nicht nur mit weniger auskommen, wir müssen auch „sauberer“ werden. Hier setzen weitere Produktentwicklungen an. So ist beispielsweise Lehm ein wertvoller Rohstoff zur Herstellung besonders umweltverträglicher Baustoffe. Ob Lehmputz, Lehmmauerwerk oder Lehmfertigteil: Lehmbauprodukte sind nicht nur besonders umweltfreundlich und nachhaltig, sondern auch vollständig kreislauffähig und klimaneutral. Schon heute nehmen wir zur Herstellung unserer Produkte Lehm und Ton an, die anderswo im Rahmen notwendiger Erdarbeiten anfallen – etwa der entstehende Lehm-Rohstoff bei Baumaßnahmen der Deutschen Bahn (DB).
Einen interessanten Ansatz bietet auch das EU-geförderte Projekt „EASI ZERo“, an dem sich Leipfinger-Bader – ganz im Sinne des zukunftsfähigen Bauens – ebenfalls beteiligt: 16 europäische Partner aus Industrie und Forschung wollen hier gemeinsam ein System entwickeln, das nachhaltige Materiallösungen für die gesamte Gebäudehülle bietet. Zielsetzung ist es, die thermische Leistung der Gebäudehülle um 20 Prozent zu verbessern. Gleichwohl soll der ökologische Fußabdruck dabei so klein wie möglich ausfallen. Dafür kommen ausschließlich biologisch erzeugte und recycelte Materialien zum Einsatz.
Spricht man über den Einsatz von Materialien, sollte zudem immer auch die Quantität eine Rolle spielen. Stichwort Dematerialisieren: Am Beispiel Mauerziegel wäre das prägnanteste Merkmal wohl die – über Jahrzehnte immer weiter vorangeschrittene – Materialeinsparung durch Hohlräume in den Ziegeln, ohne jedoch deren Schutzwert zu beeinträchtigen, bei gleichbleibender Lebensdauer von mindestens 150 Jahren.
Gerade beim Mauerziegel ist die erste Assoziation häufig „Traditionsbaustoff“. Doch Tradition kann nur werden, was sich über lange Zeit bewährt hat – und das ist niemals gleichbedeutend mit Stillstand. Auch tradierte Bauweisen und -stoffe sind längst in der Moderne angekommen. So haben wir beispielsweise den Ziegelmodulbau vorangetrieben. Zugeschnitten auf die Bedürfnisse moderner Bauvorhaben liegt der Fokus hier auf schnellen Bauzeiten: Seriell vorgefertigte Ziegelwände ermöglichen eine besonders zügige Errichtung von Einfamilien- und Mehrfamilienhäusern sowie gewerblichen Gebäuden oder sogar öffentlichen Bauten wie beispielsweise Kasernen – ohne jedoch auf die bauphysikalischen Vorteile einer Ziegelwand verzichten zu müssen. Auch hier werden Ressourcen geschont, da die Vorfertigung Einsparungen ermöglicht. Zudem lassen sich schon werksseitig etwa Rollladenkästen mit eingebetteten Lüftungssystemen integrieren, welche wiederum Effizienzhaus-40-Standard QNG ermöglichen und so den Anspruch an Nachhaltigkeit gleich doppelt bedienen. Auf dieser Grundlage können Rohbauten in kürzester Zeit errichtet werden, was eine Kostenersparnis zur Folge hat. Denn Fakt ist auch: Bezahlbarer Wohnraum kann nur über wirtschaftliches Bauen erreicht werden. Und um Kosten zu senken, ist der Modulbau eine entscheidende Stellschraube.
Modulbau als Wegweiser
Stolper- statt Bausteine auf dem Weg zu neuen Zielen
Bei aller Motivation zum Aufbruch in ein neues Zeitalter des Bauens, scheitert vieles an den derzeitigen politischen sowie wirtschaftlichen Gegebenheiten. Ein entscheidender Faktor ist dabei die eingangs erwähnte Überregulierung. Die Hürden für die Industrie sind vielfältig, angefangen mit der Bürokratie: Es herrscht ein Wust an Genehmigungsverfahren, Auflagen und Dokumentationspflichten. Es folgen Zölle und Steuern, Risikobeurteilungen, Konformitätserklärungen und Mitarbeiterunterweisungen, Kennzeichnungspflichten, jährliche Prüfungen sowie die Anforderungen der Berufsgenossenschaften. Kurz gesagt: kein freundliches Klima für Werte schaffenden Unternehmergeist.
Auch die Vielzahl an Anträgen und Nachweisen im Rahmen existierender Förderprogramme hat eher eine abschreckende als anspornende Wirkung. Ähnliches gilt für den Wohnungsbau. Doch um Bauen nachhaltig, ökologisch und zukunftsfähig zu gestalten, braucht es Forschungsdrang und Unternehmergeist. Denn Innovationen entstehen in Unternehmen – und zwar in den kreativen Köpfen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Thomas Bader leitet das Familienunternehmen Leipfinger-Bader in der fünften Generation. Unter seiner Führung wurde die Firmengruppe, deren Wurzeln in der industriellen Mauerziegel-Produktion liegen, durch Zukäufe und Neugründungen stark ausgebaut. Baders Vision für die Bauindustrie zielt auf die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum und die Förderung nachhaltiger, ressourcenschonender Bauprojekte ab.

Anastasiya Vitusevych
Senior Concept Development Manager, EDGE Technologies
Foto: © SSebastian Gabsch
„Wie smart ist das denn!“ Zirkulär bauen als Prinzip.
Nachhaltigkeit ist für uns bei Edge weit mehr als ein Schlagwort, ein Trend oder gar eine regulatorische Notwendigkeit. Sie ist bei uns elementarer Bestandteil unserer DNA, Verpflichtung und oberstes Ziel, das wir mit jedem neuen Gebäude bestmöglich realisieren möchten. Um dieses Ziel zu erreichen, implementieren wir innovative Technologien und Materialien, integrieren passgenaue nachhaltige und kreislaufwirtschaftliche Konzepte und investieren in digitale Lösungen, um die Energieeffizienz und den nachhaltigen Betrieb der Gebäude zu optimieren.
Zudem legen wir großen Wert auf die Integration von Technologien und Konzepten, die das Wohlbefinden und die Gesundheit der Nutzer fördern. Bei Edge fokussieren wir intelligente, gesunde, nachhaltige und langlebige Bauweisen.
In Deutschland sind wir bekannt für smarte und nachhaltige Büroprojekte wie zum Beispiel EDGE ElbSide, EDGE East Side und EDGE Südkreuz. Bei allen drei handelt es sich um Neubauprojekte.
EDGE Südkreuz haben wir 2022 in Berlin fertiggestellt. Es ist das bis dahin größte in Europa realisierte Gebäudeensemble in Holzhybrid-Konstruktion. Damit betraten wir in vielfältiger Weise Neuland. Neben der Herausforderung, ein Holzhybridgebäude dieser Größenordnung ganz ohne Sprinkleranlage zu planen und zu errichten, konnten wir damit auch in Hinblick auf die Nachhaltigkeit einer Immobilie neue Maßstäbe setzen. Und: EDGE Südkreuz erzielte mit einem Erfüllungsgrad von 95,4 Prozent den bis dahin höchsten Wert einer DGNB-Zertifizierung.
Dass EDGE Südkreuz in punkto Kreislaufwirtschaft Vorreiter ist, liegt unter anderem am Einsatz digitaler Technologien. Es ist das erste Gebäude in Deutschland, dessen verbaute Elemente bis auf die Technische Gebäudeausstattung auf eine Materialdatenbank hochgeladen worden sind. Somit können sie in ferner Zukunft eindeutig identifiziert und nach dem Ende des Gebäudelebenszyklus für eine weitere Nutzung bereitgestellt werden. Möglich war dieses Vorgehen dank der Aufarbeitung des vorhandenen BIM-Modells.
In den vergangenen Jahren hat man sich auch in Deutschland stets mehr dem Baubestand zugewendet und damit der Aufgabe, ihn zukunftsfähig zu machen. Edge kann diesbezüglich auf umfangreiche Erfahrungen aus den Niederlanden zurückgreifen. Mit EDGE Amsterdam West konnten wir ein energiepositives Gebäude schaffen und die höchsten Nachhaltigkeitsstandards erfüllen. In EDGE Amsterdam West realisierten wir dies jedoch mit einem Bestandsgebäude unter einer größtmöglichen Verwendung nicht nur der vorhandenen Bausubstanz, sondern auch der Materialien, die wir vorfanden. Das visionäre Bürogebäude EDGE Amsterdam West hat eine beeindruckende Transformation durchlaufen. Ursprünglich in den 1970er Jahren von den Architekten Oyevaar, Stolle & van Gool entworfen, galt es als eines der ersten modernen Bürogebäude der aufstrebenden Stadtentwicklung in diesem Gebiet. Sein innovatives offenes Raumkonzept sowie die robuste Bauweise und Materialität machten es zu einem idealen Kandidaten für eine nachhaltige Neugestaltung.
Im Jahr 2022 wurde das Gebäude durch uns in Kooperation mit dem Bestandsarchitekten modernisiert, um den Anforderungen einer zukunftsfähigen Arbeitswelt gerecht zu werden – ohne dabei seinen ursprünglichen Charakter zu verlieren. Die architektonische Handschrift des Originalentwurfs bleibt erhalten, während modernste Technologien und nachhaltige Lösungen integriert wurden.
Mit dieser zukunftsweisenden Erneuerung setzt EDGE Amsterdam West ein Zeichen für die gelungene Verbindung von Architekturgeschichte und innovativer Arbeitswelt.
Nach dem gleichen Ansatz haben wir auch unser Headquarter EDGE Olympic in Amsterdam gestaltet. Anstatt ein bestehendes Gebäude abzureißen, zeigt EDGE Olympic, wie nachhaltige Stadtentwicklung aussehen kann: Durch die Wiederverwendung der ursprünglichen Struktur und Materialien wurde der Bedarf an neuen Rohstoffen erheblich reduziert.
Dieses vorbildliche Konzept zahlt sich aus. Das Gebäude wurde mit den renommierten Zertifikaten WELL Platinum und BREEAM Excellent ausgezeichnet, hatte als eines der ersten Gebäude in den Niederlanden einen Materialpass und erfüllt zudem die Anforderungen der DGBC Paris-Proof-Zertifizierung für einen sehr niedrigen Energieverbrauch im Betrieb.
Hier ist nicht nur neu eingebautes Material recycelbar. Die Aufstockung von zwei Etagen wurde mit einer Cradle to Cradle-zertifizierten dreifachverglasten Fassade versehen. Alte Fassadenplatten aus Granit wurden zum neuen Fußboden, vorhandene Holzträger wurden aufgearbeitet.
Ein weiteres Pilotprojekt ist das Headquarter der Triodos Bank in der Nähe von Utrecht. Das Gebäude ist nicht nur vollständig aus Holz errichtet, sondern folgt auch einem konsequent zirkulären Konzept – von der Planung bis zur Wiederverwertung der Materialien.
Jahrelange Vorbereitung und eine umfassende Analyse der regionalen Ökologie, Kulturgeschichte und Archäologie gingen dem Bau voraus. Das Ziel: ein Bürogebäude, das sich harmonisch in die Umwelt einfügt und die Natur in den Mittelpunkt stellt. In enger Zusammenarbeit mit Architekten und Nachhaltigkeitsexperten entstand ein zukunftsweisendes Design, das moderne Arbeitswelten mit ökologischer Verantwortung verbindet.
Besondere Sorgfalt galt während des gesamten Bauprozesses dem Schutz der Natur. Bohren und Schleifen waren auf der Baustelle untersagt, um Lärm und Eingriffe in die Umwelt zu minimieren. Stattdessen wurden viele Bauelemente bereits an anderer Stelle vorgefertigt und vor Ort montiert. Auch im Innenraum setzten wir bei Triodos auf Nachhaltigkeit: Sämtliches Holz stammt aus recycelten Beständen des Landguts De Reehorst und der Utrechtse Heuvelrug.
Das Ergebnis dieser durchdachten Bauweise ist ein energieautarkes Gebäude, das nicht nur klimaneutral betrieben wird, sondern auch ein innovatives Kreislaufmodell verfolgt. Die Fassade wurde nicht gekauft, sondern vom Hersteller geleast – am Ende der Gebäudenutzung wird sie zurückgegeben und für weitere Bauprojekte aufbereitet – ein perfektes Beispiel für eine funktionierende Kreislaufwirtschaft.
Diese Beispiele zeigen, wie stark Kreislaufwirtschaft heute zentraler Bestandteil unserer Strategie ist. Durch den Einsatz von Digital Twins und BIM sowie durch innovative Konzepte wie Product-as-a-Service schaffen wir Gebäude, die nicht nur nachhaltig sind, sondern auch wiederverwendbar und anpassungsfähig. Viele unserer Projekte zeigen, wie wir Recycling und Demontage in unsere Bauweise integrieren.
Kreislaufdenken in allen Facetten
Im Fokus: Ressourcen- und Klimaschutz
Die Prinzipien „Reduce, Reuse, Recycle“ bilden die Grundlage für nachhaltiges Bauen und tragen dazu bei, den ökologischen Fußabdruck von Bauprojekten deutlich zu verringern. Ein zentrales Element ist dabei die Wiederverwendung von Materialien. Bauteile und Materialien werden so konzipiert, dass sie nach dem Abriss eines Gebäudes wiederverwendet oder recycelt werden können. Dabei kommen unter anderem Technologien wie Building Information Modeling (BIM) und Gebäuderessourcenpässe und -datenbanken zum Einsatz.
Ein zentraler Aspekt ist der effiziente Umgang mit Rohstoffen und Energie. Durch sorgfältige Planung und die Vorfertigung von Modulen lassen sich sowohl der Energieverbrauch senken als auch Ressourcen optimal nutzen. Projekte wie EDGE Südkreuz und EDGE Amsterdam West demonstrieren, wie solche Maßnahmen zur Reduzierung des ökologischen Fußabdrucks beitragen.
Ebenso spielt die Abfallvermeidung eine entscheidende Rolle. Das Ziel besteht darin, nahezu keine Abfälle zu erzeugen und den gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes nachhaltig zu gestalten. Ein Beispiel dafür ist das derzeit entstehende Projekt EDGE Friedrichpark, bei dem über 95 % der Bauabfälle für das Recycling vorbereitet werden.
Neben den ökologischen Vorteilen bietet diese Vorgehensweise last but not least auch ökonomische Vorteile. Durch die Reduzierung von Material- und Entsorgungskosten und der Einsparung von (zukünftigen) CO2-Preisen können Bauprojekte kostengünstiger realisiert werden. Außerdem schafft das Weiterverwenden von bestehenden Bauteilen und Materialien vor Ort Abhilfe von der Abhängigkeit der oft globalen Lieferkette, was in den letzten Jahren in der Branche aus geopolitischen Gründen immer wieder zu Bauverzögerungen geführt hat. Damit trägt kreislaufwirtschaftliches Handeln nicht nur zum Umweltschutz, sondern auch zur langfristigen Wirtschaftlichkeit von Bauprojekten bei, indem der Rohstoffverbrauch und das Abfallaufkommen minimiert werden.
Anastasiya Vitusevych
2012-2013 RMIT University, Master of Science – MS, Architektur
2008-2014 Technische Universität Berlin, MS, Architektur
2014-2015 gmp von Gerkan, Marg and Partners Architects
2015-2019 LAVA (Laboratory for Visionary Architecture)
2019-2021 EDGE Technologies, Associate Development Manager
2021-2025 EDGE Technologies, Development Manager
2025-heute EDGE Technologies, Senior Concept Development Manager
Zirkuläres Bauen
Mit Beiträgen von
1. Gerhard G. Feldmeyer
Architect, Climate Responsible Strategies, Botschafter Madaster Foundation
2. baubüro in situ AG, Basel + denkstatt sàrl, Basel
3. Philipp Müller
Senior Sustainability Specialist bei Wicona
4. Markus Steppler
Geschäftsführer, Derix Gruppe
5. Simone Walser
Head of Innovation Management bei STRABAG Real Estate