Nachlese
Werner Sobek

Die Welt dreimal neu bauen
Werner Sobek über die Zukunft des Bauens, des Lebens und der Erde überhaupt. Eigenschönheit statt Entsagungsästhetik.

»Ich weiß nicht, wie die Zukunft des Bauens aussieht«, leitete Werner Sobek seinen pointierten Thesenvortrag zur Zukunft des Bauens ein. Für sich nahm er das Privileg des Außenstehenden in Anspruch: Die Politik versage komplett angesichts der Herausforderungen der Zukunft. Nicht viel anders viele Ingenieurswissenschaftler, die sich in Partialutopien ergingen. Er werde also über die Zukunft sprechen als »strategisch erarbeitetes Szenario.«

Allein die Zahlen, die der Stuttgarter Weltbürger zusammentrug, beeindruckten: Wenn man global nach deutschen Standards bauen würde – also mit rund 490 Tonnen Baustoffen pro Bürger – könnte man auch gleich eine 30 Zentimeter starke Mauer um den Äquator ziehen, und diese wäre in einem Jahr bereits rund 2200 Meter hoch. Im Folgejahr hätten die Bauarbeiter schon Schwierigkeiten, in großer Höhe vernünftig zu atmen.

Bauen wie vor 2000 Jahren
Mit einem Mal wurde das ganze Ausmaß der Ressourcenverschwendung am Bau deutlich, einer »Industrie«, die in vielem nicht weiter sei als vor 2000 Jahren. Dazu käme die Hybris vieler Architekten, die glaubten, für die Ewigkeit zu bauen. Gebäude aber müssten auch mit Anstand verschwinden dürfen. Denn insgesamt müsse so viel für die steigende Bevölkerung gebaut werden wie nie zuvor in der Geschichte: Alleine bis 2050 könnte man die gesamte bestehende Welt dreimal neu bauen.

Architektur als Luxusproblem? Auch. Aber viel eher ein Effizienzproblem. Und ein Emissionsproblem. Wir seien einfach nicht in der Lage – und willens, vernünftig zu planen. Statt den Fokus auf Energieeinsparung zu legen, sollte man das Umweltproblem als Emissionsproblem begreifenlernen, die Emissionen als das eigentliche Problem zu sehen. Energie hätten wir im Überfluss – alleine die Sonne böte ein Vielfaches dessen, was wir je verbrauchen könnten –, nicht aber emissionsfreies Bauen oder aber einen emissionsfreien Betrieb von Gebäuden.

80 Prozent weniger Material
Zwei Thesen stellte der Stuttgarter Baumeister ins Zentrum seiner Überlegungen: Mehr mit weniger bauen – und keine fossilen Energieträger mehr verbrauchen. Professor Sobek ging mit gutem Beispiel voran. Einsparungen bei den Materialien seien möglich, und zwar um die Hälfte, wenn nicht gar um 80 Prozent. Doch was sollte man sich darunter vorstellen? Ausgezehrte Bauten?

Ein Dorn im Auge war ihm jede Form von »Entsagungsäthetik« – Bauen solle vielmehr Spaß machen. Vielmehr Sobek plädiertedeshalb Sobek für materialoptimierte Strukturen, mit einem Innenleben, das den Kraftlinien folgt, und nah am Gewichtsminimum. Wer diesen Weg konsequent verfolge, käme automatisch zu einer »Optimalstruktur«, die noch dazu hochästhetisch sei. Sobek sprach von »Eigenschönheit.« In einem zweiten Schritt könne man die hierzulande völlig überdimensionierten Bauten – ausgerichtet auf den höchsten Grad der Beanspruchung – durch intelligente Sensoren und Aktoren aktivieren, wie in einem Experimentalbau in Stuttgart bereits geschehen. Dort verschieben drei Aktoren die Auflastpunkte einer Schale so, dass zusätzlich auftretende Belastungen gleichmäßig über die gesamte Schale verteilt werden. Ein Ansatz, der weit über bionische, kräfteoptimierte Bauweisen hinausweist und Häuser plötzlich aktiviert wie Lebewesen, die Schnee von ihrem Pelz schütteln.

Hoch hinaus mit textilem Material
Gar nicht weit entfernt davon war der Experimentalturm für Magnetaufzüge von Thyssen Krupp im beschaulichen Rottweil: 246 Meter hoch, verkleidet mit einem textilen Gewebe, das unerwünschte Luftwirbel und Sonneneinstrahlung minimiert und damit eine Gewichtseinsparung von 15 Prozent erlaubt. Ein Negligee, scherzte Sobek und war sichtlich angetan von den Qualitäten textiler Baustoffe: Präzision auf den Millimeter. Hier blitzte jene Zukunft des Bauens auf, die Werner Sobek in seinen Ausführungen kurz umrissen hat.
Ein weiterer, verblüffender Aspekt war die Ansage, nicht nur auf wiederverwendbare und sauber trennbare Materialien zu achten, sondern solche Recyclingstoffe auch in großem Maße in Neubauten einzubinden. Wobei es Recycling kaum trifft. Materialien wie abwaschbare Wände aus ehemaligen Küchenbrettchen zeigten in ihrer marmorartigen Erscheinung Upcyling-Qualitäten.

Starke Thesen, starker Auftritt: Es blieb ein nachdenkliches Gefühl. Nicht umsonst zitierte der Optimist Sobek mehrfach den Philosophen Bloch: Es bleibe nichts als das Prinzip Hoffnung. Es ginge schließlich um nichts Geringeres als unser aller Zukunft und nicht um ein Arrangement mit dem Status Quo.

Text: Oliver Herwig und Andreas Groß
Fotos: Studio für Gestaltung