Nachlese
Corporate Architecture
Wenn Gebäude Zeichen setzen

Wer Unternehmensarchitektur sagt, denkt womöglich noch an klassische Bauten wie den Münchner BMW-Vierzylinder von 1972 oder, neuerdings, an die angeblich vier Milliarden Dollar teure Apple-Zentrale in Kalifornien. Gerhard Matzig beschrieb sie übrigens unlängst in der Süddeutschen Zeitung  als „Lachnummer.“ Ständig liefen Mitarbeiter und Besucher „gegen die besonders reflexionsarmen und fast unsichtbaren Glaswände – Schnittwunden und Gehirnerschütterungen inklusive. Bunte Haftzettel, mit denen Mitarbeiter vor der Gefahr warnen, werden aus ästhetischen Gründen konsequent wieder entfernt.“

Der Abend in der voll besetzen Aula des MAKK zeigte eine andere, eine zukunftsgerichtete Welt der Corporate Architecture. Zunächst legte Professor Jochen Siegemund vom CIAD Cologne Institute of Architectural Design der TH Köln das argumentative Fundament: Ausgehend von Peter Berends rollte er die Geschichte der Corporate Architecture als Verbindung zur Welt der Marken auf. „Mit dem Erwerb eines Markenartikels kauft der Kunde nicht nur einen Gebrauchs- oder Verbrauchsgegenstand, sondern zusätzlich einen ideellen Gegenstand, nämlich ein Versprechen, das an die Markierung (Marke) der Ware geknüpft ist, ein Versprechen bezüglich der Eigenschaften des Produktes.“ Seine Folgerung für die gebaute Umwelt: „Architektur ist gebaute Identität für die analoge Begegnung mit Unternehmen und Marken, um Unternehmensinhalte zu kommunizieren, um alle Sinne anzusprechen: Sehen, Fühlen, Hören, Riechen und Schmecken.“

Gebaute Identität

Anschließend beleuchten Gerhard Wittfeld, Geschäftsführer kadawittfeldarchitektur, Martin Henn, Managing Director HENN Architekten, und Werner Sübai, Geschäftsführer, HPP Architekten, in drei pointierten Statements die aktuelle Entwicklung. Sie zeigen, dass neue Werte dominieren: Öffnung, Vernetzung und Kommunikation.

Gute Büroräume allein reichen nicht mehr. Denn gearbeitet wird heute überall – und ständig. In der digitalen Ära kommt Architektur daher viel entscheidenere Rolle zu: als einmaliger Ort der Begegnung und zugleich Ausdruck dreidimensionaler Markenkommunikation. Dabei wird Corporate Architecture zum Akquise-Instrument beim weltweiten „war for talents“.

Wie aber funktioniert das? Professor Jochen Siegemund: „Die architektonischen Strukturen werden geöffnet. Der Fokus verschiebt sich auf die Community, also das Sozialleben bei der Arbeit.“ Das heißt konkret für Bauten: „Es wird offener und freier geplant, Grenzen werden aufgehoben. Statt enger Flure entstehen Bereiche mit Aufenthaltsqualität, die als sozialer Treffpunkt dienen.“

Offene Stadt

Wie sich Gebäude zur Stadt und zur Gesellschaft öffnen, führten die drei Architekten Gerhard Wittfeld, Martin Henn und Werner Sübai auf je eigene Art vor, etwa Gerhard Wittfeld mit dem Direktionsgebäude der AachenMünchener, das den in Aachen Bürgern ein Stück Stadtraum zurückgab, mit einer Reihe von Plätzen, einer direkten Fußwegeverbindung zwischen Hauptbahnhof und Innenstadt und diversen „Fremdnutzungen“ der einst abgeschirmten Firmenzentrale. Wittfeld: der „Forderung nach maximaler Öffentlichkeit und Kommunikation folgt auch die interne Organisation der Gebäude“. Plötzlich ist Transparenz kein bloßes Schlagwort mehr, sondern erfahrbarer Teil der Stadtlandschaft.

Der Rücksturz in die Stadt war auch beim Merck Innovation Center in Darmstadt (HENN Architekten) zu erleben: Das Gebäude nimmt sich zurück und öffnet sich zu einem Platz, während im Inneren Rampen einzelne Ebenen verbinden – getreu der Devise „von der Hierarchie zum Netzwerk“.

Mensch im Mittelpunkt

Wenn der Mensch tatsächlich im Mittelpunkt stehen soll, braucht es neue Organisationsformen und neue Leitbilder auch in der Architektur, bewies Werner Sübai (HPP) bei einer Reihe von Projekten, vom neuen L’Oreal Headquater in Düsseldorf, das den Typus Hochhaus bewusst locker und differenziert als Folge transparenter Arbeitswelten weiterentwickelt, bis zum Düsseldorfer „Cradle“, das konsequent auf dem Cradle-to-Cradle-Prinzip fußt. „Mehrwert für Mensch und Quartier“ bedeutet eben auch, „gesamtheitlich identitätsstiftende Räume zu schaffen.“

Deutlich wurde an diesem Abend, wie sehr Corporate Architecture „dazu beitragen kann, zukunftsweisende Werte zu vermitteln“ (Jochen Siegemund). Das tut sie in Berlin, Darmstadt, Aachen und Düsseldorf auf je andere Weise, aber unter gemeinsamen Prämissen. Die neue Corporate Architecture öffnet Möglichkeitsräume für Begegnungen – zwischen Mitarbeitern wie zwischen Unternehmen und Stadtgesellschaft. Dabei kommt es auch darauf an, nicht nur das Büro neu zu denken, sondern vor allem den Weg dahin (Martin Henn). Dass sich (unternehmerische) Macht dabei eben auch geschickter tarnt und sich die agile Firma bereits außen anders darstellen will als das monolithische Konzerne von gestern, versteht sich beinahe von selbst.

Fotos: Studio für Gestaltung
Text: Oliver Herwig