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ZIRKULÄRES BAUEN : BAUEN NEU DENKEN

Die Zukunft des Bauens liegt in der nachhaltigen Nutzung von Ressourcen und der Kreislaufwirtschaft. Ziel ist es, den gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes, von der Produktion der Baustoffe bis hin zur Wiederverwertung, im Einklang mit ökologischen Prinzipien zu gestalten. Wir müssen Bauprozesse optimieren, Abfälle minimieren und Rohstoffe effizient wiederverwenden. Die Umsetzung ist herausfordernd und doch bieten sich heute enorme Chancen, die Transformation hin zu einer nachhaltigeren Bauweise aktiv zu gestalten.
Die Vorarbeit ist längst geleistet. Viele kluge Köpfe aus unterschiedlichen Bereichen haben dazu beigetragen. In vier KAP-Newsletterfolgen wollen wir aus verschiedenen Perspektiven zeigen, was geht und wie wir mit dem Zirkkulären Bauen voran kommen. Die Beiträge bilden nahezu alle Bereiche des Zirkulären Bauens ab: Projektentwickler, Finanzbranche, Architekten, Produzenten, Bauwirtschaft, Berater, Kommunen, Start ups und Politik …
Der Austausch von Ideen und Lösungen steht für uns im Vordergrund.
Gehen wir es an – Zukunft gestalten!
Das Redaktionsteam
Gerhard G. Feldmeyer
Architekt, Climate Responsible Strategies, Botschafter Madaster Foundation
Andreas Grosz
Initiator und Leiter KAP Forum für Architektur & Stadtentwicklung
Tobias Groß
Partner+Gestalter KAP Forum, Gründer und Leiter Studio für Gestaltung, Köln
Die Autor:innen
Kim Le Roux, Margit Sichrovsky, Wiebke Ahues, LXSY Architektur | Thomas Bader, Leipfinger Bader GmbH | Baubüro in situ AG+denkstatt sàrl | Benedikt Bührle+Marcel Winter, CMID | Dr. Patrick Bergmann, Madaster Germany | Dominik Campanella, Concular | Manuel Ehlers, Tridos Bank | Gerhard G. Feldmeyer | Marcel Gröpler für Lindner Group | Roberto Martinez, Franz Kaldewei GmbH & Co. KG | Prof. Dr. (Univ. of Florence) Elisabeth Merk, Stadtbaurätin der Landeshauptstadt München | Philipp Müller, Wicona by Hydro | Michael Scharpf, Holcim Deutschland GmbH | Ina Scharrenbach, Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Digitalisierung des Landes Nordrhein-Westfalen | Sebastian Schels, Ratisbona | Markus Steppler, Derix Group | Prof. Dr. Patrick Teuffel, Circular Structural Design | Simone Walser, STRABAG Real Estate GmbH | Ephraim Wille, Laarakkers | Anastasiya Vitusevych – EDGE Technologies

Gerhard G. Feldmeyer
Architect, Climate Responsible Strategies, Botschafter Madaster Foundation
Foto: © Gerhard G. Feldmeyer
Zirkuläres Bauen – jetzt!
Wenn wir unseren Planeten langfristig wieder ins Gleichgewicht bringen wollen, dürfen wir durch unser Wirtschaften nur so viele Ressourcen verbrauchen und schädliche Emissionen freisetzen, wie die Natur verkraften kann. Derzeit sind jedoch bereits 6 der 9 planetarischen Grenzen überschritten. Was den Ressourcenverbrauch betrifft, leben wir also auf Kosten der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft – gleichzeitig! Dass dies im geschlossenen System Erde, in dem nichts (außer Energie) hinzukommt und nichts weggeht, nicht gut gehen kann, ist selbsterklärend und rein physikalisch bedingt. Das lineare Wirtschaftsprinzip, Take – Make – Waste hat spätestens jetzt seine Grenzen erreicht. Es ist höchste Zeit, den Übergang in die Kreislaufwirtschaft zu gestalten – in eine Welt mit drastisch weniger Abfall. In eine Welt, in der Gebäude keine „gebauten Deponien“ sind, sondern wertvolle Rohstofflager.
Verheerend ist, dass über die stoffliche und produktspezifische Zusammensetzung unserer gebauten Umwelt bisher kaum auswertbare Daten vorliegen. Auf jeder Lebensmittelverpackung sind die Inhaltsstoffe genau aufgelistet, über die Inhaltsstoffe unserer Gebäude ist die Datenlage dürftig. Warum ist der Gebäude-Ressourcen-Pass nicht längst obligatorisch für jedes Projekt unabhängig ob Neubau, Umbau oder Bestand? Ressourcen ohne Identität laufen Gefahr als Abfall zu enden. Schließlich geht es nicht zuletzt um die Sicherung von Vermögenswerten. Auf Basis eines BIM-basierten Planungsprozesses, Stichwort Digitaler Zwilling, kann der Gebäuderohstoffpass sogar weitgehend automatisiert ausgelesen werden. Diesen Materialpass in einem digitalen Materialkataster zu erfassen, ist schon deshalb sinnvoll, weil er im Laufe des Lebenszyklus des Gebäudes immer wieder aktualisiert werden muss. Veränderungen durch Mieterwechsel, Umbauten und Sanierungen müssen nachgeführt werden.
Der Bau- und Immobiliensektor ist mit ca. 50% der größte Ressourcenverbraucher und mit bis zu 60% der größte Abfallverursacher. Einschließlich der Infrastruktur, d.h. Straßen, Brücken, Tunnel usw., ergibt sich sektorübergreifend ein Anteil von fast 40 % an den weltweiten CO2-Emissionen – wohlgemerkt einschließlich der Herstellung und des Transports der Baumaterialien und -produkte, des Bauens selbst, der Nutzungsphase und schließlich des Rückbaus und der Entsorgung.
Welch ein gewaltiger Hebel, den wir als Bau- und Immobilienwirtschaft in der Hand haben. Wir müssen es nicht einmal zur Rettung der Menschheit tun, wir können auch den wirtschaftlichen Aspekt in den Vordergrund stellen. Auf jeden Einwohner Deutschlands kommen rund 500 Tonnen Baustoffe und jedes Jahr kommen mehr als 50 Tonnen neu hinzu. Gebäude bestehen zum größten Teil aus mineralischen Baustoffen (Beton, Ziegel, Glas etc.), Metallen (Stahl, Aluminium, Kupfer etc.), Kunststoffen und Holz. Wie lange wollen wir diese Rohstoffe noch minderwertig nutzen, deponieren, verbrennen oder wie bei den Metallen als Schrott auf dem Weltmarkt „verscherbeln“, anstatt diese wertvollen Ressourcen im Land zu verwerten und in lokale Wertschöpfungsketten und neue Geschäftsmodelle einbringen?
Im Wesentlichen gibt es zwei Ansätze für den Umgang mit der Urban Mine: ReUse und Recycling. ReUse bedeutet, Bauteile, Objekte und Produkte als Ganzes zu erhalten und wieder zu verwenden. Der Vorteil ist, dass die Graue Energie, also die Energie, die für die Herstellung der Produkte aufgewendet wurde, erhalten bleibt. Das kann übrigens auch bedeuten, einen ganzen Rohbau zu erhalten, um ihm ein zweites Leben zu geben – auch das ist für mich Kreislaufwirtschaft. Immerhin stecken im Rohbau je nach Projekttypologie und Bauweise gut 50 % der Grauen Energie.
Großes Potenzial sehe ich auch im so genannten Industrial ReUse. Hersteller nehmen ihre Produkte zurück, wenn sie nicht mehr gebraucht werden oder den End-of-Life-Status erreicht haben – zunehmend wird das schon bei der Auftragsvergabe vertraglich vereinbart und teilweise auch mit einem Preisschild versehen. Wir müssen dazu kommen, dass die Hersteller im eigenen Interesse für ihre Produkte über den gesamten Lebenszyklus verantwortlich bleiben, was mittelfristig zu besseren Produkten auch im Sinne der Kreislauffähigkeit führen würde. So ist z.B. eine Teppichfliese viel leichter in den Kreislauf zu bringen, wenn sie aus einem Monomaterial besteht, die Rücknahme ist im Spannungsfeld Ressourcenbeschaffung versus Entsorgungskosten im ureigensten Interesse des Herstellers. Erfreulich ist, dass solche Produkte zunehmend marktreif werden. Eine differenzierte Betrachtung ist bei Baukomponenten mit kurzen Innovationszyklen erforderlich, hier würde eine verlängerte Nutzung innovationshemmend wirken.
Das Recycling von Bauteilen und Produkten wird das mengenmäßig bestimmende Thema der nächsten Jahrzehnte. Dafür gibt es mehrere Gründe: Zum einen sind mehr als 50 % des Gebäudebestandes in Deutschland älter als 50 Jahre und wurden zu einer Zeit errichtet, als es zum Beispiel noch keine Energieeffizienzstandards gab. Die Einführung der ersten Wärmeschutzverordnung datiert aus dem Jahr 1977. Zudem haben Gebäudehülle, technische Gebäudeausrüstung und raumbildende Ausbauten die Gesamtnutzungsdauer der meisten Gebäude längst überschritten. Ein weiterer Grund, warum ReUse oft ausscheidet, ist die Tatsache, dass all diese Gebäude nicht in zirkulärer Bauweise errichtet wurden. Zum Zeitpunkt der Errichtung waren die Kriterien der zerstörungsfreien Rückbaubarkeit, der Sortenreinheit, der Systemtrennung, der Schadstofffreiheit etc. noch nicht im Bewusstsein der Architekten und Ingenieure verankert. Dies gilt bis in die jüngste Vergangenheit und auch heute beschränkt sich die Zahl wirklich zirkulärer Gebäude auf wenige Leuchttürme. Hinzu kommt die Frage der Gewährleistung bzw. aufwendiger Einzelnachweise für gebrauchte Komponenten. Auch die schiere Akzeptanz von gebrauchten Bauteilen und Sekundärressourcen lässt aktuell noch zu wünschen übrig.
Inzwischen gibt es zumindest erste Versicherungslösungen, deren langfristige Tragfähigkeit und Skalierbarkeit sich aber noch erweisen muss. Die digitale Erfassung und Registrierung der Milliarden Tonnen Rohstoffe im Gebäudebestand ist vor dem Hintergrund des notwendigen Aufbaus lokaler Wertschöpfungsketten und Geschäftsmodelle überfällig. Digitale Werkzeuge wie der sogenannte Urban-Mining-Screener liefern anhand weniger Angaben: Standort, Baujahr, Nutzungstypologie, Bruttogeschossfläche oder umbauter Raum, durch die Verknüpfung mit statistischen Vergleichsdaten gute Näherungswerte und schaffen so eine erste Datenbasis, die im Zuge von Umbau- und Sanierungsmaßnahmen Schritt für Schritt verfeinert werden kann.
Dass Abbrucharbeiten oder zeitgemäßer ausgedrückt, Rückbauarbeiten, mehr Zeit in Anspruch nehmen und teurer sind als zu Zeiten der Abrissbirne, hat übrigens nur sehr bedingt mit Kreislaufwirtschaft zu tun. Es liegt vor allem an einer Reihe von durchaus sinnvollen Gesetzen, Verordnungen und Verboten, wie z.B. dem Vermischungsverbot von gefährlichen und nicht gefährlichen Abfällen und an der schieren Tatsache begrenzter Deponiekapazitäten.
Zirkuläres Bauen wird oft auf Baustoffe und Bauprodukte reduziert, d.h. auf den positiven Effekt hinsichtlich der Ressourcenverfügbarkeit. Zirkuläres Bauen oder allgemein ausgedrückt, die Anwendung des Kreislaufwirtschaftsprinzips im Bausektor kann aber noch so viel mehr:
Im Inland gewonnene Sekundärressourcen wie Aluminium oder Stahl stabilisieren Märkte und machen unabhängiger von funktionierenden globalen Lieferketten.
Sekundärressourcen haben in vielen Fällen einen deutlich geringeren CO2-Fußabdruck durch den Wegfall von Prozessschritten.
Zirkuläres Bauen sorgt systembedingt für den Erhalt der Sortenreinheit und damit für den maximalen Erhalt der Materialqualität und Materialgesundheit.
Zirkuläres Bauen garantiert deutlich geringere Entsorgungs- und Deponiekosten.
Zirkuläres Bauen sorgt für einen geringeren Bedarf an Primärressourcen, was z.B. bei Sand und Kies (Hauptbestandteil von Beton) Naturschutz und Schutz der Biodiversität bedeutet. Der Abbau von Sand und Kies ist immer mit dem Verlust von Lebensraum verbunden, der durch menschliche Eingriffe nicht immer weiter schrumpfen darf.
Nicht zuletzt sorgt die Kreislaufwirtschaft auch für lokale Wertschöpfung und neue Geschäftsmodelle und verbindet so Ökologie und Ökonomie.
Über die notwendigen rechtlichen Anpassungen über Verordnungen, Regelwerke und Normen könnte ich noch eine lange Abhandlung schreiben. Und ja, hier liegt einiges im Argen, vor allem werden die notwendigen Anpassungen viel zu langsam vorgenommen. Ich erspare mir diesen Exkurs, weil ich davon überzeugt bin, dass Zirkuläres Bauen auch innerhalb des derzeit gültigen Rechtsrahmens funktioniert. In erster Linie geht es darum, ein neues Bewusstsein zu entwickeln, Materialien und Produkte genauer anzuschauen und etwas anders zu konstruieren – einfach weniger reflexartig zu handeln. Es gibt heute viel mehr Daten über Produkte und Baustoffe, die auch deren Umweltauswirkungen aufzeigen. Die allermeisten Hersteller haben sich auf den Weg gemacht, kreislauffähige Produkte und Baustoffe auf den Markt zu bringen. Wir Architekten und Ingenieure sollten noch stärker mit den Herstellern zusammenarbeiten, um Produkte und Komponenten zu optimieren und um der Kreislauffähigkeit auch einen gestalterischen Ausdruck zu verleihen. Die Art und Weise, wie wir bauen, das Medium, mit dem wir unsere Konzepte entwickeln, hat großen Einfluss auf die Designsprache.
Zirkuläres Bauen ist keine Wissenschaft, aber die folgenden Merkmale sind wesentlich:
Verwendung von sortenreinen, schadstofffreien Materialien, die im besten Fall anteilig aus Sekundärrohstoffen bestehen (CO2-Reduktion, verbesserte Kreislaufbewertung).
Trennbare Konstruktionen, die zerstörungsfrei rückgebaut werden können – also Stecken, Klicken und Schrauben statt Kleben, Vergießen und Schweißen.
Einfacher Schichtaufbau und die Vermeidung von Verbundwerkstoffen, wie zum Beispiel herkömmliche Wärmedämm-Verbundsysteme.
Systemtrennung von Bauwerk und Technischer Gebäudeausrüstung, was auch die Revisionsfähigkeit unserer Gebäude in der Nutzungsphase erleichtert.
Maximaler Einsatz von standardisierten Bauteilen, die im Falle einer Wiederverwendung einen höheren Wert haben. Mehr Systembau, Modulbau und Serielles Bauen, denn durch Skalierung optimierte Lösungen weisen einen höheren Grad an Zirkularität auf und werden gleichzeitig wirtschaftlicher.
Die oft geäußerte Befürchtung, Zirkuläres Bauen sei teurer, widerspricht meinen Erkenntnissen – im Gegenteil, ich sehe eher Einsparungspotentiale von 5–10%, und zwar sofort und nicht erst nach Jahrzehnten. Zirkuläres Bauen und Einfach Bauen haben viel gemeinsam. Dazu braucht es den viel beschworenen Bewusstseinswandel und die Bereitschaft aller am Planungs- und Bauprozess Beteiligten, die extra Meile – die notwendige Lernkurve – zu gehen. Und ja, es ist besser, jetzt 80% zirkulär zu bauen, als auf den Tag zu warten, an dem vielleicht 100% möglich sind.
Dass Sekundärressourcen oft noch teurer sind, liegt auch an ihrer Knappheit und der großen Nachfrage aus anderen Industrien. Außerdem sind die Materialrückflüsse noch zu gering. Es braucht einfach Zeit, bis sich die Stoffkreisläufe schließen.
Solange wir weltweit etwa einmal pro Monat das Bauvolumen von New York errichten, die Weltbevölkerung wie 2024 um 80 Millionen wächst, werden wir noch lange große Mengen an Primärressourcen benötigen, die, wie eingangs erwähnt, endlich sind. Umso dringlicher ist es, die Kreislaufwirtschaft in der Bau- und Immobilienwirtschaft zu forcieren.
Seit Beginn der Industrialisierung Mitte des 19. Jahrhunderts korrelieren globales BIP-Wachstum, CO2 Ausstoß und Ressourcenverbrauch. Ich bin überzeugt, dass es im Bau- und Immobiliensektor heute möglich ist, Wachstum und Umweltzerstörung zu entkoppeln. Es wäre meines Wissens bis dato der einzige Sektor, in dem Grünes Wachstum gelingen könnte. Hierfür leistet das Zirkuläre Bauen neben dem Einsatz von regenerativer Energie in der Nutzungsphase einen maßgeblichen Beitrag.
Um zügig voranzukommen, bedarf es Mitstreiter aus Politik und Finanzmarkt aber auch Immobilienentwickler, Bestandshalter, Planer, Hersteller, Bauunternehmen, Rückbau- und Recycling-Unternehmen und nicht zuletzt Anbieter digitaler Plattformlösungen, um die notwendigen Daten zu sammeln und zu managen.
Viele Vorreiter, die wertvolle Beiträge zum Gelingen des Kreislaufbaus leisten, kommen in dieser Newsletter-Serie zu Wort.
Lasst es uns angehen und zwar jetzt!
Gerhard G. Feldmeyer, Dipl. Ing. Architekt BDA
Architekturstudium – Universität Stuttgart und University of the Southbank, London
Mitarbeit in den Architekturbüros Kikutake architect & associates, Tokyo
und von Gerkan, Marg und Partner Hamburg.
1989 – 2022 HPP Architekten GmbH
2002 – 2022 Geschäftsführender Gesellschafter HPP Architekten GmbH
2023 – Architect I Climate Responsible Strategies
2023 – Botschafter Madaster – Foundation
2023 – Landmarken Gruppe – Real Estate Product Innovation
2024 – Zukunftsrat EBZ Business School

baubüro in situ AG, Basel + denkstatt sàrl, Basel
Fotos: © Martin Zeller
DER NUTZEN DES ALTERS
Das Credo: Wann immer möglich: umnutzen, umbauen, anbauen.
Wenngleich die Umnutzung bestehender Bausubstanz eine komplexe Herausforderung ist, erweist sich diese Investition in vielerlei Hinsicht als sinnvoll: Als wesentlich lassen sich Nachhaltigkeitsaspekte anführen, denn bei Neu- und Ersatzbauten macht die graue Energie einen großen Teil der vernichteten Emissionsspeicher oder neue entstehenden Emissionen aus. Das Credo lautet daher: wann immer möglich: umnutzen, umbauen, anbauen.
So lange im Dreieck von Nutzung, Eingriffstiefe und Wirtschaftlichkeit eine gute Balance gefunden werden kann, „lohnen“ sich für Eigentümer und Investoren Erhalt und Umnutzung.
Transformation des Bestands.


Ein Beispiel für eine solche Umnutzungsstrategie ist die Transformation des ehemaligen Coop-Verteilzentrums im Norden von Basel in das Kultur- und Gewerbehaus ELYS.
Der vom baubüro in situ übernommene Umbau, das Gebäude 215, umfasste einen 32.000 qm großen Gewerbebau. Der Einbau einer fehlenden Fassade von rd. 1.000 qm Fläche, die im Rahmen der Trennung mehrerer Gebäudeteile entstanden war, zeigt exemplarisch, wie im und mit dem Bestand gearbeitet wurde. Die Fassade wurde aus wiederverwendeten Bauteilen in Holzrahmenbauweise realisiert, wofür Hölzer von Rückbauten aus Abbruchstellen aus der Umgebung organisiert und aufbereitet wurden. Die Fenster sammelten die Planenden von unterschiedlichen Fensterproduzenten im Umkreis von 100 km aus Über- u./o. Fehlproduktionen. Verkleidet wurde das sanierte Gebäude mit den Trapezblechen der vorhandenen Dachaufbauten aus dem Gebäudekomplex. Auch wenn die ReUse-Fassade gegenüber einer gleichwertigen Fassade aus neuen Materialien einiges an CO2 einspart, lag der größte ökologische Wert letztlich im Erhalt des Altbaus und der minimalen Eingriffstiefe beim Umbau (ReUse-Fassade lediglich zwei Prozent der Gesamteinsparungen).
Für dem Umgang mit dem Thema Gewährleistung für eine gebrauchte Fassade hatte die Bauherrin, die Immobilien Stadt-Basel, eine unkomplizierte Antwort gefunden: Da es keine Versicherung für gebrauchte Bauteile gibt, hinterlegte sie Rückstellungen für Reparaturen.
Coop-Verteilzentrum : ELYS.


SBB AG : Werkstadt Zürich.
Zeitgleich mit der Planung des Projekts ELYS in Basel nahm in Zürich die Umnutzung eines aufgegebenen Industrieareals ihren Anfang. Die Werkstätten der SBB AG in Zürich-Altstetten mit angegliederten Lager- und Industrieinfrastrukturflächen entlang des Gleisfelds gehören mit ihren 25 ha zu den letzten großräumigen Industriearealen der Stadt Zürich. In den kommenden 20 Jahren soll sich das Areal als „Werkstadt Zürich“ zu einem Hub für urbane Produktion, Kreativunternehmen, kulturelle Aktivitäten und zu einem Freiraum für das angrenzende Quartier entwickeln. Die mandatierten Planenden von Kees Christianses KCAP sowie denkstatt sàrl haben dazu einen räumlichen und organisatorischen Masterplan erstellt. Was schon da ist, das „Hier und Jetzt“, wird parallel zum Betrieb und gemäß den Bedürfnissen der (künftigen) Nutzer („Was und Wo“) weiterentwickelt.
Und bauen? Gebaut wird final nur, was in den vorangegangenen Schritten als notwendig und risikoarm erkannt wurde. Voreilige und einmalige Großinvestitionen mit unsicherem Ergebnis werden so vermieden.
Die Architektinnen und Architekten von baubüro in situ erhielten in diesem Zusammenhang den Bauplanungsauftrag. Sie blieben dabei dem Bestand verpflichtet. Lange Zeit war das Wiederverwenden von vorhandenem Material und Konstruktionen im Bahnbetrieb gängige Praxis – einige Hallenteile des Areals fanden von fernen Werksgeländen hier eine Nachnutzung. Diesem Esprit folgend setzt das baubüro in situ vorhandenes und von außerhalb zugeführtes gebrauchtes Material in den Umbauten wieder ein und testet ressourcenschonende Anwendungen. Der Schweizer Architekt und Publizist Benedikt Loderer bezeichnete diese Art der Arealentwicklung einst als „Hausvatermethode“: Man macht möglichst wenig, aber dafür das Richtige. Im Falle der Werkstadt geht es also um die Synergie zwischen denkmalgeschütztem, identitätsstiftendem Raum, der passenden Nutzung, behutsamer Verdichtung und neu zugänglich gemachtem öffentlichem Außenraum, welcher die „verbotene Stadt“ von früher mit dem angrenzenden Quartier verbindet.
Beide Projekte ähneln sich im Ziel eines möglichst niedrigen Quadratmeterpreises, um den künftigen Nutzern Raum für Entfaltung bieten zu können und um eine angemessene Wirtschaftlichkeit für Investoren zu schaffen. Da das baubüro in situ, oft in Zusammenarbeit mit denkstatt sàrl, häufig in einem frühen Stadium involviert sind, lässt sich die Liegenschaftsberechnung mit der Bauherr:innenschaft bereits frühzeitig erarbeiten. Eine lernende Planung, wie sie in beiden angeführten Fällen charakteristisch war und ist, bedeutet oft eine höhere Investition in Planungs- und Organisationsleistungen. Dafür aber ist die Investitionen in die bauliche Realisierung tiefer, sowohl aufseiten der Planenden als auch der Auftraggebenden.
Prozesshaft planen ist aufwendig und erfordert Teilnahme, Einsatz und Offenheit. Die nachweislich hohen Emissionseinsparungen bei den Treibhausgasen führen möglicherweise dazu, dass diese Planungs- und Projektierungsweise in Zukunft mehr und mehr von Vorteil sein wird.
(Quelle: archithese, 2/2022, s. 42 ff.)
Fotos: Martin Zeller
Man macht möglichst wenig, aber dafür das Richtige.
Umbauen statt abreißen, CO2 sparen und dafür kreative und innovative Methoden entwickeln, dafür steht das Baubüro in situ. Die Schweizer Pioniere für klimafreundliches Bauen setzen kreative Impulse gegen die Verschwendung in der Bauwirtschaft. www.insitu.ch
Seit mehr als 20 Jahren ist die Denkstatt dort tätig, wo sich Stadtraum, Quartiere, Areale oder Gebäude verändern – wo Transformation stattfindet, wo Menschen, Mitwesen und Dinge in Bewegung geraten und die Verbindungen aus Orten, Narrativen und Nutzungen neu organisiert werden. www.denkstatt-sarl.ch

Philipp Müller
Dipl.-Ing. (FH), Senior Sustainability Specialist bei Wicona
Foto: © Mediashots/WICONA
Echte Kreislaufwirtschaft mit End-of-Life Aluminium
Aluminium spielt eine wichtige Rolle beim zukunftsgerechten Bauen. Dank der endlosen Recycelbarkeit lassen sich mit dem Werkstoff wertvolle Ressourcen einsparen und CO2-Emissionen reduzieren. Wicona bietet vor diesem Hintergrund schon heute Fenster- und Fassadensysteme aus bis zu 100 % End-of-Life-Aluminium. So wird echte Kreislaufwirtschaft mit Aluminium zur gebauten Realität.
Wichtiger Schlüssel für das nachhaltige Bauen
Nach Angaben des Europäischen Komitees für Normung „Nachhaltiges Bauen“ (CEN/TC 350) werden 50 % der aus der Erde gewonnenen Materialien für Gebäude verwendet. Während ihres Lebenszyklus sind Gebäude der größte Energieverbraucher: Sie verbrauchen fast die Hälfte der Primärenergie und verursachen etwa 40 % aller Treibhausgasemissionen in Europa. Abfälle, die aus Baumaterialien entstehen, machen 25 % des gesamten Abfallaufkommens aus. Vor diesem Hintergrund bekommt auch dem Aluminium als wichtiger Werkstoff im Gebäudesektor ein besonderer Stellenwert zu. Von weltweit rund 86 Millionen Tonnen (Basis: 2021) verbrauchten Aluminiums entfielen 25 % auf den Bausektor. So spielt das Recycling eine zentrale Rolle, denn: Aluminium ist eines der wenigen Materialien, das seine Eigenschaften und die Qualität nach der Wiederaufbereitung komplett beibehält. Ein bedeutender Vorteil ist zudem, dass beim Recycling von Aluminium nur etwa 5 % der Energie aufgewendet werden muss. Daher kann nur das Ziel sein, die Verwendung von End-of-Life-Aluminium weiter deutlich zu steigern. Denn aktuell entfallen immer noch rund 75 % der weltweiten Produktion auf Primär-Aluminium – also Material, das in einem aufwändigen und energieintensiven Prozess aus Bauxit hergestellt wird.

Beim von Hadi Teherani Architects entworfenen Innovationsbogen in Augsburg ist erstmalig eine Wicona Fassade aus 100 % recyceltem End-of-Life-Aluminium realisiert worden. Bei den 85 Tonnen eingesetztem Hydro CIRCAL 100R entspricht dies einer CO2-Reduzierung von 527 Tonnen.
Bildnachweis: HGEsch Photography
Wichtig dabei: Recyceltes Aluminium ist nicht gleich recyceltes Aluminium. Für den Wiederaufbereitungsprozess gibt es grundsätzlich zwei unterschiedliche Materialquellen – und diese haben maßgeblichen Einfluss auf Energiebilanz bzw. CO2-Fußabdruck des Recyclingmaterials. Die erste Quelle ist der Pre-Consumer Schrott – also Aluminium-Prozessschrott. Dieses Material stammt aus Herstellungs- bzw. Verarbeitungsprozessen während der Extrusion und Verarbeitung. Die zweite und bzgl. der CO2-Bilanz weitaus interessantere Variante: Post-Consumer-Schrott oder auch End-of-Life-Aluminium (EoL). So wird Material bezeichnet, das bereits in einem Produkt verwendet wurde, welches seinen gesamten Lebenszyklus durchlaufen hat. End-of-Life-Aluminium kommt zum Beispiel aus Fassaden und Fenstern, die aus Gebäuden demontiert und recycelt wurden. Die Hydro Gruppe mit ihrer Marke Wicona hat als Vorreiter einen Sortier- und Aufschlüsselungsprozess entwickelt, der es ermöglicht, End-of-Life-Aluminium in großen Mengen so aufzubereiten, dass es wieder zu neuen Aluminiumprofilen verarbeitet werden kann.
Bedeutender Unterschied: Pre- und Post-Consumer-Schrott

Energiebilanz von Primäraluminium sowie von Hydro CIRCAL.
Bildnachweis: Wicona
Externe Zertifizierung über die Aluminium-Wertschöpfungskette
Wichtig im Zusammenhang mit der Bewertung des CO2-Fußabdrucks von Aluminium ist zudem die Frage: Decken die deklarierten Werte die gesamte Wertschöpfungskette („cradle to grave“) oder nur Teile ab („cradle to gate with options“)? Dies wird in der Ökobilanz sowie der darauf basierenden Umweltproduktdeklaration (EPD) festgelegt.
Außerdem können externe Zertifizierungen – zum Beispiel durch die Aluminium Steward Initiative (ASI) – die Glaubwürdigkeit erhöhen. ASI ist der anerkannteste internationale Standard, der sich auf Umwelt-, Soziale- und Managementaspekte (ESG) der gesamten Aluminium-Wertschöpfungskette bezieht. Auch die gesamte Wertschöpfungskette des von Wicona hergestellten Aluminiums ist ASI-zertifiziert.

Die Aufbereitung des Post-Consumer-Schrotts (End-of-Life-Aluminium) erfolgt im Hydro Werk in Dormagen in einem von unabhängiger Seite überwachten Prozess.
Bildnachweis: Mediashots/WICONA
Die Menge an End-of-Life-Aluminium ist heute noch deutlich geringer als die von Primäraluminium und Pre-Consumer-Material – die aktuelle Nachhaltigkeitsentwicklung im Bausektor sorgt jedoch für deutliche Steigerungsraten (weitere Infos: https://aluminium-stewardship.org). Um die zunehmenden Aluminium-Mengen auch in Zukunft in hochwertiger Qualität recyceln zu können, ist eine sortenreine Sammlung und Aufbereitung erforderlich. Denn: End-of-Life-Aluminium wurde – wenn zum Beispiel zuvor in einem Fenster eingesetzt – in der Regel eloxiert bzw. lackiert und die Profile können zudem auch weitere Komponenten wie eine thermische Trennung enthalten. Für das Recycling sind daher ein umfangreiches Know-how und – wie im unternehmenseigenen Recyclingwerk von Hydro in Dormagen – modernste Technologien und Prozessschritte erforderlich: Von der ersten Inspektion über das Schreddern, Trennen, Zerkleinern und Sortieren bis hin zum Schmelzen. Schließlich wird das Material so aufbereitet, dass es in der richtigen Legierung wieder der Produktion von neuen Aluminiumprofilen zugeführt wird. Bei Hydro wird dieser gesamte Prozess überwacht und fortlaufend von der unabhängigen Prüfstelle DNV-GL zertifiziert.
Komplexer Recyclingprozess
Echte Kreislaufwirtschaft nur mit End-of-Life-Aluminium
Um den steigenden Anforderungen an den Klimaschutz zu begegnen, hat Wicona die Zukunftsstrategie „Driving Decarbonisation“ ins Leben gerufen. Ziel dabei ist es, die Dekarbonisierung des Gebäudebestandes durch eine echte Kreislaufwirtschaft zu erreichen. Das bedeutet konkret: Wicona bietet von der systematischen Rückführung alter Aluminiumelemente über deren Transport und Recycling bis hin zur Wiederaufbereitung und Herstellung neuer Aluminiumsysteme alle Leistungen aus einer Hand. Mit Hydro CIRCAL 75R verfügt das Unternehmen bereits seit 2019 eine Aluminiumlegierung, die zu mindestens 75 % aus recyceltem End-of-Life-Aluminium besteht und mit 1,9 kg CO2 pro kg Aluminium einen der niedrigsten CO2-Fußabdrücke weltweit aufweist. Zudem hat Wicona mit Hydro CIRCAL 100R die weltweit erste Aluminiumlegierung aus 100 % recyceltem End-of-Life-Aluminium im Markt eingeführt. Dieses Material verfügt mit weniger als 0,5 kg CO2 pro kg Aluminium über den im weltweiten Vergleich geringsten CO2-Fußabdruck.
Im Hinblick auf den Klimaschutz sollte es Ziel sein, bei der Planung und Realisierung von Aluminium-Fenstern, -Türen und -Fassaden auf einen hohen Anteil von End-of-Life-Materialien zu setzen. Wicona und weitere Industriepartner bieten schon heute an, sowohl die Aluminiumkonstruktion als auch die damit verbundenen Bauteile wie Beschläge, Verglasungen und Dichtungen systematisch und nachweisbar dem Recycling zuzuführen und somit den Kreislauf zu schließen. So entstehen aus den wertvollen End-of-Life-Materialien wieder neue Produkte – auf einem Qualitätsniveau, das vergleichbar ist mit Neuprodukten aus Primärmaterialien. Zur Führung der erforderlichen Nachweise stellt Wicona Planern und Bauherren dynamische EPDs zur Verfügung, mit denen sich ein konkret auf das jeweilige Projekt zugeschnittener CO2-Fußabdruck berechnen lässt.
Schon heute Realität: die kreislauffähige Fassade
Dipl.-Ing. (FH) Philipp Müller, Senior Sustainability Specialist bei Wicona und hat sich auf zirkuläres und nachhaltiges Bauen mit Aluminium spezialisiert.
Wicona by Hydro Building Systems Germany GmbH, Ulm

Markus Steppler
Geschäftsführer DERIX-Gruppe
Foto: © DERIX-Gruppe
DAS BAUEN MIT HOLZ.
Das Bauen mit Holz beinhaltet bereits zwei große ökologische Vorteile: Zum einen ist Holz ein natürlicher Rohstoff, der nachwächst. Zum anderen besitzt Holz die fantastische Eigenschaft, beim Wachstum CO2 zu binden und einzulagern. Das CO2 verbleibt im Holz und entlastet somit für die Lebensdauer der Bauteile die Atmosphäre. Aktiver Klimaschutz bedeutet, diesen Vorteil maximal auszunutzen.
Deshalb ist die Entwicklung von einer linearen hin zu einer zirkulären Wirtschaft angesichts der Klimaveränderungen und der endlichen Rohstoffe ein notwendiger, alternativloser Schritt. Grundsätzlich brauchen wir einen möglichst geschlossenen Kreislauf, in dem Werkstoffe lange gehalten werden. Statt einmal verwendete Produkte nach ihrer Nutzung einfach zu entsorgen, sollten sie vielmehr der Ausgangspunkt für neue Produkte und Prozesse sein.
Zu bedenken ist zudem: Einen Betonbau kann man zeichnen und bauen, ein Abbau geht zumeist mit einer Zerstörung der Struktur einher. Einen Holzbau muss man konstruieren, um ihn bauen zu können – ihn kann man bei geschickter Planung in weiten Teilen zerstörungsfrei dekonstruieren und weiternutzen.
Der nachhaltige Holzbau muss sich also nach dem Cradle-to-Cradle-Prinzip richten. Dieses Konzept steht für solch eine durchgängige und konsequente Kreislaufwirtschaft, bei der im Idealfall ein unendlicher Materialkreislauf entsteht. Für uns bei DERIX ist die vollständige Umsetzung dieses Gedankens ein zentrales Ziel unserer Unternehmensphilosophie. Als erstes Unternehmen der Branche haben wir uns zu einer generellen Rücknahme unserer Bauteile verpflichtet. Dies bedeutet konkret, dass wir die von uns erstellten Holzkonstruktionen und Holzbauteile nach Ablauf der vom Kunden definierten Gebäudelebensdauer zurücknehmen. Das zurückgenommene Holz wird dann für neue Konstruktionen und Bauteile wiederverwendet. Durch diesen Ansatz arbeiten wir höchst ressourceneffizient und nachhaltig, da der Rohstoff nur einmal gewonnen und danach immer wieder eingesetzt wird. Zahlreiche Projekte (The Cradle, Luftschiffhangar, Circl) wurden schon im Hinblick auf einen späteren Rückbau im Sinne der Kreislaufwirtschaft konzipiert und umgesetzt (Design für Demontage). Circl wurde sogar bereits wieder rückgebaut, die Bauteile wurden eingelagert und warten nun auf den Neuaufbau.
Und das ist der Knackpunkt: Idealerweise wird ein Bauvorhaben von Anfang an als zirkuläres, rückbaubares Gebäude konzipiert. Denn wenn die Demontage bereits bei der Planung mitgedacht wurde, ist der Weg zurück in den Materialkreislauf auch deutlich einfacher zu gehen. Hierbei spielen Materialdatenbanken wie madaster, dem Materialkataster in Deutschland, eine große Rolle. Wenn sämtliche digitale Tragwerksdaten eingelesen und so der Cloud-Plattform zur Verfügung gestellt werden, können die Eigentümer die Bestandteile ihrer Immobilie in einem Materialpass dokumentieren. Bauteile und Materialien können dann bei einem späteren Rückbau effizient wiederverwendet werden. Denn nur wer weiß, was in einem Gebäude steckt, kann es als „Materiallager“ nutzen.
Auch bei der Ausschreibung, die während oder nach der Planungsphase vorgenommen wird, spielt es eine große Rolle, worauf der Bauherr seine Schwerpunkte legt: Hat er das Thema „zirkuläres Bauen“ oben auf seiner Liste, sollte er Formulierungen zu Rücknahmeverpflichtungen, EPD-Werten, biobasierten Leimen, energieneutraler Herstellung, Nutzung des Gebäudepasses, Verpackungsmaterial usw. in seine Ausschreibung aufnehmen. So stellt er sicher, dass er mit Unternehmen zusammenarbeitet, die seine Prioritäten teilen und ebenfalls größten Wert auf nachhaltiges und zirkuläres Bauen legen.
Ich bin davon überzeugt, dass zirkuläres Bauen mit Holz in den nächsten Jahren weiter stark an Bedeutung gewinnen wird: Die unschlagbaren Vorteile im Bereich von Nachhaltigkeit und Kilmaschutz werden mehr und mehr ergänzt durch lohnende finanzielle Aspekte, die durch die Wiederverwendung des Holzes entstehen. So wird es auch für die Eigentümern wirtschaftlich immer interessanter, ihr Gebäude demontierbar in Holz zu planen und zu errichten – und wir schaffen uns durch die erfolgreiche Neunutzung der gebrauchten Bauteile neben dem Wald eine zusätzliche Ressourcenquelle, mit der wir die steigende Nachfrage gut bedienen können.
Die konsequente Umsetzung von Zirkularität, Cradle to Cradle und Nachhaltigkeit bedeutet aber auch, einen kritischen Blick auf alle Unternehmensbereiche zu werfen. Auch wenn unsere Maßnahmen wie Rücknahmeverpflichtung, Rückbaufähigkeit und Listung der Daten im Materialkataster im Bereich „Zirkularität“ sicherlich den größten Effekt haben, dürfen auch andere Aspekte nicht aus den Augen verloren werden. So ist es wichtig, eine klimaneutrale Produktion anzustreben und für nachhaltige Innovationen in allen Bereichen (wie z. B. Verklebung, Verpackung und andere Produktionsprozesse) offen zu sein und Optimierungsmöglichkeiten auszuschöpfen.
Die DERIX-Gruppe hat es sich zum Ziel gesetzt, den Holzbau voranzutreiben und damit eine Bauweise populär zu machen, die ein riesiges Klimaschutzpotenzial birgt. Seit 2023 hat DERIX die allgemeine Verpflichtung zur Rücknahme gebrauchter Bauteile zum Standard gemacht. Das Unternehmen legt größten Wert auf ressourceneffiziente Produktionsabläufe, die Nutzung von erneuerbaren Energien und die Entwicklung von Cradle to Cradle Konzepten. www.derix.de
Der diplomierte Bauingenieur Markus Steppler, Geschäftsführer bei der DERIX-Gruppe, besitzt langjährige Erfahrungen im Bereich der modularen Baukonzepte und engagiert sich umfassend für ein zirkuläres Wirtschaften in der Bauwelt. Er setzt sich für ein „besseres“ Bauen ein, das einfacher, logischer, automatisierter, digitalisierter und vor allem auch nachhaltiger, ökologischer und zirkulärer ist.

Simone Walser
Head of Innovation Management bei STRABAG Real Estate (SRE)
Foto: © STRABAG Real Estate
Kreislaufgerechte Projektentwicklung: Ein neues Mindset für nachhaltiges Bauen.
Bauen im Bestand
Bezogen auf den gesamten Gebäudebestand machen Neubauten weniger als 1% des Gesamtvolumens aus – der größte Hebel für Ressourcenschonung und Reduktion der CO2 Emissionen liegt daher in der intelligenten Sanierung und der Weiterentwicklung des Gebäudebestands.
Der Umgang mit diesem Bestand erfordert ein tiefes Verständnis über die bestehende Bausubstanz, die technischen Möglichkeiten und die rechtlichen Rahmenbedingungen. Die erfolgreiche Sanierung von Bestandsgebäuden erfordert Fachleute, die nicht nur das nötige Know-how mitbringen, sondern vor allem auch die Bereitschaft, sich auf die spezifischen Herausforderungen einzulassen. Interdisziplinäre Zusammenarbeit und eine realistische Risikoabschätzung sind essenziell, um Modernisierungen oder ein Redevelopment sowohl ökologisch als auch ökonomisch umzusetzen. Wir brauchen Fachleute, die vor allem die Bereitschaft mitbringen, sich auf die spezifischen Herausforderungen einzulassen. Wer ausschließlich im Neubau denkt, neigt dazu, Risiken in der Bestandssanierung zu überschätzen oder umgekehrt entscheidende Faktoren zu übersehen. Es braucht ein anderes Mindset – eines, das kreative Lösungen für komplexe Rahmenbedingungen findet, Chancen erkennt und die Potenziale bestehender Bausubstanz gezielt nutzt.
STRABAG, als einer der führenden Technologiekonzerne für Baudienstleistungen, der das volle Leistungsspektrum entlang des gesamten Lebenszyklus von Immobilien anbietet, hat das erkannt und mit BestAndBeyond spezialisierte Einheiten geschaffen, die ihre Expertise einbringen und sich zu 100% auf Bauen im Bestand fokussieren.
Doch während sich die Branche auf den Weg macht, stehen nach wie vor bürokratische Hürden dem nachhaltigen Wandel im Weg. Es bedarf eines differenzierten rechtlichen Rahmens, der Bestandssanierungen erleichtert, ohne die Sicherheit zu gefährden. Dazu gehören praxistaugliche Anpassungen baurechtlicher Vorschriften, die den nachhaltigen Umbau fördern, anstatt ihn zu erschweren.
Derzeit wird ein digitaler Zwilling vor allem im Zusammenhang mit Neubauten diskutiert, etwa in Form von BIM-Modellen. Im Sinne der Kreislaufwirtschaft muss der Fokus jedoch auch hier viel stärker auf den Gebäudebestand gelegt werden.
Damit Bestandsgebäude als Rohstofflager genutzt werden können, ist die Erhebung der verbauten Materialien und eine systematische Aufnahme aller Bauteile – insbesondere im Hinblick auf die Wiederverwendungspotenziale -wesentlich. Diese Daten werden in einem digitalen Gebäuderessourcenpass zusammengefasst. Um eine umfassende Beurteilung des Bestands und fundierte Entscheidungen treffen zu können, ist eine gesamtheitliche digitale Bestandsaufnahme erforderlich, die über einen solchen Pass und eine Erfassung von Geometrien hinausgeht. Wichtige Parameter, die zusätzlich in einen digitalen Zwilling integriert werden sollten, sind Angaben zur Tragstruktur, zu bauphysikalischen Aspekten, zum Brandschutz und zu potenziellen Schadstoffen.
So können Planer, Projektentwickler und Bauunternehmer nachhaltige Lösungen entwickeln, die Ökologie und Ökonomie miteinander verbinden.
Digitaler Zwilling im Bestand
Zirkularität für den Neubau
Für eine breitere Anwendung des kreislaufgerechten Bauens in Neubauten sind kostengünstige Lösungen und die Entwicklung von Standards für einfaches Bauen entscheidend. Serielles und modulares Bauen kann eine Antwort sein, weil es durch Vorfertigung und Skalierungsmöglichkeit preiswerter und schneller umsetzbar ist. Unsere Kollegen von ZÜBLIN kombinieren mit dem MOLENO®-Bausystem Holzbauelemente und schlanke Betonfertigteile, um insbesondere Wohngebäude schneller und wirtschaftlicher umzusetzen. Dieser Ansatz kann dringend benötigten Wohnraum schaffen, wenn die rechtlichen Vorgaben angepasst, Genehmigungsverfahren beschleunigt und Regularien reduziert werden.
Kreislaufgerechtes Bauen sollte als grundlegendes Prinzip etabliert und fest in der Hochschullehre verankert werden. Neben der Entwicklung von Details zur Fügung von Materialien und Bauteilen ist der Umgang und Einsatz von nachwachsenden Rohstoffen wesentlich.
Neben der Lehre ist die Akzeptanz bei den Fachkräften am Bau ein weiterer entscheidender Faktor. Das konnten wir z.B. bei unserem Wohnhochhaus TABORAMA feststellen, bei dem wir sämtliche Mineralwolle im Innenraum durch Schafwolldämmung ersetzt haben. Erst durch die praktische Erfahrung mit dem Material erkannten alle Beteiligten die Vorteile des nachwachsenden Rohstoffs.
Um positive Erfahrungen zu fördern und Vorbehalte gegenüber neuen Bauweisen abzubauen, haben wir gemeinsam mit der neu gegründeten Direktion „Nachhaltige Baustoffe & neue Materialien“ der STRABAG ein Reallabor auf einem unserer Entwicklungsgrundstücke in Wien etabliert. Dort testen wir neue Bausysteme aus nachwachsenden Rohstoffen und laden Bauschaffende und Studierende ein, innovative Materialien und Techniken aus erster Hand kennenzulernen. Zudem werden der breiten Bevölkerung bei kreativen Mitmach-Events die Möglichkeit geben, sich aktiv mit nachhaltigen Themen auseinanderzusetzen.
Als Projektentwicklerin stellen wir fest, dass sowohl Mietinteressenten als auch Investoren noch Vorbehalte gegenüber „gebrauchten“ Bauteilen haben oder diese nur mit finanziellen Abschlägen akzeptieren. Gleichzeitig zeigen sich noch keine klaren Kostenvorteile beim Einsatz solcher Bauteile.
Ein Wandel ist jedoch möglich: Anreize, die im Rahmen des Green Deals gesetzt wurden, könnten ausgebaut werden, um den Transformationsprozess zu forcieren.
Ein Blick nach Skandinavien zeigt, wie klug gesetzte Regularien den Wandel beschleunigen können. In Dänemark müssen bereits zum Erhalt einer Baugenehmigung eine Ökobilanzierung (LCA) vorgelegt und spezifische CO2-Grenzwerte eingehalten werden. Ein Hebel kann auch der CO2 Schattenpreis sein, wie ihn Baden-Württemberg über das neue Klimaschutzgesetz verabschiedet hat. Bei dem CO₂-Schattenpreis handelt es sich um einen fiktiven Wert, der die gesellschaftlichen Folgekosten von CO₂-Emissionen in die Kostenberechnung von Projekten einbezieht, um deren tatsächliche Umweltbelastung abzubilden. Bei der Planung von Gebäuden fördert die Anwendung dieses Preises die Auswahl klimafreundlicher oder auch gebrauchter Materialien und Technologien.
Zudem liegt es an allen Akteuren der Bau- und Immobilienbranche, die Akzeptanz von Sekundärmaterial aktiv zu erhöhen. Dazu gehört nicht nur eine stärkere Nutzung bereits vorhandener Marktplätze für wiederverwendete Bauteile, sondern auch ein Umdenken in Planung, Ausschreibung und Bewertung solcher Materialien. Vielversprechende Lösungen liegen außerdem in der Produktion von komplett neuen Produkten und Bauteilen aus Sekundärmaterial. Dabei müssen wir über die vorhandenen Ansätze von Ausbaumaterialien aus Sekundärmaterial anderer Branchen (z.B. Teppiche aus Fischernetzen) hinausgehen. Es gilt kreative Lösungen zu finden, die Rohstoffe des Gebäudebestands in neue Bauteile überführen. Dieser Ansatz verbindet Ressourcenschonung mit hoher Akzeptanz am Markt und wirtschaftlicher Tragfähigkeit.
Akzeptanz von “gebrauchten” Ressourcen
Digitalisierung intelligent nutzen
Ob es um die Sanierung eines Bestandsgebäudes oder einen Neubau geht – Digitalisierung sollte gezielt genutzt werden, um ressourcenschonende und zirkuläre Bauweisen von Anfang an in der Planung zu verankern – denn hier werden die grundlegenden Weichen gestellt.
Ökobilanzierung (LCA) und Lebenszykluskostenbetrachtung (LCC) sollten als unverzichtbare Planungstools verstanden werden. Neue Methoden des digitalen Entwerfens wie Generative Design helfen eine Vielzahl teils gegensätzlicher Aspekte gleichzeitig zu betrachten. Bei diesem iterativen Designprozess werden Algorithmen und KI eingesetzt, um eine Vielzahl optimierter Entwurfslösungen zu generieren. Dabei werden vorgegebene Parameter wie Ausnutzung (GFZ/GRZ) Materialien, CO₂ -Emissionen, Zirkularitätsindikatoren und weitere Nachhaltigkeitsaspekte berücksichtigt. Die intelligente Nutzung digitaler Werkzeuge ist nicht nur ein Innovationsfaktor, sondern ein entscheidender Hebel, um nachhaltiges und kreislauffähiges Bauen in der Praxis konsequent umzusetzen.
Die Transformation hin zu kreislaufgerechten Projektentwicklungen erfordert mehr als technische Lösungen – sie benötigt ein grundlegendes Umdenken nicht nur in der gesamten Bau- und Immobilienbranche. Ein neues Mindset ist notwendig, dass den Bestand als Ressource, Wiederverwendung als Standard begreift und Materialien aus nachwachsenden Rohstoffen fördert. Nur wenn wir dabei ökologische und ökonomische Aspekte konsequent zusammen zu denken, wird der Wandel nachhaltig gelingen.
Kein Wandel ohne neues Mindset
Simone Walser verantwortet seit 2019 das Innovation Management bei STRABAG Real Estate (SRE), eine der führenden europäischen Projektentwicklerinnen mit 18 Standorten in 8 Ländern. Zuvor leitete Sie das Projektmanagement-Team am Standort Frankfurt und war vor ihrem Wechsel zu SRE bei unterschiedlichen Architektenbüros tätig. Die gelernte Bauzeichnerin und studierte Architektin verfügt somit über langjährige Erfahrung in der Planung, Entwicklung und Realisierung von Immobilien.Ihre Schwerpunkte liegen in der strategischen Weiterentwicklung der Bereiche Nachhaltigkeit (ESG) und Digitalisierung. Dies umfasst sowohl interne Prozesse als auch die Entwicklung nachhaltiger und innovativer Gebäude. Ihr ist wichtig, dass Digitalisierung und Nachhaltigkeit zusammen gedacht wird und Potentiale der digitalen Planung genutzt werden, um Gebäude von Beginn an nachhaltig zu entwickeln.